Die Ausbildung der Neulehrer im Referendariat ist vielfältigen Gerüchten und harscher Kritik ausgesetzt. Wir haben einen Referendar gebeten, uns seine persönlichen Erlebnisse zu schildern, uns hinter die Kulissen schauen zu lassen. Hier sein mehrteiliger Bericht.

Wie alles beginnt

Es ist ein recht milder Wintermorgen, als sich die neuen Lehramtsanwärter zum ersten Mal in den Räumlichkeiten des Studienseminars Rummich (Bayern) begegnen. Ihre Seminarleiterin – eine adrett gekleidete, unnahbar wirkende Mitvierzigerin – hält anstandshalber eine kurze Einführungsrede, spult dann das restlich-lästige Pflichtprogramm ab (ja, ich gelobe…), welchem alle, auch eine mit Kopftuch und langem Kleid verhüllte junge Dame, andächtig folgen. So recht will sich die Erhabenheit des Augenblicks und die Feierlichkeit dieses Morgens nicht auf die Gemütslage der teilweise mit ihrer Zeitungslektüre beschäftigten Beamtenanwärter übertragen. Was die zukünftigen Gymnasiallehrer wirklich umtreibt, sind Fragen wie: an welche Schule komme ich denn nun schlussendlich? Wann gibt’s die erste Überweisung? Ist das mit dem Zahnersatz jetzt abgeschafft? Wie gehe ich mit delinquenten Halbwüchsigen um? Ach, du hast auch beim Huber Examen gemacht?

Dann holt sich jeder seine Papiere ab und verlässt den Raum wieder, füllt seinen Kalender- und Kulivorrat beim Philologenverband und der Gewerkschaft auf, setzt sich in die Bahn oder ins Auto oder aufs Fahrrad und – fährt wieder nach Hause. Oder zur Ausbildungsschule – nur mal gucken! Mich verschlägt es an den Nordrand der Stadt. Unspektakuläre Gegend: industriegeprägt, abrissbereite graue Wohnsilos aus den 50ern, wenig Grün, Pizzabuden und Dönerläden. Ein hässlicher rotbrauner Kirchturm und ein zur Moschee umfunktioniertes Wohnhaus, das mittlerweile grün angestrichen ist und in geschwungenen arabischen und deutschen Lettern verkündet: Gott ist groß. Das kann ja heiter werden.

An der Ausbildungsschule

Die ersten Wochen stehen im Zeichen des Kennenlernens und der Theorie. Die drei für mich und meine neue Kollegin zuständigen Ausbildungslehrer empfangen uns herzlich. Im etablierten Kollegium beginnt die Gerüchteküche zu brodeln. Leicht hatten es Referendare hier nicht – von sieben sind in den letzten Jahren vier durchgefallen. Womöglich werden wir auch deshalb von Anfang an mütterlich umsorgt. Bald sollte sich herausstellen, dass ich mit der Schule und den neuen Kollegen unverschämt viel Glück hatte. Auch mit den Schülern. Anderen Berichten zufolge war das bei weitem nicht überall so.

Das Hauptseminar

Der Leiter des sogenannten „Hauptseminars“ ist in meinem Kollegium bereits gut bekannt und allseits beliebt. Er sei ein überaus kompetenter und liebenswerter Mensch, der alles tue, um den zukünftigen Lehrern eine vernünftige Ausbildung zu gewährleisten. Diese Einschätzung sollte sich als voll zutreffend erweisen. In seinem Seminar, das gleich zu Beginn einige hundert Kilometer entfernt von der Stadt in der westerwäldischen Provinz abgehalten wird (Kennenlernwochenende nennt man das), hören wir, dass Beobachtung und Wahrnehmung konstruktivistisch-subjektivistisch ist und es eine absolut objektive Wahrheit (zumindest in dem Zusammenhang) nicht gibt.

Das Ganze kommt mir vor wie ein Präventiv-Crashkurs in Sachen „Unterrichtsbesuche“. Schließlich müssen die jungen Kollegen auf jene unangenehmen „Nachbesprechungen“ vorbereitet werden, die immer dann stattfinden, wenn einer der Ausbilder den Referendar im Unterricht besucht und eben beobachtet. Das ist uns Neulehrern natürlich allen noch aus der Schulzeit bekannt, als die quirligen Lehramtsanwärter, die in der Regel immer recht spritzig und originell unterrichteten, plötzlich nervös und unsicher wurden.

Das lag dann üblicherweise an den vier, fünf, sechs Besuchern, die hinter den hintersten Bänken zu sitzen pflegten und eifrig Notizen anfertigten. Für die Schüler war das immer ein besonderer Spaß, für die Referendare aber eine todernste Angelegenheit. Jetzt also sollte ich bald im Rampenlicht stehen – im Laufe meiner zweijährigen Ausbildung mindestens elf Mal. Gut, dass ich zuvor lernen darf, dass jeder durch eine andere Brille schaut und die Dinge so und so sehen kann. Also: ja nichts persönlich nehmen!

Aufbruchstimmung

Die Stimmung unter den Referendaren ist in den ersten Wochen und Monaten ausgesprochen gut. Nur wenige fühlen sich an ihren Schulen und unter ihren neuen Mitstreitern unwohl. Dass uns die „schlimmste Zeit unseres Lebens“ bevorstünde, wie eine ehemalige Referendarin einmal in „Die Zeit“ behauptete, kann zu diesem Zeitpunkt noch keiner recht glauben. Viel zu positiv sind die ersten Eindrücke. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Alle wollen unterrichten, die vielen hübschen Methoden ausprobieren, Eindruck machen, arbeiten, Geld verdienen, kurz: „es mal besser machen“.

Auffällig viele vereinbaren dies mit ihrer bereits vorhandenen Kleinfamilie. Deutlich mehr als die Hälfte aller Damen und Herren in meinem Ausbildungsjahrgang sind bereits Muttis und Vatis (manche doppelt und dreifach). Diese Tatsache wird von den Ausbildern anerkennend wahrgenommen und auch tatsächlich berücksichtigt: als eine Kollegin mal zu spät zum Seminar erscheint, da die Meerschweinchen ihrer jüngsten Tochter Nachwuchs zur Welt brachten, kommentiert unser Leiter dies mit einem verständnisvollen, ernst gemeinten Lächeln. Keine weitere Bemerkung, das ist völlig akzeptabel.

Es geht menschlich zu, und das merken alle. Dennoch bleibt die Ungewissheit, wie sich die ersten Beurteilungen lesen werden. Schließlich kennt man sich bislang nur auf der persönlichen, nicht aber auf der fachlichen Ebene. Doch das ändert sich schnell, denn bereits sechs, sieben Wochen nach Beginn des Referendariats geht es zur Sache: der erste Unterrichtsbesucher hat sich angekündigt.

Zu den anderen Teilen der Artikelserie

Teil 2
Teil 3
Teil 4