(Bild: Antonio Montesinos)

Eine bis ins 16 Jh. zurückreichende „Leyenda negra“, gewissermaßen die „Mutter aller schwarzen Legenden“, lautet, die Katholische Kirche habe die Unterdrückung und Ausbeutung der Ureinwohner Lateinamerikas legitimiert, sie ihrer reichen Kultur beraubt und sie als Menschen zweiter Klasse definiert. Doch das Gegenteil ist wahr.

Proteste gegen Übergriffe

Schon im Jahre 1500, kaum acht Jahre nach der Landung Kolumbus‘ in der „Neuen Welt“, protestierten Franziskaner-Mönche gegen Übergriffe auf die Ureinwohner. 1511 hielt der Dominikaner-Pater Antonio de Montesinos eine berühmte Predigt, in der er öffentlich Anklage gegen die Misshandlung von Indios erhob. Noch bekannter ist der Name des Priesters Bartholomé de Las Casas (1484-1566), des unermüdlichen Verteidigers der Rechte der Ureinwohner; er war gewissermaßen zugleich der Gandhi und der Albert Schweitzer der Indios.

Und der Protest der Kirche verhallte nicht ungehört. Die spanische Krone erließ schon im Jahre 1530 (erneut 1542) umfassende Gesetze zum Schutz der Ureinwohner, lange vor auch nur entfernt ähnlichen Regelungen in den Kolonien anderer Länder. Leider wurden diese Gesetze höchst unvollständig umgesetzt. Papst Paul III. erließ deshalb eine aufsehenerregende Bulle, in der nicht nur die Rechte der Indios formuliert wurden, sondern auch die aller anderen Völker, die noch in der Zukunft unter die Herrschaft christlicher Regierungen kommen könnten, und zwar unabhängig von ihrem Glauben. Der Text dieser Papstbulle von 1538 liest sich höchst modern und darf mit Fug und Recht als eine der ersten Menschenrechtsdeklarationen überhaupt bezeichnet werden.

Bedrohung der Priester

Im Gegensatz zu den Kolonien in Nordamerika war es unter der spanischen und portugiesischen Herrschaft übrigens von Anfang an selbstverständlich, dass die „heidnischen“ Ureinwohner die Taufe empfangen durften, was sie für alle Katholiken zu gleich zu achtenden Mitgliedern der Kirche machte. Lokalen Potentaten war das ein Dorn im Auge, und zeitweise durften selbst päpstliche Lehrschreiben wie das Dekret von 1538 in den Kolonien nicht mehr veröffentlicht werden. Etliche Priester wurden deshalb bedroht oder vertrieben.

Der christliche Glaube wurde im Übrigen von den Indigenen in der Regel schnell und gern angenommen; offensichtlich verstanden sie sehr wohl zu unterscheiden zwischen der oft grausamen  Herrschaft der Konquistadoren und der so ganz anderen Lehre des Christentums. Hilfreich dürfte für die erfolgreiche Mission auch gewesen sein, dass das Herz der Indios nicht wirklich an den alten Religionen hing, die durchweg blutrünstig und von großer Grausamkeit geprägt waren, und zwar nicht nur die der Azteken, sondern auch die der Mayas und anderer indigener Völker.

Kulturelle und wirtschaftliche Blüte

In den vom Jesuitenorden 1609 in der Region um das heutige Paraguay errichteten Missionen („Reducciones“) konnte sich schließlich die katholische Sicht der Ureinwohner für einen historisch kurzen, aber entscheidenden Moment konkret manifestieren. Dort errichteten die Jesuiten-Patres selbstorganisierte Indio-Gemeinschaften, die in kurzer Zeit eine bemerkenswerte kulturelle und wirtschaftliche Blüte erlebten und in denen vieles von dem schon verwirklicht wurde, was angeblich erst eine Frucht der Aufklärung des späten 18. Jh. war. Diese „Indianerrepubliken“ fielen nach einem halben Jahrhundert (endgültig 1768) dem Machtpoker der „aufgeklärten“ absolutistischen Höfe in Madrid und Lissabon zum Opfer, deren Pläne sie störten. Der Jesuitenorden wurde bei der Gelegenheit gleich mit verboten.