(Bild-Ausschnitt: „Die Sieben Todsünden und Die vier letzten Dinge“ – Hieronymus Bosch. Kommentar zum Bild-Ausschnitt: „Habsucht“ – Im Bild kann man zwei Szenen entdecken: Offensichtlich handelt es sich um eine Gerichtsszene. Ein Mann umklammert einen Geldbeutel, während der Richter sich von dem hinter ihm Stehenden bestechen lässt. Beide klammern sich als Geld. Zum vollständigen Gemälde gelangen Sie -> hier )

Haben wir hier ein Laster, über das wir uns alle einig sind? Endlich mal unter den vielzitierten „Werten“ der Gesellschaft ein zuverlässig mehrheitsfähiger? Es kommt darauf an, was wirklich gemeint ist[1].

Das Wort „Habsucht“ spiegelt schon deutlich wider, worum es geht: Eine übertriebene Fixiertheit auf das „Haben“, auf Güter und materielle Vorteile. Nun ist es natürlich nichts in sich Schlechtes zu besitzenEigentum zu haben, Güter zu schätzen und zu erwerben. Schon der allgemeine Sprachgebrauch zeigt das: Güter / goods / biens / bens – in verschiedenen Sprachfamilien ist der etymologische Bezug zum dem was „gut“ ist, eindeutig[2]. Wenn aber die materiellen Dinge, auch und gerade die von uns allen als gut anerkannten, zum alleinigen Lebensinhalt werden, bewusst oder unbewusst über alles andere gestellt werden, dann entsteht eine Abhängigkeit von ihnen, die dem Menschen schadet und seine Persönlichkeit verdunkelt – eben eine Sucht.

Scheinbar kein Problem

Einer so abstrakten Definition wird wohl jeder halbwegs „anständige“ Mensch zustimmen können. Und deshalb scheint die Habsucht auf den ersten Blick diejenige unter den „Todsünden“ zu sein, über die am leichtesten Einvernehmen zu erzielen ist, auch in einer post-modernen, säkularisierten Gesellschaft.

Es fehlt ja nicht an Aufrufen zum Teilen, an Appellen zu Gemeinsinn und „Werte“-Orientierung. Höchst populär ist jede Art von Kapitalismuskritik[3]. Neuerdings kommt noch eine heiße Kolonialismusdebatte hinzu; ein wenig bizarr in ihren irrationalen Auswüchsen, aber immerhin mit scharfer Kritik des materialistischen, habgierigen Umgangs mit Menschen. Trotzdem will sich das Gefühl nicht einstellen, dass in unserer Gesellschaft Habsucht tatsächlich verpönt ist. Wir müssen genauer hinsehen.

Geiz?

Gibt es nicht eine Grauzone? Das Wort „Geiz“ ist z.B. zweifellos negativ besetzt, aber im Wortfeld dessen, worum es hier geht, steht es sozusagen am Rande; der Übergang zur „übertriebenen Sparsamkeit“ ist fließend, und schon nähern wir uns einer Tugend… Nur deshalb war es in der Werbebranche überhaupt  möglich, mit dem Begriff augenzwinkernd zu werben („Geiz ist geil“); ähnlich verhält es sich, wenn Finanzminister stolz den Rotstift als Symbol ihrer äußersten Sparsamkeit vor sich her tragen (unabhängig davon, wie sie mit den Steuergeldern tatsächlich umgehen) und es geradezu genießen, in den Ruf der Knauserigkeit zu geraten.

Zur Klärung hilft, wie so oft, ein Blick ins Neue Testament. Da ist zum Beispiel die Begegnung Jesu mit dem „reichen Jüngling“[4], einem ganz offensichtlich gutwilligen und anständigen, sogar frommen Menschen, der von Jesu Lehren und Wirken beeindruckt ist und mehr aus seinem Leben machen will. Er scheint genau die richtige Einstellung zu haben, ist gewiss guten Willens und womöglich altruistisch gesonnen.

Kein Ausbeuter

Mithin liegt hier kein Fall krasser, boshafter Habsucht vor. Er ist kein Ebenezer Scrooge[5] und sicher kein Ausbeuter und Menschenschinder. Trotzdem geht die Sache für ihn anders aus als er gedacht hat, leider nicht gut: Auf seine Frage, wie er Perfektion erreichen könne, schlägt Jesus ihm vor, seinen Besitz zu verkaufen, den Erlös den Armen zu schenken und ihm nachzufolgen. Am Ende des Berichts über diese denkwürdige Begegnung steht ein Satz, der seit zweitausend Jahren die Christenheit beschäftigt und immer wieder aufrüttelt: „Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg, denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mt. 19, 22).

Es widerstrebt uns, diesen armen reichen jungen Mann als Habsüchtigen zu sehen; wir verstehen ihn einfach zu gut. Auf sein Hab und Gut zu achten erscheint uns nur zu natürlich; es ist ja auch wirklich verantwortungsbewusst und sinnvoll. Der Schock über das Geschehen saß deshalb auch bei den Jüngern Jesu tief. Der berühmte Satz vom Kamel und dem Nadelöhr[6] erschütterte sie: „Wer kann dann noch gerettet werden?“[7] 

Die Jünger, die ja nun alles andere als reich waren, hatten immerhin erkannt, dass es nicht um die Art und Menge des Besitzes geht, sondern um die Einstellung dazu. Die Habsucht ist eine Gefahr für Arme und Reiche: Wenn das Materielle, das Haben und Besitzen verabsolutiert wird, der Besitz zum Abgott wird und das Habenwollen zur Sucht…

Wo die Habsucht noch zu Hause ist

Aber die Habsucht ist nicht nur ein Risiko in der Welt des Geldes, bezieht sich nicht nur auf Vermögen oder Einkommen. Auch im zwischenmenschlichen Bereich ist dieses Laster präsent. Freundschaften, Familien, Ehen können durch Habsucht verdunkelt werden, wenn z.B. ein Ehepartner den anderen wie sein Eigentum behandelt, nicht dulden kann dass der andere sich entfaltet und seinen Interessen nachgeht.

Kontrollwahn, Eifersucht, Herrschsucht sind oft auch Auswüchse von Habgier, Fixiertheit auf das Habenwollen. Wie so oft zeigt sich auch hier, dass die schweren Laster, die sieben „Todsünden“, untereinander verbunden sind, sich gegenseitig verstärken – der Hochmut die Habsucht, und diese den Neid…

Aber nicht nur ent-personalisierte bzw. ungeordnete Sexualität[8] ist ein Zeichen von Hochmut und Habsucht, sondern ebenso ein „ungeordnetes“ Verhältnis zur Arbeit. Der „Workaholic“ arbeitet nicht um zu leben, sondern er lebt, um zu arbeiten – dabei vermischen sich die Motive: Der Wille zum Erwerb von noch mehr Geld wird überlagert von der Verabsolutierung der Arbeit als Selbstzweck. Dadurch wird sie von ihrer guten und sinnvollen Verankerung im Leben gelöst, wird zur Sucht und Besessenheit.

Habsucht macht einsam

Die verschiedenen Ausdrucksformen des Lasters der Habsucht haben eines gemeinsam: Sie zeigen einen egozentrischen, materialistischen Menschen, dessen Charakter verarmt und  dessen Herz verhärtet ist. Der Habsüchtige[9] wird aber durch seine Fixiertheit nicht nur hart und gefühllos, sondern auch einsam und gewissermaßen schleichend ent-personalisiert.

Der Geizige nimmt unbewusst den Charakter dessen an, was er vergöttert, wird dem leblosen materiellen Besitztum immer ähnlicher, das für ihn das Einzige ist. Und tatsächlich ähneln sich extreme Geizkrägen, habsüchtige Egomanen und hartherzige Materialisten in ihrem Auftreten und Verhalten auf verblüffende Weise.

In dem von Kindern und Erwachsenen weltweit geliebten Zeichentrickfilm „Findet Nemo“ gibt es eine Szene, die das auf überraschende Weise und sehr treffend darstellt: Eine Meute gieriger Raubmöwen tritt dort auf, in der sich alle wie ein Ei dem anderen gleichen und die schematisch, kalt und roboterhaft als Masse agieren. Sie stürzen sich auf alles und jedes, was Beute sein könnte, und ihr einziger und ständiger Ruf dabei ist „meins!“ Will man die Zerstörungskraft der Habsucht seinen Kindern demonstrieren, dann ist dies als Filmtipp nützlich…

Was tun?

Die Abhilfe (bzw. Prävention) liegt in diesem Fall auf der Hand. Zu den Geboten der Fastenzeit gehört neben dem Fasten und dem Gebet auch das Almosengeben – in zeitgemäßer Sprache: Das Spenden für Menschen in Not bzw. die Unterstützung karitativer Arbeit. Das ist natürlich nicht nur in der Fastenzeit richtig, sondern immer.

Testen wir einmal, wie stark wir an materiellen Dingen hängen. Dabei kommt es nicht auf die Höhe der Spendensumme an, sondern darauf, beim Geben zu beobachten, ob es uns schwer fällt und warum. Tut es mir leid um das Geld? Bei Sachspenden: Will ich eine Sache nicht gern weggeben, weil ich schöne Erinnerungen damit verbinde, oder weil das Haben als solches mir so wichtig ist?


Anmerkungen

[1] Unter den Worten, mit denen der klassische philosophische Begriff „Avaritia“ übersetzt wird (Habgier, Geiz, Habsucht) scheint mir „Habsucht“ besonders treffend zu sein, wie im Weiteren zu zeigen ist.

[2]Die Kirche bestätigt seit jeher das Recht auf Eigentum. Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2401 ff.

[3]Allerdings ist das kein Schutz vor der Todsünde der Habsucht. In sozialistischen Regimen ist die kollektivistische Habsucht der herrschenden Eliten geradezu Staatsräson, und es herrscht generell ein hartherziger Materialismus .

[4]Vgl. Matth. 19, 16 ff.

[5]Der archetypische, hartherzige Geizkragen in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte „A Christmas Carol“

[6]„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“, Mt.19, 24.

[7]Vor falschem Rigorismus schützt Jesu tröstliche Antwort: „Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich“, Mt. 19, 26.

[8]Das Laster/die Todsünde der „Wollust“.

[9]Auf meisterhafte Weise dargestellt in Molières großartigem Drama „l’Avare“ (Der Geizige).