In unserer Gesellschaft ist viel die Rede von Respekt und Achtsamkeit. Die Bekämpfung von Mobbing und Diskriminierung wird immer stärker institutionalisiert und scheint die volle Aufmerksamkeit von allen zu haben – von Erziehern über Wissenschaftler bis zu Politikern. Aber etwas stimmt hier nicht: Wenn es wirklich um „Respektieren“ und „Ernstnehmen“ geht, um „Wertschätzen“ und „Schützen“, wie kommt es dann, dass das gesellschaftliche Klima immer angespannter und die Auseinandersetzung immer giftiger zu werden scheint? Offenbar werden in sozialen Medien und „woken“ Kampagnen gezielt menschliche Schwächen gesucht und instrumentalisiert. Und das gibt es auch im ganz privaten Bereich, fernab jeder Politik, massenhaft sogar. Eine besonders heimtückische Waffe ist dabei der Spott. Wahrgenommen wird er in der Regel nur, wenn das Etikett „Mobbing“ passt. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Des Lebens und der Sprache Würze

Der Spott wird für gewöhnlich wenig beachtet; er ist in unserem Leben allgegenwärtig und keineswegs immer bedenklich. Im Gegenteil, in kleinen Dosen genossen, kann er das Leben interessant machen. In dieser Hinsicht gehört er in die Kategorie „Humor“. Und in dieser Verpackung schleicht er sich schnell in alle möglichen Konversationen und Kommunikationssituationen ein.

In der im Alltag fast allgegenwärtigen Ironie[1] ist er ebenso anzutreffen, wie in der Satire. Werden diese verschärft und polemisch zugespitzt, dann kann man von Sarkasmus sprechen – was ein von seiner Wortwurzel[2] her besonders vielsagender Ausdruck ist, weil er das „Schneidende“, Scharfe zum Ausdruck bringt. Manche Leute neigen zu stetigem Ironisieren und spöttischen Bemerkungen.

Man nannte sie früher „Spottdrosseln“, womit das eher Harmlose daran ausgedrückt wird. Aber mit dem Spott ist es wie mit einem scharfen Gewürz; in kleinen Dosen kann er der Kommunikation Würze verleihen. In zu großen Dosen wird alles ungenießbar und sogar schmerzhaft.

Ironie und Sarkasmus als Gegenwehr

Ironische und ein wenig spöttische Redeweise ist so lange gut und nützlich, wie der Gehalt an echtem Humor hoch genug bleibt. Wenn ich mich mit mildem Spott über einen allzu selbstbewussten und ein wenig aufgeblasenen Zeitgenossen mokiere, dann ist das für meine Psyche gut (als Ventil), und es ist ein Mittel, um ein wenig Luft aus dem Aufgeblasenen abzulassen, ohne gleich Zorn und Feindschaft zu provozieren.

Allemal besser, als ihn mit Schimpfworten zu traktieren. Manchmal bleibt sogar nur noch beißender Spott, wenn wir mit Absurditäten konfrontiert werden, wie sie das Märchen „Von des Kaisers neuen Kleidern“ spiegelt, was in unserer Gesellschaft immer häufiger vorkommt. Spott und Sarkasmus können Mittel der Gegenwehr sein, wenn gesellschaftlicher und politischer Zwang überhand nehmen, von der Political Correctness bis zum voll ausgeprägten Totalitarismus[3]. In allen diesen Fällen sind Spott, Ironie und sarkastische Bemerkungen, vereinfacht gesagt, Mittel der Gegenwehr des Schwächeren.

Wo der Spaß aufhört

Ganz anders sieht es aus, wenn das Machtgefälle umgekehrt ist und wenn Spott zum Niedermachen und Herabwürdigen von Schwächeren dient. Dann wird schnell die Grenze zum Boshaften überschritten, und das ist leider viel häufiger der Fall als das oben Genannte, im öffentlichen Leben ebenso wie im ganz privaten Alltag, buchstäblich in allen menschlichen Gesellschaften.

Und wir alle kennen die Grenze, wir fühlen, wenn sie überschritten wird, obwohl es kaum eine wissenschaftliche Definition geben dürfte, wo der Übergang von der gut gemeinten Ironie zum verletzenden Spott verläuft, wann aus harmloser „Frotzelei“ maliziöse Verspottung wird. Und dabei geht es nicht mehr nur um die Dosis. Vielmehr enthält der Spott i.e.S. von Anfang an ein kaustisches Element, etwas Zersetzendes, Zerstörendes.

Im Kreise der Spötter

Diese Art des Spottes mit ihrer verheerenden Wirkung ist schon dem Alten Testament bekannt. Gleich zu Beginn des Buches der Psalmen – das bis zum heutigen Tag auch eine Art Gebetbuch der Kirche ist – heißt es: „Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt“ (Ps. 1, 1). Hier werden die Spötter in einem Atemzug mit Frevlern (Gottlosen) und Sündern genannt.

Nicht um witziges „Spötteln“ geht es hier, nicht um fröhliche „Spottdrosseln“ und satirische Verfremdung. Wer da in einer Reihe sitzt mit Gottlosen und Unbußfertigen, der ist auf Böses aus, auf Entehrung und Auslöschung. Dem Psalmisten geht es wohl nicht nur um Gemeinheiten im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch um das Gesetz und die Propheten, die von Spott und Geringschätzung bedroht werden. Die Spötter in diesem Sinne sind solche, die Menschen, Werte und Wahrheiten herabwürdigen, die Begriffe verwirren und dadurch Menschen in die Irre führen; und damit bekommen diese Worte des Psalms plötzlich unheimliche Aktualität.

Die Reihung (Frevler, Sünder, Spötter) kommt uns in der deutschen Sprachfassung schon fast wie eine Steigerung des Verwerflichen vor, denn die Spötter verbreiten das Frevelhafte und Verwerfliche, das dadurch ansteckend wird. In der auf die Septuaginta[4] bezogenen lateinischen Übersetzung der Bibel gibt es eine Textvariante, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt und sogar ohne weitere Übersetzung verständlich ist: Der Kreis der Spötter heißt dort „cathedra pestilentiae“[5].

Das unterschätzte Laster

Wer sitzt nun aber in diesen Spötter-Kreisen? Sind es nur die Anderen da draußen? In den Medien? Da gibt es jede Menge, ohne Zweifel. Aber in Wahrheit sehen wir solche Kreise ständig, sind wir allzu oft mit ihnen konfrontiert, ohne darüber nachzudenken – und ohne viel dagegen zu tun. Seien wir ehrlich! Wir alle kennen das: In der Schule und im Sportunterricht, im Verein und auf der Familienfeier, im Büro und beim Betriebsausflug.

Wir alle kennen sie, die Spötter, die bei jeder einzelnen Begegnung immer dieselben bissigen Bemerkungen loslassen; die sich boshafte Spitznamen ausdenken; die ständig feixen und Übles insinuieren; die über jedes kleine Missgeschick gellend lachen. Neuerdings spricht man von „Bullies“ und von „Mobbern“, aber weit unterhalb des so definierten Mobbing wirkt in unserem Alltag der Spott; er ist Teil der Gruppendynamik fast jeder größeren Gruppe, und nicht selten auch in kleinen. Im Gegensatz zu den großen bekannten „Lastern“[6] geht der Spott allzu leicht unter unserem ethischen „Radarschirm“ durch. Wir sollten mehr darauf achten und uns dagegen wenden – schon im Interesse unserer Kinder.

Das Gegenteil von Spott

Zu den klassischen „Lastern“ können wir meist auch eine entgegengesetzte Tugend benennen. Es ist aber gar nicht so leicht zu sagen, was denn das Gegenteil von Spott sein könnte. Ich denke es ist die Güte[7]. Ein gütiger Mensch sucht nicht nach Möglichkeiten andere herabzusetzen; er muss nicht immer triumphieren und er verschluckt auch schon mal eine witzige Bemerkung, die ihm auf der Zunge liegt – jedenfalls wenn er annehmen muss, der andere könnte sich verletzt fühlen. Und schon dieses, die bloße Wahrnehmung dass ein anderer sich verletzt fühlen könnte, ist ein Zeichen von Güte.

Ein kalter, herrschsüchtiger Mensch kommt gar nicht auf die Idee – und wenn er es merkt, dann ist es ihm egal. Einem gütigen Menschen hingegen ist es nicht gleichgültig, was seine Worte und Taten bewirken. Dieses etwas altmodisch klingende Wort „Güte“ bezeichnet etwas, ohne das keine menschliche Gesellschaft auf Dauer Bestand haben kann. Das liegt an ihrer transzendenten Verwurzelung; in ihr leuchtet der „göttliche Funke“ in uns Menschen nach.

Erziehen wir unsere Kinder also nicht nur zu Selbstbewusstsein und Erfolgsorientierung – so wichtig das auch weiterhin bleibt! Die gute Nachricht ist: Güte ist kein Spaß-Killer, ganz im Gegenteil! Der große Philosoph Romano Guardini hat es unübertrefflich formuliert: „Und noch etwas gehört zur Güte, von dem man nur selten spricht, das ist der Humor.

Er hilft zum leichteren Ertragen – ja ohne ihn geht es eigentlich überhaupt nicht. Wer den Menschen nur ernst sieht, nur moralisch oder pädagogisch, hält es mit ihm auf Dauer nicht aus. Er muss ein Auge für das Sonderbare des Daseins haben“[8]. Um Humor geht es hier, nicht um Spott. Es ist ein beunruhigendes Zeichen unserer Zeit, dass immer mehr öffentlicher und nichtöffentlicher Spott einher geht mit bitterer Humorlosigkeit. Kein Zeichen von Menschlichkeit und Güte!


[1]Nach der griechischen Wurzel eigentlich „Verstellung“.

[2]Vom altgriechischen Wort für Fleisch (σάρξ / sarx) – quasi ins Fleisch schneidend

[3]Der politische Witz blüht gerade unter der Last unduldsamer Gesellschaften und unterdrückerischer Regime.

[4]Die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Altgriechische, nach den legendären siebzig (septuaginta / LXX) Übersetzern benannt. Es war die maßgebliche und unentbehrliche Ausgabe der Schrift für das hellenistische Judentum, in dem die Kenntnis des Hebräischen stark nachgelassen hatte.

[5]Biblia Sacra (Vulgata). 5. Aufl. Hrsg. Roger Gryson / Robert Weber. Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1969, 2007. S. 770.

[6]Vgl. die Beitragsserien über Laster https://erziehungstrends.info/?s=Laster bzw. https://erziehungstrends.info/category/die-sieben-todsuendenund Tugenden https://erziehungstrends.info/category/kardinaltugenden

[7]Vgl. hierzu: Romano Guardini. Tugenden. Meditationen über Gestalten sittlichen Lebens. Ostfildern / Paderborn 1987. S. 103 ff. 

[8]a.a.O. S. 105.