Hier sind wir in der Mitte des Credo, am Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens, an einem Punkt, der nicht immer gern betont wird, an dem aber kein Weg vorbei führt: Das Kreuz ist das Zeichen der Christen, mehr als alle anderen (1). Es wurde dafür schon in der Antike oft bekämpft und relativiert, und auch heute gibt es – sogar in offenen demokratischen Gesellschaften – immer wieder Versuche, es aus dem Weg zu schaffen und aus dem öffentlichen Blickfeld zu entfernen.

Der Anblick des Gekreuzigten konfrontiert uns wie nichts anderes mit der ganzen Wahrheit der „conditio humana“, mit der Tragödie der Menschen, für die Jesus am Kreuz sterben musste. Aber zugleich begegnen wir darin der bedingungslosen, geradezu erschütternden Zuwendung Gottes, der uns nicht fallen lässt.

Dieser Teil des Credo hat in der Tat etwas Erschütterndes – geht es doch um eine grausame Hinrichtung, noch dazu die des „Messias“, auf dem so große Hoffnungen gelegen hatten. Die ganze Realität der Kreuzigung wird geradezu überdeutlich ausgedrückt – gestorben, begraben, im Reich des Todes… Hier wird klar, dass Jesus nicht scheintot war oder dem Tod irgendwie ausgewichen ist. Am gewaltsamen Ende seines irdischen Lebens gibt es keinen Zweifel.

An dieser Stelle wird auch verständlich, was der römische Statthalter Pontius Pilatus im Glaubensbekenntnis zu suchen hat: Es geht um ein historisches Ereignis, nicht um Symbolik, es geht um diesen historischen Jesus, dessen Hinrichtung sicher bezeugt und bekannt ist. Der christliche Glaube baut nicht auf Mythen und Legenden auf, sondern auf einem tatsächlichen Geschehen.

Und gerade in dieser harten Realität haben die Christen von Anfang an Trost, Erleichterung und Befreiung gefunden. Sie wussten, dass das stellvertretende Leiden und Sterben Jesu für uns erlösend und befreiend ist (2) – befreiend von Angst, Not, Leid und allem, was das menschliche Leben belasten und verderben kann, von der Angst vor dem Tod und vom Tod selbst. Deshalb ist das Kreuz – so paradox es von außen betrachtet erscheinen mag – ein zutiefst positives und ermutigendes Zeichen (3).

Das kann nur dem unbegreiflich sein, der die Realität des Bösen und des Leidens verdrängt. Das Böse ist aber nicht ein gesellschaftlicher Defekt, der wegdiskutiert oder durch „social engineering“ behoben werden könnte (aus diesem Fehler sind die furchtbarsten Verirrungen der Menschheitsgeschichte erwachsen). Es hat tiefere Ursachen, ist nicht mit sozialen oder evolutionären „Pannen“ zu erklären. Und selbst wenn ein individueller „Fehler“ oder gesellschaftlicher „Schaden“ behoben würde, der sich aus einer Untat ergibt, so bliebe doch – anders als im Bereich der Technik, aus dem diese Metapher stammt – immer ein quälendes Leid zurück, eine Wunde, die nicht heilen will, sondern immer wieder Schlechtes provoziert. Dieser letzte Ernst des Leids, diese durch keine menschliche Bemühung oder Therapie zu heilende Zerstörungswirkung des Bösen im menschlichen Leben wird mit dem Wort „Sünde“ ausgedrückt, das heute so wenig beliebt ist und öffentlich bestenfalls in banalisierter Form verwendet wird (4). Auch diese Wahrheit wird beim Anblick des Gekreuzigten deutlich; vielleicht weckt er deshalb so viel Widerspruch.

Manchmal wird, in polemischer Absicht, oder auch in echtem Zweifel, gefragt: Wie kann Gott so etwas tun; wie kann er das Leben seines Sohnes als Opfer verlangen, um die Schuld der Menschen – und sei sie auch noch so groß – zu vergelten? Ist das nicht grausam? Wie passt das zum Gott der Liebe? (5) Aber bei dieser Art der Kritik wird, bewusst oder unbewusst, ein atavistisches Gottesbild aufgerichtet, das zu dem wahren Geheimnis Gottes, wie es in dem Begriff „Trinität“ beschrieben ist, in diametralem Gegensatz steht: Es ist eben nicht so, dass Gott Unmögliches oder gar Unmoralisches für sich fordert, denn er ist es ja selbst, der für die Menschen eintritt und die Schuld tilgt, die kein menschlicher Einsatz und kein menschliches Opfer je tilgen könnte: „Gott selbst ‚trinkt den Kelch‘ alles Schrecklichen aus und stellt so das Recht wieder her durch die Größe seiner Liebe, die im Leid das Dunkle verwandelt“ (6).


Anmerkungen

1) Auch Jesus als der gute Hirte, oder Darstellungen des Auferstandenen sind in der christlichen Ikonographie weit verbreitet. Aber das Kreuz bzw. der Kruzifixus (der Gekreuzigte) ist das dominierende Identifikationszeichen der Christen, weil sich darin das erlösende Handeln Gottes am deutlichsten zeigt.

2) Vgl. hierzu: Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 2010, Kap. 8 (S. 225 ff.).

3) Und dadurch, dass es nichts Auftrumpfendes oder Abgrenzendes hat, sondern den Sieg von Demut, Liebe, Treue bezeugt, ist darin eigentlich etwas elementar verbindendes, gerade auch im interreligiösen Dialog.

4) Vgl. Beitrag „Und vergib uns unsere Schuld…“ http://www.erziehungstrends.net/Und-vergib-uns-unsere-Schuld-wie-auch-wir-vergeben-unseren-Schuldigern

5) Vgl. dazu insgesamt die Enzyklika „Deus Caritas est“ von Papst Benedikt XVI.

6) Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Bd. 2, a.a.O. S. 256.