Der jüngste Weltjugendtag war ein schöner Anwendungsfall für die scherzhafte Redensart „Totgesagte leben länger“. Anderthalb Millionen junge Menschen, die ihren Glauben natürlich und ohne Umstände bezeugen – das war ein starker und für viele Zeitgenossen überraschender Beweis dass die Kirche weltweit höchst lebendig ist. Für uns Mitteleuropäer eine Tatsache, die irgendwie „gegen den Strich“ des Gewohnten geht. In manchen Medien war längst das vermeintliche Ende dieser von St. Johannes Paul II. ins Leben gerufenen Neuevangelisation beschworen worden. Und genau das ist anscheinend bei vielen Außenstehenden (und manchen Fundamentalkritikern auch innerhalb der Kirche) der Stein des Anstoßes – dass hier die Neuevangelisierung, der Aufbruch der missionarischen Kirche deutlich wurde. Selbst einem Bischof soll es zu viel gewesen sein, so dass er sich bemüßigt fühlte, ein irgendwie kritisches Wort zur Mission zu sagen. Aber ist Mission wirklich etwas von gestern? Womöglich gar etwas Schlechtes, etwas das weg muss – im Sinne der modischen „dekolonialen“ Ideologie[1]?  

In der DNA der Kirche

Die Mission gehört zum christlichen Glauben ebenso sicher wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche. Um ein etwas gewagtes Diktum aufzugreifen und vom Kopf auf die Füße zu stellen: Die Mission gehört quasi zur „DNA“ der Kirche, ganz einfach weil es dazu eine eindeutige Aussage im Neuen Testament gibt, eine, die niemand weginterpretieren kann: den Missionsauftrag Jesu[2]. Und damit ist die Diskussion eigentlich schon zu Ende; was sollte es da noch zu deuteln und zu relativieren geben? Die Sache könnte nicht klarer sein! Oder? Aber wie kommt es dann, dass immer wieder die Nase gerümpft wird über den Begriff Mission? In solchen Fällen lautet die Antwort für gewöhnlich: es kommt ganz darauf an, was gemeint ist…

Christliches Proprium[3]

Muslime in unseren westlichen Gesellschaften reagieren oft empfindlich, wenn öffentlich davon gesprochen wird, sie betrieben Mission. Nicht „Mission“ betrieben sie, so heißt es dann, sondern „Dawa“[4], und das sei etwas ganz Anderes… Das scheint zunächst arg spitzfindig zu sein, ist aber nicht uninteressant, hat sogar heuristischen Wert: Man erkennt einerseits, dass in unserer Gesellschaft das Wort Mission merkwürdigerweise tendenziell negativ besetzt ist[5]; da will man nicht dabei sein. Andererseits scheint durch, dass aus Sicht der Muslime die „Mission“ wirklich etwas spezifisch Christliches sein muss; darin haben sie vielleicht ein tieferes Verständnis der Sache bewahrt, als manche ihrer christlichen Landsleute.  

„Missio“ heißt Sendung, und traditionell endete jede Hl. Messe mit dem Ausruf „Ite, Missa est“[6], so dass jedem Katholiken jedes Mal bei Besuch der Messe (die eben nicht zufällig so heißt) die innere Verpflichtung zur Weitergabe des Glaubens in Erinnerung gerufen wurde. Tatsächlich ist in diesem Sinne die Mission nicht ein Spezial-Auftrag für Experten, nichts für eine professionelle „PR-Agentur“, sondern etwas, das zum Leben jedes Christen gehört. Weitergabe des Glaubens gehört auch in jede Familie (von den Eltern zu den Kindern), auch wenn das nicht „Mission“ genannt wird. Und meist geschieht es einfach durch gutes Beispiel und „Glaubenszeugnis“. Dabei geht es nicht um Belehren oder gar Besserwisserei, sondern darum, in Wort und Tat zu zeigen, dass alle Menschen, ganz gleich welcher Herkunft oder welchen Standes, „geliebte Kinder Gottes“ sind. Und das ist tatsächlich etwas „typisch Christliches“. Aber woher kommt dann das Zerrbild von Mission, bis hinein in eigentlich kirchliche Kreise?

Der Missionar als Schurke?

Das schlechte Image der Mission ist nicht erst durch die rabiat anti-kirchliche Agitation „de-kolonialer“ Meinungsmacher neuerer Provenienz entstanden, für die Missionare pauschal Förderer und Praktiker von Ausrottung und Unterdrückung waren, quasi Nazis avant la lettre. Vielmehr geht diese Anschwärzung von Mission und Missionaren schon auf die Zeit der Aufklärung zurück, als sog. „schwarze Legenden“ über die Katholische Kirche zu einer regelrechten neuen Gattung politischer Literatur wurden[7]. Das wirkt bis zum heutigen Tag nach. Groteske Geschichtsklitterung und raffinierte Halbwahrheiten haben das Bild der christlichen Mission (und ihres Wirkens seit der „konstantinischen Wende“[8]) eingetrübt und teils zur Unkenntlichkeit verfälscht. Dabei waren – wie immer – die Halbwahrheiten zerstörerischer als die dicken Lügen. Ein Beispiel: Ließ sich ein frühmittelalterlicher Herrscher taufen und nahm wie selbstverständlich seine Untertanen dabei mit, was natürlich mit unseren Wertvorstellungen unvereinbar ist, dann galt das als Zeichen der „Schwertmission“, als Zwangsbekehrung. Bewusst verdrängt wird dabei, dass auch in jener Zeit theologisch gesehen jede Zwangstaufe von vorneherein ungültig war (wie eine unter Zwang geschlossene Ehe); genauso verschwiegen wird die Tatsache, dass in ausnahmslos allen Fällen die Christianisierung – sobald sie wirklich und nicht nur formal vollzogen war – zu einer dramatischen Humanisierung von Sitten und Gebräuchen führte, von der enormen Bildungswirkung ganz zu schweigen.

Ist nicht der Papst sogar dagegen?

Wenn der Begriff Mission kritisch hinterfragt wird, gerade in kirchlichem Umfeld, dann werden gern Worte von Papst Franziskus angeführt, in denen er sich (besonders zu Beginn seines Pontifikats) gegen Proselytenmachereiausgesprochen hat. Das wird dann als missionskritische Haltung dargestellt. So als habe der Papst selbst „erkannt“, dass Mission ein überholtes Konzept sei, weshalb die Kirche damit aufzuhören und sogar für frühere Missionsaktivitäten Buße zu tun habe. Doch mit der Realität dürfte das nicht viel zu tun haben. Als Argentinier kennt Papst Franziskus nur zu gut das zweifelhafte Wirken bestimmter Sekten in Lateinamerika, die mit unlauteren Mitteln und materiellen Anreizen neue (zahlende) Mitglieder zu mobilisieren suchen, leider oft mit Erfolg. Darauf – und nicht auf den Missionsauftrag der Kirche – bezogen sich seine kritischen Worte; er stand ganz offensichtlich unter dem Eindruck der massiven Abwerbeversuche solcher Sekten in der Kirche Argentiniens und Südamerikas insgesamt. Im Übrigen gibt es eine Vielzahl von deutlichen Äußerungen des Papstes, die an seiner (eigentlich selbstverständlichen) Treue zum Missionsauftrag Jesu keinen Zweifel lassen.

Und das Zweite Vatikanum?

Die Gebildeten unter den Verächtern des Missionsgedankens bringen gelegentlich Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Stellung. Hat nicht dieses große ökumenische Konzil mit seiner dialogischen Öffnung u.a. zu anderen Religionen den Gedanken der Mission zumindest implizit ad absurdum geführt? Und wenn es auch nicht die Konzilsväter waren, verlangt nicht der „Geist des Konzils“ nach einer Neubewertung (sprich Abschaffung) des Missionsauftrags? Doch das wäre nicht nur eine tendenziöse Uminterpretation, es wäre eine komplette Verdrehung das Vatikanum II ins Gegenteil. Der missionarische Impuls des ganzen Konzils ist so überwältigend, dass man nur bei willkürlicher Auswahl von Textsplittern zu so einer Aussage kommen könnte. Wenn das Konzil eines sicher war, dann war es missionarisch in allen seinen Zielen[9].

Aber wie soll das gehen?

Bleibt die Frage: Ist Mission nicht doch ein hoffnungslos überholtes Konzept? Wer soll denn da wen missionieren, und hat das überhaupt Aussicht auf Erfolg? Dahinter verbirgt sich eine kulturpessimistische Haltung, die von der voreiligen Annahme ausgeht, mit dem Christentum gehe es doch ohnehin bergab. Aber in vielen Teilen der Welt, besonders Afrika und Asien, wächst die Kirche, und zwar schnell. Da findet man überraschende Beispiele. So ist Vietnam, wo die Kirche unter dem kommunistischen Regime wahrlich kein leichtes Leben hat, quasi „Netto-Exporteur“ von Priestern geworden. Und in Indonesien gibt es ständig eine beachtliche Zahl von Menschen, die zum christlichen Glauben übertreten, tausende allein in der Diözese Jakarta, zu jeder Zeit. Das Wachstum ist nicht nur demographisch bedingt, sondern auch missionarisch – und zwar längst ohne europäischen Einfluss.

Vor unserer Haustür

Missionare müssen in unserer Zeit nicht nach Übersee fliegen, denn schon lange ist Deutschland selbst „Missionsland“. Das scheint nun eine beinahe übermächtige Riesenaufgabe für die Christen zu sein. Aber wiederum gilt: es kommt darauf an…! „Mission“ bedeutet ja nicht in erster Linie das Aufbauen von Strukturen und Institutionen. Vielmehr geht es vor allem um das persönliche Zeugnis, wie es kurz und treffend schon Petrus selbst formuliert hat: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zustehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt!“[10]. Mission ist also keine klerikale Super-Strategie, um gesellschaftliche Relevanz zu erringen; vielmehr tut es der Kirche gut, wenn sie sich auf ihr „Kerngeschäft“ konzentrieren kann[11]. Man braucht dafür nicht unbedingt eine Spezialausbildung durch Missionsgesellschaften (so wichtig deren großartige Arbeit auch bleibt). Hier gemeint ist vielmehr das Zeugnis jedes einzelnen Christen in seinem Lebensumfeld. Wenn wir uns nicht schämen unseren Glauben in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft sichtbar zu leben, dann ist das inzwischen schon fast ein  Akt der „Neuevangelisierung“, zumindest ein erster Schritt.

Hinzu kommt mit der großen und wachsenden Zahl von Migranten eine weitere Herausforderung. Papst Benedikt XVI. hatte dazu schon Entscheidendes geschrieben – lange bevor Migration zu dem gewaltigen Massenphänomen unserer Tage wurde. Migranten gegenüber, die den christlichen Glauben nicht oder nicht richtig kennen, müssten „angemessene Wege gefunden werden, damit sie Jesus Christus begegnen und kennenlernen und das unschätzbare Geschenk des Heils erfahren können, das für alle Menschen Quelle des »Lebens in Fülle« ist “[12].  Auch hier ist nicht nur „die Kirche als Institution“ gefragt, sondern wiederum das persönliche Zeugnis. Damit fängt schon im Kleinen so etwas wie Mission an; das ist nicht wenig, denn so hat auch die Kirche zur Zeit der Apostel begonnen, in einem ganz und gar nicht wohlwollenden Umfeld.


[1]Vgl. den Beitrag https://erziehungstrends.info/kirche-und-kolonialismus

[2]Oft noch stärker als „Missionsbefehl“ bezeichnet, was heutige Gemüter leicht erschreckt, aber den Kern der Sache trifft: Jesus Christus stellt nicht nur anheim, deutet nicht nur an oder legt nahe (Ihr könntet vielleicht, wenn es passend schiene und keiner Anstoß nähme…) sondern er lässt es nicht an Klarheit fehlen: „…geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern…“ Mt. 28, 19f.

[3]Etwas dem christlichen Glauben eigenes; quasi ein Alleinstellungsmerkmal.

[4]Arabisch für „Ruf“. Aussprache: „Daua“. Gemeint ist der Ruf zum Islam, zur Unterwerfung unter den Willen Allahs.

[5]Mit gewissen Ausnahmen wie der „Inneren Mission“, „Bahnhofsmission“ etc. Aber positiv sind diese Begriffe (wenn überhaupt) eben nur noch in der Kombination mit „Innere“ bzw. „Bahnhof“. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Sünder“, der nur noch im übertragenen Sinne wie „Verkehrssünder“ oder „Steuersünder“ im aktiven Mainstream-Wortschatz vorkommt.

[6]Sinngemäß: „Geht, Ihr seid gesandt“.

[7]Vgl. dazu die Artikelserie „Schwarze Legenden“: https://erziehungstrends.info/?s=Schwarze+Legenden

[8]https://erziehungstrends.info/schwarze-legenden-die-konstantinische-wende

[9]Vgl. z.B.: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/muller/rc_con_cfaith_doc_20141026_church-in-dialogue_ge.html

[10]1. Petr. 3, 15

[11]Vgl. hierzu auch die wegweisende „Freiburger Rede“ von Papst Benedikt XVI.: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2011/september/documents/hf_ben-xvi_spe_20110925_catholics-freiburg.html

[12]Botschaft zum Welttag des Migranten und Flüchtlings 2012: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/messages/migration/documents/hf_ben-xvi_mes_20110921_world-migrants-day.html