Nach einem ersten nervenaufreibenden Endspurt folgt das lockere Auslaufen: die Osterferien versüßen dem angehenden Junglehrer gemeinsam mit der ersten Einmalzahlung (immerhin einhundert Euro) den neuen Status! Man gehört jetzt doch irgendwie dazu.

Es wird geschossen!

Man sitzt – wie andere „normale“ Berufstätige – morgens in einer überfüllten Bahn, verfolgt die Schlagzeilen der Boulevardpresse, kauft sich beim Bäcker an der Haltestelle einen Kaffee „to go“, um die Zeit bis zum ersten selbstgebrühten im Lehrerzimmer zu überstehen, und: man verdient endlich mal selber was. Nach achtzehn Jahren Ausbildung (Gymnasium + Studium = 13 Jahre + 5 Jahre = 18 Jahre, in denen die Eltern für den größten Teil der notwendigen Finanzmittel aufzukommen haben) ist man fast am Ziel seiner Träume! Und die erste Etappe ist geschafft, die ersten Hürden sind übersprungen. Im Lehrerzimmer kennt man sich nun, am Ausbildungsseminar wird man mit „Herr Kollege“ angesprochen – sogar von der adrett gekleideten, unnahbar wirkenden Seminarleiterin.

Erste Irritationen

Indes wird der harmonische Einstieg mitunter von in der Ferne hörbaren Störfeuern unterbrochen. Hier und da hat sich der ein oder andere schon im Schützengraben versteckt und lugt nur noch gelegentlich und mit Vorsicht heraus. Es soll auch schon vernichtende Gutachten gegeben haben – so von wegen „stets bemüht“ und ähnlich eindeutige Sprachcodes.

Der Feind des Referendaren rückt näher, an der Front wird man nervöser. Nun ja, dass sich alle kampflos ergeben würden und das Heer Referendare mit Jubel und Pauken überall gleichermaßen in Empfang genommen würde, das hatte ja keiner ernsthaft geglaubt. Aber mit dem Ernstfall rechnete auch niemand so schnell. Erste Gerüchte tauchen auf. Wo ist denn der Schmitz? Der war doch letzte Woche noch hier. Keiner hat ihn gesehen. Wo mag er nur sein? In der Tat: im Fachseminar sind wir nur noch zu neunt. Von den zehn kleinen Lehrerlein ist einer nicht mehr da. Erklärungen gibt es keine. Es herrscht Ratlosigkeit. Was braut sich da nur zusammen?

Doch die meisten lassen sich von solchen Gruselgeschichten nicht einschüchtern. Es wird schon irgendwie klappen. Auch erste kleine Unstimmigkeiten und Missverständnisse verbucht man unter der Rubrik „normal“. In welchem Beruf ist das schon anders? Ja, manche haben Bekannte bei Unternehmensberatungen, die dürfen pro Woche 80 Stunden arbeiten. Dass uns als Gymnasiallehrer der Beruf in Zukunft gut 54 Stunden (pro Woche, nicht pro Monat!!) kosten wird, das wissen wir seit dem letzten Gutachten der GEW; doch im ersten Ausbildungshalbjahr merkt man das noch nicht so. Umso irritierter ist man daher, wenn doch die ersten Granaten dicht neben einem einschlagen.

Eine neue Erfahrung

So geschehen bei meinem zweiten Unterrichtsbesuch. Der läuft ähnlich ab wie der erste. Nur ist diesmal mein anderer Ausbildungslehrer dabei. Er sitzt, wie alle übrigen Beobachter mit nachdenklicher Miene im Klassenraum und verfolgt mehr oder weniger aufmerksam das Spektakel. Als erfahrener Hase, der schon fast vierzig Jahre im Geschäft ist, kennt er das Spielchen genau. Notizen braucht er sich keine mehr zu machen. Mein Fachleiter, Herr König, ist im ersten Jahr dabei. Manchmal wirkt er ein wenig übermotiviert. Er hat uns so viel Papier ausgeteilt wie Hauptseminarleiter und Fachleiter II zusammen. Würde man das alles kleinlich durcharbeiten, könnten wir Referendare über die Unternehmensberater mit ihren 80 Stunden nur müde lächeln. Doch für knapp tausend Euro im Monat – nein, muss nicht sein.

Zurück zur Vorführstunde. Eine Kollegin meinte mal zu mir, eine solche Stunde sei so ähnlich wie ein Festessen: man bereitet es nur alle paar Wochen für einen erlesenen Kreis an Gästen zu. Unterm Jahr kocht man sein eigenes Süppchen, das man alleine auslöffeln muss. Doch auch ein Festmahl muss man zubereiten können – und entsprechend präsentieren. Bei mir gibt es nach der „Lehrprobe“ kein Festessen, sondern wieder den frisch aufgebrühten Kaffee, Wasser und kleine Spezereien.

An denen liegt es dann wohl auch nicht, dass mir heute die Götter nicht wirklich hold sind. Ausgerechnet mein Kollege, mein Ausbilder, mein Tischnachbar, mein Mitstreiter – er zerschießt mir die Stunde. Nun gut, seine sachliche Kritik war berechtigt. Aber das, was durch die sozio-emotionale Brille noch gut aussah („Ja, immer schön lächeln, mal nen Spaß machen“ etc.), wirkt durch die Brille des Reformpädagogen zu „lehrerzentriert“. Mir werden 80% Redeanteil bescheinigt. Viel zu viel! Außerdem wirke ich wie Harald Schmidt, der sich sich in seiner Rolle als ironisierender Conferencier nur selber gefällt. Nachdem er die Granate geworfen hat, verabschiedet sich der Kollege dann mit dem Hinweis auf dienstliche Verpflichtungen – nach fünf Minuten.

Das folgende „Beratungsgespräch“ ist von frostiger Atmosphäre geprägt, auch wenn alle bemüht sind, sich an den heißen Kaffeetassen etwas die Finger zu wärmen. Die Granate hat Staub aufgewirbelt und kleine Blessuren verursacht, die nicht auf die Schnelle weggeredet werden können. Doch es gilt, cool zu bleiben – wofür warst du denn im Westerwald im Hauptseminar?! Der hatte halt ´ne andere Brille auf! Kein Grund zur Panik!

Und in der Tat: ganz so dramatisch sieht der Fachleiter die Lage nicht. Gut, die Stunde war schlecht strukturiert und der Zugewinn an sachlicher und methodischer Kompetenz auf Seiten der Schüler eher gering. Aber fürs erste Mal, na ja, war es doch ganz gut. Eine Bewertung folgt ohnehin noch nicht, erst einmal wird beraten. Das wird sowieso sehr groß geschrieben in der Ausbildung: den ersten Termin für eine „Supervision“ bekamen wir bereits mitgeteilt. Das heißt im Klartext: wer will, kann sich von einer sozialpädagogisch geschulten Gestaltpsychologin coachen lassen. Das ist modern, klingt nach Wirtschaft, und wird vom Seminarleiter lächelnd empfohlen – dringend empfohlen.

Alles nicht so schlimm

Am Tag danach bemühen sich alle um Schadensbegrenzung. Mein Ausbilder nimmt mich väterlich beiseite, räumt ein, dass er in zu kurzer Zeit vielleicht doch etwas zu viel persönliche Kritik geäußert hat. Er wollte mir ja nur helfen. Ja, ich weiß, es war gut gemeint. Dennoch reagiere ich etwas trotzig, wie ein kleines Kind, dem man den Ball zum Spielen weggenommen hat: in Zukunft werde ich mir gut überlegen, ob ich den nochmal einlade. Schließlich ist man nicht verpflichtet, sich in jeder Lehrprobe die Bude mit Beobachtern voll zu stopfen.

Man kann taktieren: wer kann´s mit wem, wer redet gegen, wer für mich usw. All das reduziert das Maß an Willkür doch deutlicher als man zunächst meinen könnte. Und so langsam dämmert es mir: der Trick mit den Brillen funktioniert. Man muss sich nur darauf einlassen. Wie auch sonst scheint sich die alte Volksweisheit zu bewahrheiten, dass man deutlich besser durchs Leben kommt, wenn man sich selbst nicht zu wichtig nimmt. Mit Wichtigem geht es aber weiter: es nahen die Sommerferien!

Zu den anderen Teilen der Artikelserie

Teil 1
Teil 2
Teil 4