Gewiß wirkt überall in unserer Zeit der Unfug der illegitimen, rein naturwissenschaftlichen Deutung menschlicher Phänomene, mit Anspruch auf Diktat im Bereich der Sittlichkeit und sogar der Religion. Durchschnittliche Empfindlichkeit fühlt sich gekränkt durch Behauptung, Vermutung oder Erinnerung daran, daß die eigenen Ahnen Säufer, Seeräuber oder wenig ehrbare Cocottes gewesen sind. 

Unsere Großeltern empörten sich noch gewaltig, als die ersten Prediger der darwinistischen Abstammungslehre ihnen einreden wollten, die Affen seien eigentlich ihre Vorfahren gewesen. In diesem Jahrhundert wird beinahe nur eine kleine Minderheit echter Wissenschafter und schlichter Bewahrer des gesunden Menschenverstandes erschüttert, wenn „vergleichende Verhaltensforscher“ das Menschenbild nicht mehr von verkommenen Urmenschen oder lächerlichen Affen, sondern von faden Graugänsen abzuleiten wagen, und die Liebe unter Personen entsprechend den Annäherungs- und Paarungskünsten der Fische beglückender machen möchten. 

Wolfgang Wickler, der keine Graugänseeier gebrütet hat – wie sein Meister Konrad Lorenz -, sondern die Abtreibungen, welche Mäuse und Ratten durchführen, sowie das Verschlingen der eigenen Jungen bei anderen Tieren beobachtet hat, schließt daraus – in seinem Buch „Naturgeschichte der Ehe“ die Legitimität der künstlichen Geburtenkontrolle unter den Menschen und hält die Natürlichkeit (oder Naturgemäßheit) des Kannibalisms, des Mordes, des Onanismus, des Ehebruchs und des Schwangerschaftsabbruchs für bewiesen. 8

Abgesehen von der unermüdlichen Anthropomorphisierung, die nicht wenige Verhaltensforscher unbefangen betreiben und die ihnen jede Seriosität nimmt, auch wenn solche Erhöhung auf Menschenebene manche Sentimentalitäten weiter kitzelt – denn von der Treue eines Hundes zu sprechen, ist schon unzulässiger Anthropomorphismus, und der Sarkasmus von Karl Kraus ist nicht unberechtigt, wenn er darauf aufmerksam macht, daß solche Hundetreue kaum beispielhaft ist, weil der Hund zwar dem Menschen treu ist, nicht aber anderen Hunden 9; abgesehen also von der Unwissenschaftlichkeit solcher Kurzschlüsse und Überschreitungen und so manchen evolutionistischen und psychoanalytischen Theorien – wie noch vor kurzem Portmann, Illies, Eysenck, Popper, Boß und viele andere ausführlich gezeigt haben (der Professor für Zoologie an der Universität Gießen schrieb lapidar: „Der Darwinismus ist trotz mancher Wiederbelebungsversuche eigentlich längst tot. Die Tragik unserer Zeit ist nur, daß dies die meisten Biologen nicht zugeben wollen oder noch gar nicht bemerkt haben“); abgesehen von all dem und trotz der meist vernünftigen Einstellung der Spitzenwissenschaftler und des Respekts, der allen echt wissenschaftlichen Bemühungen und Errungenschaften gebührt, muß man erkennen, daß die oben genannten Kompetenzüberschreitungen, welche durch die Massenmedien verbreitet und weiter vereinfacht und verallgemeinert werden, ihre zerstörerische Kraft v. a. gegen Ehe und Familie richten, denn, wie auch Gabriel Marcel aufgezeigt hat, „in einer Welt, in der die absolute Vorherrschaft der Technik gilt, entwickelt sich zwangsläufig ein Entsakralisierungsvorgang, der sich vor allem gegen das Leben und gegen alle seine Erscheinungsformen und besonders gegen die Familie und alles, was damit zusammenhängt, richtet.“ 10 

Diese Entwürdigung schmeichelt natürlich den menschlichen Schwächen. „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt“, sagte Dostojewsky. Was wird dann nicht erlaubt sein, wenn nicht einmal der Mensch existiert, sondern nur die kurzlebige Zuckung einer armseligen Zusammensetzung von Reflexen, Hormonen und Trieben? Wo die Freiheit des Geistes verneint wird, dort werden die größten Freizügigkeiten und die grausamsten Lieblosigkeiten wuchern. Gott sei Dank siegt, trotzdem, immer wieder die umstrittene Menschennatur und kämpft der mehr oder weniger verstümmelte Mensch weiter um sein Überleben durch Ehe und Familie!

Die Ideologien führen aber auch eine heftige Kampagne gegen die Familie durch politische Parteien, welche das Familienrecht immer radikaler verändern wollen zur Erleichterung der Ehescheidung und der Trennung der Kinder von den Eltern, auch mittels einer Neugestaltung des Schulwesens, die, trotz vollzogener Demaskierung, nicht aufhört, sich durchzusetzen. Diese Neuerungen gehen von der Annahme aus, daß Ehe und Familie überholte Institutionen seien, die durch Machtverhältnisse, Repression und Neurotisierung aufrechterhalten werden. Deutsche Jungdemokraten von Nordrhein-Westfalen erklärten es vor wenigen Jahren ganz dogmatisch: „Ehe und Familie bilden in unserer Gesellschaft sprichwörtlich einen Rahmen für Unfreiheit, Unterdrückung und Unzufriedenheit.“


8 W. Wickler, „Sind wir Sünder?“. Droemersche Verlagsanstalt. München 1968.

9 K. Kraus, „Sprüche und Widersprüche“. Suhrkamp. Frankfurt a.M. 1973. S. 56.

10 G. Marcel, a.a.O. S. 99.

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.