Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus, der für uns mit Dornen gekrönt wurde.

Zur grausamen Misshandlung kommt der Spott hinzu. Den Folterknechten reicht es nicht, Jesus bis zur Besinnungslosigkeit zu schlagen; sie verhöhnen, lästern, bespucken ihn. Mit der Dornenkrone[1] treiben sie ihren Spott auf die Spitze: Den König der Juden statten sie mit boshaft pervertierten Königs-Insignien aus: Purpurmantel, Pseudo-Zepter und „Krone“[2]. Hier mag auch Hass der Besatzer gegen das jüdische Volk eine Rolle gespielt haben; jedenfalls spüren wir aus den Berichten der Passionsgeschichte die Rohheit und Verachtung der brutalen Schergen. Die menschliche Bosheit erreicht ihren Höhepunkt: Der Gottesknecht wird gequält und verächtlich gemacht, der schlechthin Gute, Heilige, in einen Abgrund des Bösen gestoßen.

Tiefer kann ein Mensch nicht fallen als diese brutalen Folterer: Zur äußersten Gewalt kommt die äußerste Erniedrigung ihres Opfers. Mit Schrecken sehen wir, wozu Menschen fähig sind. Und mit Schrecken wird uns bewusst, dass so etwas auch in unserer Gegenwart immer wieder geschieht. Wir denken an die Mord- und Folterexzesse in Kriegsgebieten. Aber die Verachtung des Menschen, die perverse Lust an der Erniedrigung finden wir in allen Abstufungen auch im ganz normalen Alltagsleben. Allein durch Spott, Mobbing, Häme werden Menschen seelisch zerstört. Sie mögen an ihren Körpern nicht die Wunden der Geißelung tragen, aber innerlich sind sie schwer verwundet. Und niemand schert sich darum.

Die Dornenkrone muss furchtbare Schmerzen verursacht habe. Dazu die Stockschläge, wodurch die Dornen nur noch tiefer in die Wunden gepresst wurden. In welchem Zustand war der gegeißelte und verspottete Jesus, als Pilatus ihn dem Volk vorstellte: Seht ihn Euch an, diesen Menschen[3]… Hatte er erwartet, die aufgehetzte, johlende Menge werde sich zufrieden geben mit diesen barbarischen Misshandlungen, so dass er den Mann doch noch freilassen könnte[4]? Lag Mitleid in diesen Worten, oder Verachtung? Unterbewusst vielleicht sogar Furcht[5]? Wie auch immer – es gab kein zurück. Die Raserei kennt kein „vorläufiges“ Ende, kein Maß und kein Erbarmen.


[1]Die Dornenkrone scheint nicht nur ein Kranz gewesen zu sein, sondern den ganzen Kopf umfasst zu haben – jedenfalls ausweislich des Turiner Grabtuches. Vgl. hierzu: https://www.wordonfire.org/articles/he-saw-the-cloths-and-believed/

[2]Mt. 27, 27-31a / Mk. 15, 16-20a

[3]Auf Lateinisch: Ecce homo! Joh. 19, 5. Einer von mehreren Aussprüche des Pilatus, die sprichwörtlich geworden sind, tief in das kollektive Unterbewusstsein der Menschheit eingegraben.

[4]Dass er ihn eigentlich freilassen wollte, ist eindeutig. Vgl. auch Apg 3, 13.

[5]Vgl. die warnenden Worte der Frau des Pilatus: Mt. 27, 19.