Für einen Christen ist die menschliche Sexualität letztlich ein Geheimnis, das in den unergründlichen Plänen Gottes verborgen ist. Dieser hat am Tag der Schöpfung seinen Willen zum Mann und zur Frau bekundet und die menschliche Natur in zwei verschiedenen und sich ergänzenden Ausprägungen auf wunderbare Weise entworfen.

Bereitschaft zum Anderen hin

Doch warum wurde der Mensch zweigeschlechtlich erschaffen? Die Fortpflanzung kann nicht der einzige (und wohl auch nicht der wichtigste) Grund sein, denn diese wäre auch anders möglich, etwa als eine Selbstbefruchtung von Zwitterwesen.

Während die Festlegung auf die Gender-Ideologie eine Fixierung auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse begünstigt, verlangt die geschlechtliche Liebe von Mann und Frau eine klare Bereitschaft zum Anderen hin. Dies zeigt, dass die menschliche Fülle eben gerade in der Beziehung liegt, im Für-den-anderen-da-Sein. So wird der Mensch dazu bewegt, aus sich herauszugehen, den anderen zu suchen und sich an seiner Gegenwart zu erfreuen.

Die Sexualität ist gewissermaßen das Siegel der Liebe Gottes in der menschlichen Natur. Auch wenn jeder Mensch von Gott “um seiner selbst willen” (26) geliebt wird und zur individuellen Fülle berufen ist, so kann er diese doch nicht ohne die Gemeinschaft mit anderen erreichen. Er ist geschaffen, um Liebe zu geben und zu empfangen.

Das ist der Sinn der sexuellen Bedingtheit, die einen unschätzbaren Wert darstellt. Beide Geschlechter sind von Gott selbst dazu bestimmt, zusammen zu wirken und zu leben. Darin liegt ihre Berufung. Man kann sogar sagen, dass Gott den Menschen nicht als Mann und Frau geschaffen hat, damit neue Menschen gezeugt werden, vielmehr: Er habe dem Menschen die Fähigkeit zur Fortpflanzung gegeben, damit die Gottebenbildlichkeit des Menschen über die Generationen hin weitergegeben werde, die der Mensch auch in seiner sexuellen Bedingtheit widerspiegelt.

Beide, Mann und Frau, sind befähigt, im anderen ein grundlegendes Bedürfnis zu erfüllen. In ihrer wechselseitigen Beziehung lässt einer den anderen sich selbst erkennen und in seiner geschlechtlichen Bestimmtheit auch verwirklichen. Jeder hilft dem anderen, sich bewusst zu werden, dass er zur Gemeinschaft und zur Hingabe berufen ist. So finden beide ihr eigenes Glück, indem sie dem anderen helfen, glücklich zu sein.

Eine widernatürliche Entscheidung

Gegen diese Sicht von Geschlechtlichkeit richtet sich ein Lebensmodell, das vor einiger Zeit durch die internationale Presse verbreitet worden ist. Es wurde in den Niederlanden entworfen und wurzelt nicht in der wechselseitigen Beziehung der Geschlechter – und auch nicht in der Ergänzungsbedürftigkeit jedes einzelnen Menschen. Es handelt sich um die “Single-Ehe”.

Sie wurde im Mai 2003 zum ersten Mal formal geschlossen: Jennifer Hoes, eine dreißigjährige Studentin, hatte beschlossen, sich selbst zu heiraten. Die Frau ihres Lebens war sie selbst! Die Trauungsfeierlichkeiten fanden im alten Rathaus von Haarlem statt. Dort schwur die weiß gekleidete Braut vor einem Standesbeamten, in Gegenwart ihrer ganzen Familie und einer großen Gruppe von Freunden, sich selbst zu lieben und zu ehren, in guten und in schlechten Zeiten, bis zum Ende ihres Lebens, während einige ihrer Nichten Blumen streuten und das Orchester Hochzeitsmusik spielte. Die frisch Vermählte erklärte später in einem Interview: “Wir leben in einer Ego-Gesellschaft. Sich selbst Treue zu schwören, ist da nur logisch. Wem denn sonst?” (27) Und falls Jennifer doch irgendwann den Mann ihres Lebens treffen würde, müsste sie sich dann scheiden lassen?

Mit der Erfindung der Single-Ehe hat die Ablehnung der menschlichen Natur einen Grad erreicht, der wohl schwer zu übertreffen ist. Die Geschlechterdifferenz hingegen weist darauf hin, dass die Menschen aufeinander bezogen sind, dass sie darauf angelegt sind, aus sich herauszugehen. Nur wenn einer sich dem anderen zuwendet, kann er die eigene Erfüllung finden.

Viele Autoren haben von einer “wechselseitigen Bezogenheit” der Geschlechter gesprochen. (28) Doch dabei handelt es sich nicht notwendig um die Beziehung zwischen einem (einzigen) Mann und einer (einzigen) Frau. Die eheliche Gemeinschaft ist hingegen als Paradigma zu verstehen: Sie bringt mit aller Klarheit zum Ausdruck, dass der Mensch zur freien Hingabe an den anderen geschaffen ist. Darüber hinaus zeigt sich unsere “konstitutive Bezogenheit” in einer bunten Fülle von allen möglichen zwischenmenschlichen Beziehungen – wie etwa die des Vaters oder der Mutter zu ihren Söhnen und Töchtern oder die der Kinder zu ihren Eltern, die der Brüder und Schwestern untereinander, die der Kollegen, Nachbarn und Freunde.

Jeder Mann lebt gleichzeitig in einer Fülle von unterschiedlichen Beziehungen zu Frauen, die in sein Leben treten, und auch umgekehrt: Jede Frau hat viele Beziehungen (verschiedener Dichte und Tiefe) zu den Männern, mit denen sie Umgang hat. Daher heben einige hervor, dass die Bezogenheit der Geschlechter aufeinander nicht “symmetrisch”, sondern vielmehr “asymmetrisch” zu verstehen sei.


Anmerkungen

(26) Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution Gaudim et Spes, 24 und JOHANNES PAUL II, Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (=MD), 7, 10, 13, 18, 20 y 30.
(27) Vgl. Der Homo-Ehe folgt die Single-Ehe, in “Komma” (16/2003), S.27.
(28) Vgl. C. CAFFARRA, Etica general de la sexualidad, Barcelona 1995, S.118.

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Jutta Burggraf
Jutta Burggraf (* 1952 in Hildesheim; † 5. November 2010 in Pamplona) war eine deutsche Theologin. Burggraf erhielt 1996 einen Ruf auf die Professur für Ekklesiologie, insbesondere für Theologie der Schöpfung, ökumenische Theologie und feministische Theologie an der Universität Navarra. Burggraf war auf der 7. Ordentlichen Bischofssynode, die vom 1. bis 30. Oktober 1987 in Rom stattfand, als Expertin geladen und hat an der Vorbereitung des Apostolischen Schreibens Christifideles laici zur „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ von Papst Johannes Paul II. mitgewirkt. Sie war seit 1996 korrespondierendes Mitglied der Pontificia Accademia Mariana Internazionale (PAMI). --- „Sie war zeitlebens eine Kämpfernatur; sie war verantwortungsbewusst, arbeitsam, zäh. Sie liebte das einfache Leben, freute sich an der Freizeit und hatte einen Sinn für alles Schöne. Sie war ihren Freundinnen eine echte Freundin.“ So hat Prälat Rafael Salvador, der Vikar der Delegation des Opus Dei in Pamplona, Spanien, Jutta Burggraf charakterisiert, die am 5. November nach schwerer, mit Gottvertrauen getragener Krankheit von uns gegangen ist.