Die Soldaten nehmen Jesus seine Kleider ab. Wie selbstverständlich verteilen sie die wenigen Habseligkeiten des Verurteilten unter sich. Dabei eine seltsame Sorgsamkeit: Sie wollen das Übergewand, quasi den Mantel, nicht zerschneiden. Auftrennen und verteilen lässt er sich nicht, weil er aus einem Stück gewoben ist. Zerschneiden kommt nicht in Frage; wäre doch schade… Deshalb wird gewürfelt, wer ihn nehmen darf.

Die Gefühllosigkeit des abgebrühten Hinrichtungskommandos kontrastiert mit der Sorgfalt gegenüber materiellen Dingen. Ein Fall von pervertiertem Denken. Aber ist uns das wirklich so fremd? Wird nicht auch in unseren Gesellschaften ständig Sorgsamkeit gegenüber Materiellem gezeigt, auf Kosten des Lebens? Auf Kosten des Lebens Unschuldiger, Hilfloser, Ungeborener, Kranker… Und war nicht der Sold dieser Soldaten ohnehin zu niedrig? Da blieb ihnen gar nichts anderes übrig, da mussten sie nehmen, was sie kriegen konnten. Für so etwas haben wir irgendwie Verständnis.

Zur körperlichen Qual Jesu kommt noch die Erniedrigung hinzu. Schon im Prätorium hatten sie ihn verspottet, sein Königtum, das nicht von dieser Welt ist, mit einer Dornenkrone verhöhnt. Und am Kreuz folgt dann noch Spott von Passanten: Wenn er Wunder wirken kann, warum hilft er sich nicht selbst?

Wo er doch anderen so schön geholfen hat! Ähnliches denken viele vielleicht heute noch – nur dass sie das mit den Wundern nicht mehr ernst nehmen; sie waren ja damals nicht dabei und wissen daher, dass das gar nicht sein konnte. Sie fragen sich eher: Warum hat er es überhaupt so weit kommen lassen? Musste er so übertreiben? Wäre doch nicht notwendig gewesen… Aber das ist genau der Punkt: Not- wendig war sein Leiden, es wendete die Not des Menschen für alle Zeiten. Und dass er das alles freiwillig auf sich nahm, daran lässt der Text des Neuen Testaments keinen Zweifel.

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