1. Die Eltern-Dividende

Wenn vom Kinderkriegen die Rede ist, von Elternsein und Familienleben, dann steht fast immer der Gedanke im Hintergrund, dass man irgendwie mit einem Problem fertig werden muss. Ob es um Familienförderung geht, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder „Work-Life-Balance“ – das „Problem“ sind immer die Kinder. Erwerbstätigkeit, Wohnung, Partnerschaft und sogar Erholung sind „gesetzt“, die Kinder sind die Variable in der Gleichung. Niemand sagt das so, kaum jemand meint es abwertend, aber alle gehen wie selbstverständlich davon aus.

Es liegt in der Funktionsweise unserer arbeitsteiligen Gesellschaft begründet. Kein Wunder also, dass junge Paare heutzutage so spät an Kinder denken, dauert es doch schon etliche Jahre, bevor man die „gesetzten“ Faktoren halbwegs in den Griff kriegt; und erst danach ist Zeit für das Projekt Kinder. Da darf man ihnen keinen Vorwurf machen; die Zwänge sind alle sehr real. Aber vielleicht hilft ein Perspektivwechsel dabei, diese ungewollte Fixiertheit auf das Negative, das Belastende, ein wenig zu lösen. Schauen wir einmal darauf, was für uns Eltern bei dem „Projekt Kind“ am Ende „drin ist“; es lohnt sich.

Eine wunderbare Verwandlung

Wenn die Kinder „groß“ sind, erwachsen, wenn sie auf eigenen Beinen stehen, dann ist für die Eltern die Zeit gekommen, ein wenig von der „Dividende“ des Elternseins zu profitieren. Dann sind die Mühen durchwachter Nächte, die Lasten des schulischen Überlebenskampfes, die Ängste in Krankheitsphasen und das Mitleiden bei schwieriger Selbstfindung, mithin all’ die typischen Elternsorgen, entweder vergessen oder im Rückblick verklärt. Ja, tatsächlich werden aus gemeinsam durchgestandenen Krisen schließlich positive Erfahrungen, gemeinsame und individuelle.

Qualvolle Nächte am Krankenbett eines Kindes, Sorgen um das schulische Vorankommen, das Mitleiden bei einer unglücklichen Liebelei, die Schmerzen ob einer falschen Entscheidung (der Kinder oder unserer selbst) – all das wird im Rückblick „geheilt“ und, mehr noch, sogar heilsam. Es stärkt die Bande zwischen Kindern und Eltern. Nicht nur die Kinder wachsen an diesen Erfahrungen, auch wir Eltern tun es. Wir spüren es, wenn wir im Familienkreise zurückdenken an eine schwierige Episode; was einst belastend war, ist nun befreiend. Über viele Geschichten lachen wir zusammen, und bei den gar nicht komischen und den ungelösten Fragen fühlen wir erst recht, was Vertrauen und Liebe zwischen uns bedeuten.

Gemeinsames Wachsen

Dass wir, Eltern und Kinder, uns heute in ganz vielen Alltagsdingen geradezu blind verstehen, dass wir im Vorhinein wissen, wie das Kind auch als junger Erwachsener denkt und reagiert, das gehört zu den wunderbaren Erfahrungen, die nur Eltern machen. In einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung kommt irgendwann der Punkt, an dem wir anfangen von unseren Kindern zu lernen. Dabei geht es  weniger um die praktischen Dinge, so schön und wichtig diese auch sind – dass die junge Generation besser mit Technik umzugehen weiß, oder dass die Kinder durch ihre spezifische Ausbildung Wissen und Können erworben haben, welches dann auch uns Eltern zugute kommt.

Das ist großartig und eine sehr schöne Erfahrung. Aber da ist noch mehr, das Menschliche, Psychologische, etwas auf einer höheren Ebene. Es geht um Persönlichkeit und Charakter, um Verstehen und das Verarbeiten von Erfahrungen, um Werte und um gemeinsames Wachsen und Reifen. Irgendwann erleben wir, dass wir zusammen mit unseren Kindern klüger sind als allein, wenn wir alles besprechen und gemeinsam nach Problemlösungen suchen können. Und wir müssen nicht mehr nur die gebende Rolle spielen; wirkliches Vertrauen zwischen Kindern und Eltern bedingt, dass wir auch ihren begründeten Rat annehmen, unsere Kinder wirklich ernst nehmen.

Freundschaft mit den eigenen Kindern

Gewiss, der typische Fall ist es sicher, dass wir Eltern mit unserer Lebenserfahrung den Jungen guten Rat geben; das liegt auf der Hand. Aber es gibt eben auch den umgekehrten Fall, wenn wir z.B. von einem unserer Kinder lernen, wie wir am besten in einer schwierigen Frage reagieren, wo wir uns einmal vergaloppiert haben, wo wir etwas nicht erkennen wollten. Natürlich, die Kinder bleiben immer unsere Kinder, auch wenn sie längst erwachsen sind.

Aber es kommt noch etwas hinzu, das in solchen Momenten fühlbar wird: sie werden auch unsere Freunde – nicht in einem banalen, nivellierenden Sinne, sondern im vollsten und schönsten Sinne des Wortes Freundschaft. Das zu erleben gehört zu den schönsten „Erfolgserlebnissen“, die man als Vater oder Mutter haben kann. In solchen Momenten wird uns plötzlich klar, was das gute alte Wort „Kindersegen“ bedeutet.

Kindersegen

Bei diesem Wort denken wir fast automatisch an eine wuselnde Schar kleiner Kinder, die herumtoben und die Aufmerksamkeit der Eltern absorbieren. Aber der eigentliche Sinn des Wortes enthüllt eine tiefere, spirituelle Wahrheit: Jedes einzelne Kind ist ein Segen, auch das schwierige oder kranke, auch das, welches den Eltern scheinbar nur Sorgen bereitet. Kinder sind keine Accessoires für gelungene Partnerschaften; jedes einzelne Kind ist von Gott geliebt und gewollt. Zugleich dürfen wir als Eltern dankbar sein, was Gott uns alles zutraut, ist doch das Kinderkriegen  „ein sichtbarer Anteil der Eltern an der Schöpfung“.[1] Das zu wissen – und die Liebe zu unseren Kindern – wäre schon genug Belohnung für uns Eltern, ganz ohne „Dividende“.

(Fortsetzung folgt)


[1]https://opusdei.org/de-de/article/kinder-sind-ein-sichtbarer-anteil-der-eltern-an-der-schopfung/