Es gehört zum Grundbestand unserer Zivilisation, dass wir kinderlieb sind – oder so gelten wollen. Wer das nicht ist, muss es möglichst verborgen halten, weil es noch immer anstößig wäre, Kinder überhaupt nicht zu mögen. In der deutschen Innenpolitik gibt es heftige Auseinandersetzungen darum, ob „Kinderrechte“ im Grundgesetz gesondert kodifiziert werden müssen; und jede neue Bundesregierung kündigt Programme für Familien und Kinder an. Also scheinen sich immerhin „im Prinzip“ alle einig zu sein, dass Kinder gewollt sind und Schutz und Erziehung brauchen. Zumindest will sich niemand offen der Kinderfeindlichkeit bezichtigen lassen.

Die Grundlage dieser Selbstverständlichkeit ist zunächst eine Art anthropologischer Konstante – alle Frauen und Männer haben es nun mal in ihren Genen[1], und das Gegenteil wird zutreffend als pathologisch wahrgenommen. Aber trotzdem spüren wir, dass etwas nicht stimmt im Lande und das vermeintlich Selbstverständliche irgendwie in Gefahr gerät.

Kinderfreundliche oder infantile Gesellschaft?

Über den demographischen Niedergang haben wir an anderer Stelle[2] schon gesprochen. Es reicht offenbar nicht aus, die materiellen Bedingungen für das Kinderkriegen zu verbessern. Und während die Zahl der Geburten weiter sinkt, scheint wie zum Trotz die Gesellschaft selbst immer infantiler zu werden. Die Flut von Texten in „einfacher Sprache“ mag man noch mit Integrationsproblemen und Bildungsmängeln begründen. Dass zugleich aber Kindern und Jugendlichen direkt Zugang zu politischen Entscheidungen gewährt werden soll, steht schon auf einem anderen Blatt. Inzwischen gibt es immer mehr Abgeordnete ohne abgeschlossenen Bildungsgang, und das Wahlalter soll auch noch auf 16 Jahre gesenkt werden. Kindische Parolen und alberne, zugleich gefährliche Aktionen von unreifen „Aktivisten“ finden Applaus und Zustimmung bei Politikern, die es besser wissen müssten. Es werden Katastrophenängste geschürt, die Bürger mit quasi erzieherischen Maßnahmen und Kampagnen überzogen. Kein Wunder, dass sich viele Bürger in eine Art innere Emigration zurückziehen – keine guten Voraussetzungen für Kinderwunsch und glückliche Familien. Schnell wird deutlich: Die Infantilisierung der Gesellschaft ist das Gegenteil von Kinderfreundlichkeit.

Widersprüchliche Diskurse

Infolge der massiven Säkularisierung unserer Gesellschaft verschwindet u.a. die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und über das eigene unmittelbare Wohlergehen hinaus zu denken.  Die Grundhaltung ist dabei vielfach: Ich mache was ich will! Und der Staat soll für das Übrige sorgen… Nur so ist es auch zu verstehen, dass im politischen Diskurs gleichzeitig mit erhöhtem moralischem Ton die Forderung nach Kinderrechten im Grundgesetz und zugleich nach völliger Freigabe der Abtreibung  erhoben wird. Dass die Irrationalität dieser eigentlich miteinander unvereinbaren politischen Diskurse nicht weiter auffällt, sondern von Medien und Öffentlichkeit achselzuckend, sogar zustimmend zur Kenntnis genommen wird, ist ein Zeichen von moralischer Gleichgültigkeit oder Herzenskälte.

Der christliche Rest

Aber so ganz und gar ist das christliche Erbe unserer Kultur mit seiner Betonung der Nächstenliebe  doch noch nicht verschwunden. Man betrachte nur die ungebrochene Hilfsbereitschaft und Spendenfreundlichkeit der deutschen Bevölkerung, nicht nur wenn es um abstrakte oder geographisch ferne Probleme geht, sondern auch im persönlichen Lebensumfeld. Und in Meinungsumfragen bekennt sich eine Mehrheit der jungen Leute weiterhin hartnäckig zum „überkommenen“ und als überholt denunzierten Familienbild: Sie wollen heiraten, einen Hausstand gründen, Kinder kriegen. So viel ist vom „christlichen Menschenbild“ schon noch übrig, wenn auch unterbewusst und mit abnehmender Tendenz.

Kann man das noch verantworten?

In krassem Gegensatz dazu steht freilich die aggressiv propagierte Auffassung, es sei unverantwortlich, „Kinder in diese Welt zu setzen“. Die einen meinen damit, Kinder (wie überhaupt alle Menschen) seien Umwelt- und Klimaschädlinge, die es zu bekämpfen, mindestens aber zu begrenzen und zu regulieren gelte (ein totalitärer, unmenschlicher Ansatz). Andere geben vor, sich zu sorgen, was denn diese eventuell noch zu gebärenden  Kinder überhaupt für Lebenschancen und Aussichten hätten. Diese beiden – noch vor wenigen Jahren als abseitig und verrückt geltenden Sichtweisen – haben sich inzwischen enorm ausgebreitet, jedenfalls im öffentlichen Diskurs und in den Medien, wenn auch kaum in der allgemeinen Bevölkerung. Zu dieser Weltuntergangs-Ideologie passt auch die gewaltige Zahl an „sozial“ begründeten Abtreibungen und ebenso die Forderung nach gänzlich entfesselter Euthanasie. Sektiererische Weltanschauungen dieser Art blühen anscheinend besonders gut in der geschützten Umwelt unserer Wohlstandsgesellschaften.

Hoffnungsschimmer?

Dennoch ist der Einfluss „transhumanistischer“ und ähnlicher Ideologien auf die Geburtenrate – besser gesagt auf den Willen zu Elternschaft – geringer als man meinen könnte, was schon die bereits erwähnten Umfragen unter jungen Leuten beweisen. Kinder kriegt man nicht der Gesellschaft zuliebe, und wer wirklich Kinder will, den schreckt kein düsterer Zweckpessimismus von Ideologen ab. Hemmnisse sind vielmehr ganz praktischer Natur, von überlangen Ausbildungszeiten bis zum prekären und überteuerten Wohnungsmarkt. Jüngere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Paare mit Kindern glücklicher und sogar gesünder leben als Singles. Und mit Geschwisterkindern aufzuwachsen ist für die Kleinen die beste Vorbereitung für ein glückliches Leben[3].


[1]Jeder normale, nicht psychisch gestörte Mensch reagiert positiv auf bestimmte Signale von kleinen Kindern, von dem in der Werbung beliebten „Kindchen-Schema“ bis zur instinktiven Schutzreaktion in Gefahrensituationen.

[2]Vgl. z.B. den Beitrag  https://erziehungstrends.info/von-spin-doktoren-und-zauberlehrlingen-was-tun-gegen-den-bevoelkerungsrueckgang-2

[3]Vgl. den Beitrag https://erziehungstrends.info/warum-das-beste-geschenk-fuer-dein-kind-ein-bruder-oder-eine-schwester-ist