Nun müssen wir, auch wenn solche Ideologien das christliche Familienbild völlig verkennen, reumütig unser ‘mea culpa’ sprechen. Denn es ist eine in die Augen springende Wirklichkeit, daß die Welt nicht des christlichen Familienbildes müde geworden ist, sondern dessen dürftiger Verwirklichung.

Die Christen haben nur teilweise und sprunghaft das Ideal versucht. Man hat seine Verwirklichung für zu schwierig gehalten und de facto unversucht gelassen. Die personale Liebe wird häufig auf die sinnlich kommerzielle Ebene herabgesetzt, wobei jeder Partner den eigenen Profit sucht, nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, und bald wird das Geschäft als langweilig und unrentabel abgetan und aufgelöst.

Die begehrte ‘Ekstase zu zweit’ erweist sich als chimärisch, denn das direkt angepeilte Glück entfernt sich eben darum immer mehr in die Fremde. Und wo die Ehe geschlossen wird, weil sich zwei Menschen zu lieben glauben, und nicht – wie man von den Indern behauptet – weil zwei Personen entschieden sind, die Liebe zueinander zu lernen und sie bis zum Tode unermüdlich zu probieren und sich von keiner Unzulänglichkeit, keiner Verschiedenheit und keinem Mißerfolg enttäuschen und entmutigen zu lassen (denn zwei Einmaligkeiten wissen sowohl die Einheit als auch den Respekt der Differenzen risikovoll und recht abenteuerlich immer von neuem zu pflegen), ja, wo die Sakramentalität der Ehe nicht als Befähigung zum Tragen der Last des anderen und zur täglichen Übernahme der Sorge für das zeitliche und das ewige Wohl des Partners erlebt wird, dort werden die Konflikte, die Krisen und die Spaltungen des Familienlebens zu einem wirklich neurotisierenden Kampf um die Macht, um die Selbsterfüllung, um die Eigenwilligkeit.

Und dieser Kampf zeigt keine Spur mehr von christlicher Liebe und christlicher Ehe. Dort ist die Freiheit – die allein die persönliche Hingabe zustande bringt und die sich aus der personalen Hingabe entfaltet – verschwunden: die Bindung wird zur Fessel, und wenn nicht der Krieg ausbricht, entsteht eine Atmosphäre der kalten Gespanntheit, die die wenigen Kinder, die aus einem solchen Bund von Egoismen geboren werden, tatsächlich bedrückt, einengt, entmutigt, egozentrisch und argwöhnisch macht.

Es sind Eheleute, die das Gesetz Christi nicht zu befolgen wagen: ‘Wer sein Leben, oder seine Seele nicht verliert, wird sie und jene des Partners nicht retten können!’ Sagen wir es ein bisserl vergnüglicher mit Abraham a Sancta Clara:

Es sind Eheleute, die das Gesetz Christi nicht zu befolgen wagen: ‘Wer sein Leben, oder seine Seele nicht verliert, wird sie und jene des Partners nicht retten können!’ Sagen wir es ein bisserl vergnüglicher mit Abraham a Sancta Clara:
Die Eheleut müssen ein’ guten Kopf haben, denn sie gar oft das Abkämpeln leiden.
Die Eheleut müssen gute Zähne haben, denn sie gar oft müssen etwas verbeißen.
Die Eheleut müssen gute Finger haben, denn sie müssen gar oft durch dieselben schauen.
Die Eheleut müssen ein’ guten Rucken haben, denn sie gar viel müssen übertragen.
Die Eheleut müssen ein’ guten Magen haben, denn sie müssen gar viel harte Brocken schlucken.
Die Eheleut müssen eine gute Leber haben, denn es kriecht ihnen gar oft etwas darüber.
Die Eheleut müssen gute Füß haben, denn es drückt’s der Schuh gar vielfältig – mit einem Wort PATIENTIA ist die erste Haussteuer, so die Eheleut haben müssen.
Man wird aber dabei nicht andächtigere Leut finden als die Eheleut, denn sie gehen fast alle Tag mit dem Kreuz, und kommen sie mir vor, wie die Schiffe am Gestade, welche zwar angebunden und scheinen, als genießen sie der Ruhe; man wird aber doch sehen, daß eines das andere stößt: also sind gleichförmig die Eheleut zusammengebunden durch das heilige Sakrament und einhelliges Ja. Auch scheint ihr Stand ein Ruhestand; man wird aber dennoch merken, daß eines das andere plagt, und tut es nicht hageln, so zeigen sich doch zuweilen die Blitzer.
Der Ehestand mag endlich verglichen werden mit der verguldeten Arche des Bundes im Alten Testament, auf welcher zwei guldene Cherubin waren, welche auf Befehle Gottes einander mußten anschauen – also im Ehestand solle eines das andere freundlich ansehen und nicht sie gegen Orient, er aber gegen Occident. Auf solcher Weise sind sie gleich den samsonischen Füchsen, welche die philistäischen Felder in Brand gesteckt: diese waren hinten zusammengebunden, aber die Köpf waren weit voneinander und schaute einer hü, der andere hott. O Gott, das ist ein Spott!

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.