Der Rosenkranz endet mit zwei Geheimnissen, die eine Art Ergänzung bilden, aber eine wesentliche und wichtige. Aus ihnen erklärt sich die Struktur dieses wunderbaren meditativen Gebets der Christenheit: Warum wir bei der Betrachtung des Heilsgeschehens gewissermaßen an der Hand der Gottesmutter gehen. Der Rosenkranz ist ein zutiefst Christus-zentriertes Gebet, bei dem wir uns zugleich der Fürsprache jener versichern, die ihm näher steht als irgend ein anderes geschaffenes Wesen, näher als alle Heiligen, Apostel, Priester oder Päpste.
Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus, der Dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat.
Die Bekräftigung der Lehre über die Aufnahme Marias in den Himmel ist das jüngste „Dogma“ der Kirche, verkündet 1950 von Papst Pius XII. Wie immer bei der Formulierung formeller Glaubenssätze ist damit natürlich nicht etwas Neues erfunden oder ein Teil der Glaubenslehre verändert worden. Vielmehr wird damit ein seit alters bestehender Glaubenssatz formal festgestellt und ausformuliert. In der Geschichte der Kirche erfolgt das oft gerade dann, wenn einzelne Glaubenstatsachen entweder in Frage gestellt, oder nicht mehr richtig verstanden werden.
Auch die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel[1] ist ein uralter Glaubenssatz, dessen Tradition bis in die Urkirche zurückreicht. Über den Ort ihres „Entschlafens“[2] gibt es zwei unterschiedliche Traditionen. Aber in der Sache besteht kein Zweifel. „Leibliche“ Aufnahme bedeutet, dass die Gottesmutter Maria bereits jenen vollständigen Zustand der Seligkeit erreicht hat, der den Gläubigen in der Ewigkeit verheißen ist. Deshalb die Rede von der „Seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria“[3].
Sie, die ohne Erbsünde empfangen war, erfährt auch zum Ende ihres irdischen Daseins eine ganz besondere, wahrhaft einzigartige Gnade. Sie ist für die Kirche für alle Zeiten das erste und größte „Vorbild des Glaubens und der Liebe“[4]. Wenn wir dieses große Geheimnis im Gebet betrachten, ob an einem der großen Marien-Wallfahrtsorte, oder beim stillen Gebet daheim, dann erahnen wir die unvergleichliche Rolle der Gottesmutter, begreifen auch, warum ihre Fürbitte so wirksam ist.
[1]Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 966.
[2]Auf dem Zionsberg in Jerusalem steht die wunderbare „Dormitio“ („Entschlafungs“-) Abtei an jener Stelle, wo Maria zuletzt gelebt haben soll. Eine andere Tradition sieht den Ort im „Haus der Maria“ im antiken Ephesos, Kleinasien.
[3]Dass hier mit „selig“ nicht eine geringere „Stufe“ gemeint ist als mit „heilig“, dürfte sich von selbst verstehen.
[4]Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 967.