Isa Vermehren bedenkt, wie das Selbstverständnis des Mädchens und seine Entwicklung zur reifen Frau am besten gefördert werden kann. Dabei befragt sie auch, wie das Hineinwachsen in eine gute Beziehung zum anderen Geschlecht erreicht werden kann. Durch ihre reiche Erfahrung als Direktorin mehrerer Mädchenschulen gepaart mit feinsinniger Beobachtungsgabe veranschaulicht sie, dass Mädchenschulen auf diesem Weg eine wichtige Rolle spielen können.
Beziehung zu Jungen Privatsache
In einer Mädchenklasse entwickelt sich ein Gefühl des „Unter-sich-Seins“, das den Mitgliedern erlaubt, sich in größter Unbefangenheit und Natürlichkeit zu äußern. Wenn Konkurrenzverhalten im Spiele ist, dann eines, das auf Leistung und Ansehen im Zusammenhang mit der Sache gerichtet ist; gelegentlich kommen auch gesellschaftliche Prestigefragen zur Geltung – man kann frühzeitig die künftigen Hyänen von den Lämmern unterscheiden. Immer handelt es sich um Entwürfe der eigenen species, die auch nur von „insiders“ beurteilt werden, was durchaus nicht immer die größere Milde garantiert!
In einer Mädchenschule bleibt die Frage nach den Jungen, die Frage nach dem Jungen, dem Freund, Privatsache, wie es der Beziehung auch angemessen ist. In Klasse 7 und 8 wird zwar unendlich viel von Jungen geredet, und Schülerinnen der Klasse 8 und 9 lassen sich gerne von ihren
Freunden abholen, um zu zeigen, dass sie einen haben; später verliert sich das. Im Schulalltag gewinnt diese Frage keine Auffälligkeit – nicht zum Schaden der Sache und sehr zum Vorteil von Disziplin und Atmosphäre – zwei Faktoren, deren Beschaffenheit für einen erträglichen und ergiebigen Schulalltag gar nicht überschätzt werden können.
Im eigenen Saft schmoren
Die Mädchenschule lässt ihre jungen Damen ein wenig im eigenen Saft schmoren – sie schmecken sich selbst, unter Umständen bis zum Überdruss, aber was macht das? Die eigene Art muss zur Kenntnis genommen werden, man kann ihr nicht entfliehen, man muss sie erziehen. Und so wie man auf jeden Eindruck mit einem schnellen und sicheren „gefällt mir, gefällt mir nicht“ reagiert, so auch auf die vielen „Modelle“ weiblicher Mentalität, von denen die Mädchen umgeben sind: „so möchte ich sein, so möchte ich nicht sein“, „das finde ich gut an ihr, das finde ich nicht gut“.
Unsere Abiturientinnen verlassen ihre Mädchenschule in vielem vielleicht unerfahrener, in manchem auch ungeübter, aber in sich gereifter, selbstsicherer, selbstbewußter im wertneutralen Sinn als andere, die zu viele Phasen und Schritte der Verinnerlichung, des inneren Auf- und Ausbaues der eigenen Ich-Struktur übersprungen oder versäumt haben. Sie haben Anmut und Charme und können sich daraus freuen.
Rechtzeitig den Reichtum der eigenen Natur kennen lernen
Das lange Zusammensein der Mädchen unter sich, wie eine Mädchenschule es gewährt, scheint mir ein ebenso unauffälliges wie geeignetes Mittel zu sein, sie den Reichtum ihrer eigenen weiblichen Natur kennen lernen zu lassen, damit sie in der Begegnung mit dem Mann wissen, was sie zu geben (und auch zu verlieren) haben und nicht erst dann anfangen, nach sich selber zu suchen.
Ob die Zusammenarbeit mit Jungen in der Schule, die Begegnung mit ihrem Intellekt, ihrer anderen Denkungsart nicht stimulierend wäre und eine Bereicherung? Eine Vorbereitung auch für später? Vielleicht, aber der männliche Intellekt ist nicht schon deshalb interessanter als der eigene, weil er männlich ist, sondern nur dann, wenn es ein guter und scharfer Intellekt ist – und den findet man auch bei Mädchen.
Und das „Später“, die Zukunft, sie drängt durch alle Löcher und Ritzen in unsere Gegenwart und will sie uns aus der Hand reißen, und doch meine ich, es gehöre zur echten Geduld, jeder Phase ihr eigenes Recht zuzugestehen, das heißt auch so viel wie in der Gegenwart leben, in der Realität – um sie geht es uns. Sie ist verlässlich für den, der gelernt hat, sich zu verlassen, sich einzulassen auf das, was von Gott her unsere Wahrheit und Wirklichkeit ist. Sie ist unsere Domäne.