Die verdienstvolle „Aktion Mensch“ kümmert sich seit Jahrzehnten um behinderte Kinder. Der ursprüngliche Name „Aktion Sorgenkind“ wurde aus verschiedenen Gründen aufgegeben, doch drückt er nach wie vor eine Wahrheit aus. Eltern behinderter Kinder haben oft eine besondere Last zu tragen, sei es wegen der speziellen Bedürfnisse ihrer Kinder, sei es wegen des Unverständnisses und der abweisenden Art vieler Zeitgenossen.

Aber Sorgen gehören zu jedem Elternalltag dazu, auch wenn die Kinder keine Behinderung haben. Selbst die glücklichsten und scheinbar sorglosesten Eltern, deren Kinder kerngesund sind und einen guten Weg gehen, können viele Geschichten von Sorgen und Nöten erzählen. Und diese hören nicht auf, wenn der Nachwuchs „auf eigenen Beinen steht“.

Es stimmt schon, was das Sprichwort sagt: Eltern sind immer nur so glücklich wie das am wenigsten glückliche ihrer Kinder. Und trotzdem gibt es kaum etwas im menschlichen Leben das so erfüllend ist (und „intrinsisch“, in sich gut) wie das Elternsein. Im Tiefsten liegt das daran, dass es „ein sichtbarer Anteil der Eltern an der Schöpfung“[1] ist. Gerade in unserer Zeit sollten wir extra sorgsam damit umgehen.

Von „Engelmachern“ und echten Engeln

Das Diktum Jesu von den Kleinen, deren Engel stets das Angesicht Gottes sehen[2] gilt sicher nicht nur für verführte und misshandelte Kinder, sondern in gleicher Weise für behinderte. Niemand kennt vermutlich die genaue Zahl der Kinder, die wegen einer manifesten oder vermuteten Behinderung noch im Mutterleib getötet werden. Dass diese Zahl erschreckend hoch sein muss, zeigt sich schon daran, dass es bereits ganze Staaten gibt, in denen z.B. fast keine Kinder mit Trisomie 21 mehr geboren werden, weil dies relativ leicht und früh zu diagnostizieren ist. Die Selektionsratetendiert gegen neunzig Prozent, und wenn auch entsprechende Statistiken oft schwer zu beschaffen sind, ist doch erkennbar, dass der Trend auch in Deutschland massiv in diese Richtung geht.

„Das muss doch heute nicht mehr sein…“

Unterschwellig setzt sich ein Denken durch, dass den Eltern Behinderter eine Art Schuld zuweist, nach dem Motto „hätten sie doch ihre Kinder rechtzeitig abgetrieben, dann blieben der Solidargemeinschaft Kosten erspart…“ Eine wahrhaft barbarische Ansicht, in zweifacher Hinsicht: Einerseits zeugt dieses Denken von gnadenloser Abwertung und Verzweckung menschlichen Lebens. Außerdem werden die schweren körperlichen und seelischen Schäden und Spätfolgen jeder Abtreibung für die betreffenden Eltern einfach ausgeblendet. Eltern, die ihre Kinder wegen einer vorgeburtlichen Diagnose haben abtreiben lassen, leiden oft lebenslang unter diesem unheilbaren Trauma.

Echte Helden?

Natürlich sollte auch niemand die Sorgen und Nöte der Eltern behinderter Kinder auf die leichte Schulter nehmen. Sie bräuchten viel mehr echte Solidarität und Zuwendung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, statt gesellschaftspolitischen Schwadronierens. Und doch dürfen wir nicht nur das Belastende und Sorgenvolle hervorheben. Eltern behinderter Kinder empfinden ungeachtet aller Lasten und Mühen auch echtes Glück, und vor allem lieben sie ihre Kinder und werden von ihnen geliebt.

Potemkinsche Moral

Es ist ein Zeichen von Verwirrung und Orientierungslosigkeit in unserer Gesellschaft, dass einerseits mit echtem Engagement immer neue Inklusions-Programme für Behinderte aufgelegt und z.B. an Schulen implementiert werden, während gleichzeitig durch massenhafte vorgeburtliche Kindstötung die Zahl der Behinderten höchst effizient verringert wird. Auf der einen Seite wird – ähnlich wie bei der unseligen Gendersprache – schon das Reden von Behinderung quasi unter Verdacht gestellt[3]; auf der anderen soll Abtreibung gänzlich freigegeben werden[4]. Diese Art Potemkinscher Moral ist auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Wir sollten uns wieder klar machen, was die Worte  in diesem Zusammenhang bedeuten: Ihre Engel sehen jederzeit das Angesicht Gottes

Ganz alltägliche Sorgen

Aber auch Familien, in denen keine behinderten Kinder leben, wissen zuweilen von beinahe existenziellen Sorgen und Nöten zu berichten. Alkoholmissbrauch, Drogen, Pornographiesucht, Verführung durch Sekten und Extremisten etc. sind nur die Spitze des Eisbergs. Darunter gibt es vieles mehr, was weniger bedrohlich klingt, aber Eltern Sorgenfalten ins Gesicht treiben kann: Der Verlust gemeinsamer Werte, Abkühlung des Verhältnisses zu Eltern und Geschwistern, Schulversagen oder Leistungsverweigerung – alles Sorgen und Nöte, die Väter und Mütter langfristig um den Schlaf bringen.

Der verlorene Sohn

Alle diese Fälle sind in paradigmatischer Weise in einem der berühmtesten Texte des Neuen Testaments abgehandelt: in Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk. 15, 11-32). Man kann sich nur wünschen, dass es trotz der rasanten und gedankenlosen Säkularisierung im Bereich Schule und Erziehung doch noch weitererzählt wird. Denn es enthält Trost für beide Seiten, Eltern und Kinder. Die bedingungslose Vergebung des Vaters für den reumütigen Sohn ist das perfekte Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen; aber es ist auch das nachahmenswerte Beispiel das zeigt wie zerfallene Familien, gestörte Eltern-Kind-Beziehungen und ähnliche Nöte geheilt werden können. Heutzutage spricht man gern von dem „Gleichnis vom barmherzigen Vater“, was bei der Betrachtung von Freud und Leid der Elternschaft auch einleuchtet. Dennoch scheint mir der (ein wenig schmerzhafte) Fokus auf den verlorenen Sohn wichtig. Es geht nicht um Dummejungenstreiche und ein schnelles „Schwamm drüber“, sondern um Existenzielles.

Wir sind doch gut…

Und seien wir ehrlich: Klammheimlich sind wir, wenn wir das Gleichnis hören, immer ein wenig auf der Seite des anderen Sohnes, der sich anständig benommen hat, aber scheinbar ohne Anerkennung bleibt[5]. Unser Gerechtigkeitssinn – aber auch unser Ego – wehrt sich gegen die vermeintliche Nichtanerkennung der Anständigen. Aber genau da machen wir einen Fehler, und es kann hilfreich sein sich das klar zu machen: Liebe rechnet nicht auf; in ihr zeigt sich der „göttliche Funke“ in uns. Wenn verlorene Söhne oder Töchter zurückkehren, dann rechnen wir ihnen ja nicht vor, wie wir oder Andere inzwischen so rechtschaffen geblieben seien. Täten wir es, dann gäbe es keine Aussöhnung. Der Trost liegt in der Bedingungslosigkeit der Liebe; alles Aufrechnen und jedes wenn und aber wären dabei zerstörerisch – bzw. ein Zeichen fehlender Liebe. Dagegen befreit echte Vergebung und stellt den ursprünglichen guten Zustand wieder her. Auch nur einen einzigen ganz leichten Fall dieser Art erleben zu können, ist mehr wert als ein Sechser im Lotto. Da berühren sich Himmel und Erde.

Was tun?

Ein paar ganz einfache Faustregeln können uns helfen mit Nöten unserer Kinder (und unseren Nöten mit ihnen) besser fertig zu werden:

  • Sprechen wir mit unseren Kindern, egal ob noch klein oder schon erwachsen; nehmen wir uns Zeit für sie. Immer! Das ist mehr wert als alle Theorie.
  • Beten wir regelmäßig für sie – und gelegentlich auch mit ihnen.
  • Versetzen wir uns in ihre Lage und denken wir zurück an unsere eigene Kindheit und Jugend, bevor wir urteilen.
  • Aber scheuen wir auch nicht vor einem klaren Wort zurück, wenn es angesagt ist! Falsche Rücksicht („müssen sie selbst erkennen…“) oder Furchtsamkeit können extrem schaden!
  • Suchen wir uns gleichgesinnte Eltern, eventuell auch ähnlich sorgenvolle, und tauschen wir uns mit ihnen aus. Das ist tröstlich und manchmal auch einfach nützlich.
  • Wehren wir uns im „bürgerschaftlichen“ Engagement gegen die Gefährdungen und Beleidigungen unserer Kinder (und unserer selbst) – gegen „Wokismus“, Bullying, unangemessene, sexualisierende Ideologien, und auch gegen mangelnde Sensibilität bei besonderen Bedürfnissen der Kinder. Vor allem aber: Schweigen wir nicht!
  • Lassen wir uns in unserem Denken und Handeln nicht vom „Mammon“ versklaven, auch nicht im Unterbewusstsein. So unabweislich wichtig materielle Bedürfnisse und gesellschaftliche Anerkennung auch sind, was am Ende zählt unterliegt keiner Peer Review und kann nicht monetarisiert werden.

[1]Vgl. Beitrag „Kinder, Kinder…“ Teil 1, Anm. 1.

[2]Mt. 18, 10: „…ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters“. Vgl. den Beitrag „Kinder, Kinder…“ Teil 2, Anm. 5.

[3]Es gibt absurde Wortschöpfungen wie „ableistisch“ (von engl. „able“, fähig, unbehindert, im Gegensatz zu „handicapped“) durch die das Reden von Behinderung reglementiert und kontrolliert werden soll, mit dem vorgeblichen Ziel Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung zu schützen.

[4]Was eindeutig verfassungswidrig wäre, da das Grundgesetz auch das ungeborene Leben schützt. Schon die bisherige Lösung (Abtreibung verwerflich und gesetzwidrig, aber unter bestimmten Bedingungen ohne Strafverfolgung) konnte nur über die Fiktion, es gehe um die Reduzierung der Zahl von Abtreibungen, gegen das GG abgesichert werden. Keine Bundesregierung hat jedoch die diesbezüglichen Verifikations-Auflagen des Bundesverfassungsgerichts ernst genommen; sie wurden nie umgesetzt.

[5]Ähnlich wie beim Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Mt. 20, 1-16.