Aus der „Ampel“ vernehmen wir mal wieder Vollmundiges. In den Verhandlungen zum Inflationsausgleichsgesetz sei eine „kräftige zusätzliche Erhöhung des Kindergeldes“ erreicht worden, hieß es Anfang November aus der Koalition. Bisher war für Jahresanfang 2023 eine Erhöhung von zuletzt 219 (für das erste und zweite Kind) bzw. von 225 (für das dritte Kind) auf 237 Euro für die ersten drei Kinder geplant. Jetzt sollen es 250 Euro einheitlich für alle Kinder werden. Das heißt: Ein erstes und ein zweites Kind erhält eine Erhöhung des Kindergeldes um je 31 Euro, ein drittes Kind um 25 Euro. Ab dem vierten, fünften usw. Kind gibt es bereits 250 Euro. 

„Der bisher größte Schritt, den es beim Kindergeld je gab.“

Diese Erhöhung sei, so SPD-Fraktionsvorsitzender Mützenich „der bisher größte Schritt, den es beim Kindergeld je gab.“ Die „grüne“ Bundesfamilienministerin Lisa Paus ergänzte: „Damit senden wir den Familien die Botschaft: Wir lassen euch nicht allein.“ Bei so viel Selbstlob wollte auch Andreas Audretsch, Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, nicht zurückstehen; er sprach von einer „großartigen Nachricht“ für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen, für viele Alleinerziehende und vor allem für Kinder. Wörtlich: „Gerade in dieser Krise müssen wir uns auf die konzentrieren, die tatsächlich Unterstützung brauchen.“

Werden nun 16,7 Millionen kindergeldberechtigte Kinder und vor allem deren Eltern die „Ampel“ waschkorbweise mit Dankesbriefen zuschütten? Nein, sie werden es nicht. Denn dieses angeblich gigantische Plus von bis zu 31 Euro monatlich reicht bei weitem nicht aus, um die inflationär gestiegenen Preise für Lebensmittel, für Kleidung, für Hygieneartikel wie Windeln, für die Heizung im Kinderzimmer usw. abfedern. Hier sei in Erinnerung gerufen, was selbst das Statistische Bundesamt errechnet hat – und zwar noch vor der aktuellen Inflation: Danach kosten Kleinkinder bis zur Einschulung im Schnitt 6.200 Euro im Jahr, also rund 500 Euro im Monat. Danach sind es 700 bis 800 Euro pro Monat. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls zu befürchten, dass der Anteil armutsgefährdeter Kinder (2021: 20,8 Prozent) weiter ansteigen wird, das heißt, dass mehr als ein Fünftel der Kinder in Haushalten aufwächst, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben. 

Nicht auf dem Schirm der Politik: Kinderreiche Familien

Es war durchaus vernünftig und gerechtfertigt, dass das Kindergeld bei kinderreichen Familien mit mehr als drei Kindern etwas höher angesetzt war als bei Kindern mit einem Kind beziehungsweise mit zwei oder drei Kindern. Kinderreiche Familien haben nämlich überproportional höhere Kosten: Sie brauchen zum Beispiel unverhältnismäßig größere Wohnungen und größere Autos. Eltern mit mehr als drei Kindern können es sich zudem seltener erlauben, beide berufstätig zu sein. All dies ist ein gewichtiger Grund, warum kinderreiche Familien eher von Armut betroffen sind als Familien mit weniger Kindern. Das hat die Bertelsmann Stiftung soeben, am 10. November, in einer aktuellen Studie basierend auf der Basis von Daten des Statistischen Bundesamts bestätigt. [1]

Der Studie zufolge gilt fast ein Drittel aller Familien mit mindestens drei Kindern als einkommensarm. Knapp 18 Prozent beziehen Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld. Insgesamt gibt es rund 1,3 Millionen Mehrkindfamilien in Deutschland, das entspricht etwa jeder sechsten Familie. Das Risiko, in die Armut zu rutschen, ist für Paarfamilien mit mindestens drei Kindern insgesamt fast dreimal so hoch wie für Familien mit zwei Kindern.

Eine der Mit-Autorinnen der Bertelsmann-Studie, Professor Sabine Andresen, sagt denn auch zu Recht. „Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert; übersehen werden dabei ihre enormen Leistungen für die Gesellschaft. Wer drei Kinder oder mehr großzieht, sorgt im Umkehrschluss dafür, dass der Generationenvertrag unserer solidarisch organisierten Sozialversicherungssysteme funktioniert. Ohne die Care-Arbeit der Eltern, vor allem der Mütter, die dafür häufig auf die eigene Karriere und damit ausreichende Altersvorsorge verzichten, wäre das nicht möglich. Schon deshalb schulden wir diesen Familien eine gezielte Unterstützung, mehr Wertschätzung sowie die Überwindung von Klischees.“

Schiefe finanzpolitische Relationen 

Schauen wir uns nun die großen, die finanzpolitischen Zahlen genauer an und setzen sie in Relation zu manch anderen Finanzplänen und Ausgaben der „Ampel“: Die Auszahlungen der Familienkasse beliefen sich im Jahr 2021 auf knapp 47,6 Mrd. Euro (Vorjahr 46 Mrd.) für Kindergeld und 1,27 Mrd. Euro (Vorjahr 1 Mrd.) für Kinderzuschlag. In der Summe sind dies also 48,87 Mrd. Euro. Der Vollständigkeit halber rechnen wir hinzu: Mit dem Dritten Corona-Steuerhilfegesetz wurde für 2021 ein Kinderbonus für jedes kindergeldberechtigte Kind gewährt. Dieser kam den Familien in Form einer Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro zugute. Insgesamt wurden dabei 2,62 Mrd. Euro ausgezahlt.

Was bedeutet die nun beschlossene Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro pro Kind und Monat? Das Plus von 31 (für ein erstes und zweites Kind) bzw. 25 Euro (für ein drittes Kind) beansprucht den Bundeshaushalt mit geschätzt rund 6 Milliarden pro Jahr. Der Bund wird also ab 2023 für Kindergeld geschätzt rund 54 bis 55 Milliarden ausgeben. 

Ist das nicht genug?

Nein, ist es nicht, vor allem wenn man dieses Geld bzw. die geringfügige Erhöhung mit so manch anderen (Fehl-)Ausgaben des Bundes vergleicht. Wir stellen einmal ohne jeden Anspruch auf Systematik und Vollzähligkeit einige Vergleich an – mögen sie da oder dort auch etwas hinken:

1.

Am 4. September 2022 hat die Bundesregierung zusammen mit zwei ersten Entlastungspaketen Hilfen in Höhe von 95 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Bundeskanzler Scholz sagte mit stolzgeschwellter Brust: „You’ll never walk alone, wir werden niemanden alleine lassen.“ Zu diesem Entlastungspaket gehörten – neben dem mittlerweile etwas weiter angehobenen Kindergeld: eine Energiepauschale für Rentner und Studierende, ein günstiger Strompreis für Basisverbrauch, ein Nachfolger des 9-Euro-Tickets, eine Erhöhung der Regelsätze beim künftigen Bürgergeld und ein Inflationsausgleich.

2.

Am 10. November verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der „Ampel“ das sog. Bürgergeld. Ob es tatsächlich kommt, steht noch in den Sternen, denn die Union will es im Bundesrat zu Fall bringen. Nach dem Gesetzentwurf entstehen durch das Bürgergeld im Jahr 2023 Mehrkosten in Höhe von 4,8 Milliarden Euro, wovon 4,2 Milliarden Euro auf den Bund entfallen. Bis 2026 können die Kosten auf 5,9 Milliarden Euro anwachsen. Kernproblem des Bürgergeldes ist die Vernachlässigung des Lohnabstandsgebots. Das heißt: Für manche Leute lohnt es sich nicht mehr zu arbeiten, weil sie mit dem Bürgergeld besser dastehen. Der Bundesrechnungshof übt denn auch scharfe Kritik am Bürgergeld. 

3.

Nach einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat Deutschland im Jahr 2021 netto 21,4 Mrd. Euro mehr in den EU-Haushalt eingezahlt, als es erhalten hat – beinahe doppelt so viel wie der zweitgrößte Zahler Frankreich mit 10,9 Millionen. Es folgen die Niederlande mit knapp 4,1 Milliarden, Schweden mit 2,5 Mrd. und Dänemark mit rund 1,5 Mrd. Euro. Bei den Nettoempfängern liegt Polen mit 12,9 Milliarden Euro vorne, vor Griechenland mit 4,7 Milliarden Euro und Ungarn mit 4,3 Milliarden Euro. Es fällt zudem auf: Der deutsche Nettobetrag ist von 2020 auf 2021 um 5,9 Milliarden Euro stark gewachsen. 

4.

Asylbedingte Leistungen des Bundes schlagen im Jahr 2022 mit 2,2 Milliarden Euro zu Buche.

5.

Das 2019 vom Europäischen Gerichtshof gestoppte Prestigeprojekt einer PKW-Maut könnte den Bund noch Ersatzzahlungen in Höhe von 560 Millionen Euro an die vorgesehenen Betreiber kosten. Bislang mussten dafür bereits 21,5 Millionen Euro für Rechtsstreitigkeiten ausgegeben werden.

6.

Die Merkel-Vorgängerregierung hat eine Erweiterung des Kanzleramtes um 400 Büros angeleiert. Der Erweiterungsbau des Kanzleramtes, das jetzt schon um ein Vielfaches größer ist als das Weiße Haus in Washington, wird nach aktuellem Stand rund 800 Millionen kosten.

7.

Die „Ampel“-Regiering hat den Personalstock aller Bundesbehörden (zuletzt 294.721 Stellen) um 5.269 Stellen aufgestockt. Das ergibt Mehrkosten von hochgerechnet rund 700 Millionen Euro.

8. 

Laut Grundgesetz hat der Bundestag eine Mindeststärke von 598 Abgeordneten. In der Legislaturperiode 2013/17 waren es 630, in der Legislaturperiode 2017/2021 709 Abgeordnete. Jetzt sind es 736. Allein die Vergrößerung des Bundestages von 630 auf 736 Abgeordnete schlägt mit 150 Millionen (pro Jahr!) zu Buche. 

9.

Für die Covid-19-Impfkampagne legte der Bund bis Ende des Jahres 2021 bislang rund 7 Milliarden Euro hin. 

10.

Für die Mut- und Mitmach-Impfkampagne des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Titel „Ich schütze mich … weil …“, die Mitte Oktober 2022 gestartet war, sowie für die geplante Aufklärungskampagne zur Grippeimpfung waren Kosten in Höhe von 79,3 Millionen Euro kalkuliert. Für die PR-Arbeit zum Thema Corona hat das Gesundheitsministerium 2022 bereits rund 77 Millionen Euro ausgegeben.

11.

Die Bundesregierung muss mehr als vier Millionen Corona-Impfstoffdosen wegen fehlender Abnehmer vernichten. Zum 13. September hätten rund 4,6 Millionen Dosen der Hersteller Novavax und Moderna im zentralen Lager des Bundes ihr Verfallsdatum überschritten. Bei einem damaligen Einkaufspreis von 20 Dollar pro Stück machen 4,6 Millionen Dosen rund 100 Millionen Euro aus.

12.

Im Oktober 2022 wurde bekannt, dass die Bundesregierung 790 Millionen Corona-Schutzmasken wegen Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgen lassen muss. Man spricht euphemistisch von einer „thermischen Verwertung“ der Masken. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zu Beginn der Pandemie rund 5,8 Milliarden Masken für rund knapp sechs Milliarden Euro gekauft. Der Einkauf rief auch den Bundesrechnungshof auf den Plan, der Spahn wegen „massiver Überanschaffung“ rügte. Geschätzter Verlust: mindestens 100 Millionen Euro.

13.

Das Familienministerium fördert Maßnahmen gegen Rassismus, gegen Rechts usw. derzeit mit 165 Millionen. Im Jahr 2022 soll es hier eine Steigerung um zehn Prozent, also auf rund 180 Millionen geben.

Alles in allem

Es sind dies 13 Beispiele, die – wie gesagt: unsystematisch – belegen, wo „Luft“ ist oder wo Geld quasi zum Fenster hinausgeworfen wurde. Vor allem: Wo Luft für mehr Familienförderung gewesen wäre. Die politisch Verantwortlichen, von denen übrigens selbst immer weniger Eltern sind, wären dann einer Vorgabe des Grundgesetzes ein wenig nähergekommen. Dort steht nämlich in Artikel 6 (1) fest: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Ist diese verpflichtende Vorgabe nur noch Verfassungstext, aber nicht mehr Verfassungswirklichkeit?

Es wäre im übrigen an der Zeit, dass sich die „Ampel“ an das erinnert, was sie im Dezember 2021 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat. Wir zitieren bewusst eine etwas längere Passage aus dem Kapitel „Kindergrundsicherung“ /(S. 78/79): 

„Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen. Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen … In einem Neustart der Familienförderung wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln … Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern. Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Volljährige Anspruchsberechtigte erhalten die Leistung direkt. Mit dem Garantiebetrag legen wir in dieser Legislaturperiode die Grundlage für unser perspektivisches Ziel, künftig allein durch den Garantiebetrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens zu entsprechen.“

Das müsste sich die „Ampel“ vornehmen und nicht nur immer an ihren hochideologisierten Prestigeprojekten eines Selbstbestimmungsgesetzes, eines Bürgergeldes, einer nahezu voraussetzungslosen Gewährung von Asyl, einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht, der Cannabisfreigabe und dergleichen arbeiten.

Und eines sollten wir auch nicht vergessen: Alles, was die „Ampel“-Regierung jetzt an „Sondervermögen“ installiert, sind Sonderschulden. Wer soll diese Schulden eines Tages abtragen? Klar, es sind die Heranwachsenden, die jetzt von den Schuldenmachern so erbärmlich kurzgehalten werden. Zukunftsorientierte Politik schaut anders aus.

(mit freundlicher Genehmigung vom Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V.)


[1] Kinderarmut zeigt sich besonders bei Mehrkindfamilien