Vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten haben feministische Bewegungen unser Zusammenleben in Familie und Gesellschaft stark beeinflusst. Diese Veränderungen waren anfangs sicherlich notwendig und gerecht. Später haben viele sie mit wachsender Sorge betrachtet und als schädlich oder übertrieben angesehen. Und in der Gegenwart sind sie eindeutig zerstörerisch. Radikale Feministinnen (und Feministen) sagen auch ganz offen, dass sie die vorhandenen Strukturen zerschlagen wollen.

Entsprechend können wir von drei Phasen oder Richtungen sprechen, in denen sich die Befreiungsprozesse der Frau entfaltet haben. Diese drei Phasen zeigen einerseits eine chronologische Entwicklung von Gedanken und Ereignissen in der westlichen Welt. Andererseits aber ist festzustellen, dass man die drei Richtungen, die sich keineswegs ergänzen, sondern in wesentlichen Aspekten klar widersprechen, fast überall zeitgleich antrifft. In fast jeder Debatte, in fast jedem Thesenpapier oder Programm mischen sich die Anliegen. Unterschiedliche, selbst gegensätzliche Forderungen gehen quer durch so manches menschliche Herz, quer durch Gruppierungen und Parteien. In unseren multikulturellen Gesellschaften sind wir daran gewöhnt, alle möglichen Phänomene gleichzeitig zu erleben.

DIE ENTWICKLUNG DER FEMINISTISCHEN BEWEGUNGEN

Im Folgenden werden wir die Entwicklungsphasen der feministischen Bewegungen kurz betrachten.

In den verschiedensten Epochen der Geschichte gab es Klagen, Anfragen und Aufbrüche hinsichtlich der so genannten “Frauenfrage”. Doch der eigentliche Feminismus begann – nach dem Urteil der meisten Historiker – gegen Ende des 18. Jahrhunderts, in den Zeiten der Französischen Revolution.

Die Frauenrechtsbewegungen

Damals wurde von Frauen gefordert, die hoch gepriesenen “Menschenrechte” dürften nicht nur “Männerrechte” sein. Es begann ein mühsames Ringen um Emanzipation mit Fortschritten und Rückfällen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich wurden Frauen nach und nach in allen Ländern des europäischen Kontinents offiziell zum Abitur und zum Hochschulstudium zugelassen. Auch die politische Gleichberechtigung wurde weitgehend –zumindest dem Gesetz nach (1)– in der westlichen Welt erreicht (2). Die ursprünglichen Frauenrechtsbewegungen hatten somit in Europa ihre hauptsächlichen Ziele verwirklicht, und es trat eine gewisse “Ruhepause” ein.

Der Radikalfeminismus

Um die Mitte des 20. Jahrhunderts begann eine neue Phase im Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen. Feministinnen verlangten nun eine völlige Aufhebung der traditionellen Rollenteilung von Mann und Frau und lehnten die Mutterschaft, vor allem aber Ehe und Familie entschieden ab. Den Startschuss gab die bekannte existentialistische Philosophin Simone de Beauvoir, deren Hauptwerk “Le Deuxième Sexe” (“Das andere Gechlecht”, 1949) zum Welterfolg wurde. Beauvoir warnt vor der “Falle der Mutterschaft”, die bisher von den Männern egoistisch ausgenützt worden sei, um die Frauen an ihrer Karriere zu hindern (3).

Darum – so radikale Feministinnen – müsse die Frau sich von den “Ketten ihrer Natur” lösen. Konkret äußerte sich dies z. B. in der Propagierung lesbischer Beziehungen (4), in der Forderung nach völliger Übertragung der Kindererziehung auf die Gesellschaft oder auch nach dem Ersatz der Schwangerschaft durch Retortenzüchtung (was damals noch ein Fernziel war) (5). Shulamith Firestone sagte ganz deutlich: “Die Schwangerschaft ist barbarisch.” (6)

Ketten der Natur

Nun ist allerdings der Versuch, sich von den “Ketten der Natur” zu lösen, seit einigen Jahrzehnten nicht mehr die einzige Spielart des radikalen Feminismus. Aus manchen Ökologiedebatten und vor allem aus der Szene des “kulturellen Feminismus” Nordamerikas kamen schon bald ganz andere Töne. Während ein Teil der Feministinnen fundamentale Differenzen zwischen Frauen und Männern weiterhin vehement bestreitet, sind andere dazu übergegangen, die Unterschiede zu feiern. So gibt es eine immer stärker werdende Richtung im Feminismus, die in der Besonderheit der Frau in Natur, Körper, Gefühl und Sinnlichkeit kein verdammenswertes männliches Vorurteil mehr sieht.

Im Gegenteil wird alles Emotionale, Vitale und Sinnliche geradezu als Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft begrüßt. Nachdem “männliche” Rationalität und Herrschsucht die Menschheit an den Rand des ökologischen Abgrunds und in die Gefahr der atomaren Vernichtung getrieben habe, sei nun die Zeit der Frau gekommen. Rettung lasse sich nur noch von dem Unlogischen und Gefühlsmäßigen, dem Sanften und Weichen erwarten, wie es sich in der Frau verkörpere. (7)

Nachdem der Kinderwunsch jahrzehntelang verdrängt und geleugnet worden ist, wird er nun, als rein “leibliches Bedürfnis” (8), in immer mehr feministischen Selbsterfahrungsgruppen wiederentdeckt. Dies könnte eine Reaktion sein auf die Überanstrengungen durch eine Emanzipation, die zu sehr als Anpassung an männliche Werte und als Konkurrenzkampf begriffen worden ist.

Allerdings bedeutet der Kinderwunsch nicht ein Zurück zur Familie. Die Kultur-Feministinnen setzen ebenfalls auf ein materialistisch-hedonistisches Weltbild. Sie interessieren sich weniger für die sozialen Realitäten der Mutterrolle als vielmehr für die Zusammenhänge zwischen dem Leben der Frauen, dem weiblichen Körper und den Erfahrungen von Gebären und Stillen. “Frauen müssen und werden die Erde befreien, weil sie in größerer Harmonie mit der Natur leben”, lautet die wohl bekannteste These (10). Dieser wird nun mit neuer Heftigkeit die Gleichheitstheorie Beauvoirscher Prägung entgegengesetzt.(11) So schließt sich vorläufig der Kreis.


Anmerkungen

(1) Die Unterordnung der Frau verstößt gegen das Gleichheitsprinzip der Geschlechter und gegen die Rechte, die in der “Allgemeinen Menschenrechtserklärung” der Vereinten Nationen 1948 offiziell anerkannt wurden.??? en la Declaración Universal de la Organización de Naciones Unidas de 1948 y en otros muchos documentos de la ONU.
(2) Die Frauen erhielten das Wahlrecht 1918 in Deutschland, Österreich und England, 1919 in Schweden, 1920 in den USA, 1923 in Polen und anderen Ländern, und 1971 auch in der Schweiz.
(3) S. DE BEAUVOIR, Alles in allem, Reinbek 1974, S. 450.
(4) Vgl. DIES., Le Deuxième Sexe, Paris 1949; deutsch: Das andere Geschlecht, Hamburg 1951, S. 409 ff.
(5) Vgl. DIES., Das andere Geschlecht, S. 697.
(6) Vgl. S. FIRESTONE, The Dialectic Sex, 1970; deutsch: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt a.M. 1976, S.41 und 191.
(7) Vgl. hierzu R. GARAUDY, Der letzte Ausweg. Feminisierung der Gesellschaft.
(8) B. SICHTERMANN, Weiblichkeit. Zur Politik des Privaten, Berlin 1983, S.27, vgl. auch S.32.
(9) Dass in der Einstellung zur Mutterschaft die feministische Bewegung gespalten ist, zeigt sich auch in einem Gespräch Simone de Beauvoirs mit Betty Friedan. Letztere sagt: „Now, here I think we do disagree. I think that maternity is more than a myth, although there has been a kind of false sanctity attached to it.“ Vgl. Sex, Society and the Female Dilemma. A Dialog between Simone de Beauvoir and Betty Friedan, in: Saturday Review (14.6.1975), S.20.
(19) Vgl L. CALDECOTT und S. LELAND (Hrsg.), Reclaim the Earth, London 1983, S.1.
(11) Vgl. L. SEGAL, Ist die Zukunft weiblich? Frankfurt a.M. 1989.

Vorheriger ArtikelTeheran
Nächster ArtikelDie Fortschritts-Rückschritts-Generation
Jutta Burggraf
Jutta Burggraf (* 1952 in Hildesheim; † 5. November 2010 in Pamplona) war eine deutsche Theologin. Burggraf erhielt 1996 einen Ruf auf die Professur für Ekklesiologie, insbesondere für Theologie der Schöpfung, ökumenische Theologie und feministische Theologie an der Universität Navarra. Burggraf war auf der 7. Ordentlichen Bischofssynode, die vom 1. bis 30. Oktober 1987 in Rom stattfand, als Expertin geladen und hat an der Vorbereitung des Apostolischen Schreibens Christifideles laici zur „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ von Papst Johannes Paul II. mitgewirkt. Sie war seit 1996 korrespondierendes Mitglied der Pontificia Accademia Mariana Internazionale (PAMI). --- „Sie war zeitlebens eine Kämpfernatur; sie war verantwortungsbewusst, arbeitsam, zäh. Sie liebte das einfache Leben, freute sich an der Freizeit und hatte einen Sinn für alles Schöne. Sie war ihren Freundinnen eine echte Freundin.“ So hat Prälat Rafael Salvador, der Vikar der Delegation des Opus Dei in Pamplona, Spanien, Jutta Burggraf charakterisiert, die am 5. November nach schwerer, mit Gottvertrauen getragener Krankheit von uns gegangen ist.