Ehe und Familie sind am Beginn des 21. Jahrhunderts in Bedrängnis. Im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen viele Konzepte des Zusammenlebens, die oft nicht auf einer christlichen Anthropologie gründen.

Viele Familien spüren, dass sie gegen den Strom schwimmen müssen, wenn sie sich den menschlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Verschiedene Aspekte dieser Entwicklungen wurden in mehreren Symposien des Lindenthal-Instituts in den vergangenen Jahren aufgegriffen und diskutiert. Jetzt wurden die juristischen, finanziellen, anthropologischen, politischen und gesellschaftlichen Aspekte in einem Sammelband zusammengefasst.

Lothar Häberle und Johannes Hattler (Hrsg.)

Ferdinand Schöningh 2014, 188 Seiten, ISBN 978-3-506-77936-6

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Recht

Das Arbeitsrecht ist traditionell blind für die Bedürfnisse der Familie. Als Vorsitzender der Kommission, die 2012 den 8. Familienbericht der Bundesregierung erstellt hat, weist Gregor Thüsing aus Bonn darauf hin, dass die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nach wie vor eine Herausforderung des Arbeitsrechts darstellt. „Familienschutz“ gebe es derzeit im Gesetz fast nur „um des Arbeitnehmerschutzes willen“.

Dabei ist den Familien nicht nur die gesamte reproduktive Leistung überlassen, auf die der Staat aufbaut. Auch das System der Pflegeversicherung wäre ohne familiäre Pflege nicht finanzierbar. Die bisherigen staatlichen Reformen zu besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellen aus Thüsings Sicht nur einen Anfang dar. Perspektiven moderner Gesetzgebung sieht er in einer Neuausrichtung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes hin zu größerer Arbeitszeitsouveränität sowie in einer stärkeren Berücksichtigung der Unterhaltspflichten, ferner im Kündigungsschutz und in Sozialplänen.

Finanzen

„Der besondere Schutz der Familie im Steuerstaat“ wird von Gregor Kirchhof aus Augsburg untersucht. Er sieht Defizite darin, dass der verfassungsrechtliche Auftrag des Artikel 6 des Grundgesetzes nicht erfüllt wird. Danach sollen Familien nicht benachteiligt werden, sondern „geschützt und gefördert“. Berechnungen des Bundesfamilienministeriums, die für 2010 Leistungen in einem Gesamtvolumen von 200 Mrd. € ausweisen, hält Kirchhof für „an der Realität vorbei gegriffen“, und belegt dies mit einer Untersuchung der wichtigsten Einzelposten. Die umlagefinanzierten Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen seien keineswegs familienfreundlich. Mehr noch: Seit 2001 werde bei der Pflegeversicherung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Lasten kinderreicher Familien nicht angemessen umgesetzt.

Emanzipation

Als sechsfache Mutter schildert die Journalistin Katrin Krips-Schmidt aus Berlin ihr Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kinderkrippen würden die sehr kleinen Kinder meist mehreren Bezugspersonen aussetzen und wären oft personell unterbesetzt. Sie plädiert für eine „Gleichstellung der Frau als Frau“ und unterstreicht die gesamtgesellschaftliche Leistung von Müttern, die derzeit nicht ausreichend gewürdigt werde.

Anthropologie

Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Debatte zur Polyamorie und Homosexualität argumentiert Robert P. George von der Princeton University in seinem Beitrag „Was die Ehe ist – und was sie nicht ist“ für die dauerhafte Zweier-Partnerschaft von Mann und Frau als Ehe. Seine Zeitgeistkritik lautet: Eine Achtung der Würde von Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen verlange keine Neudefinition der Ehe. Die Ehe als rechtlich klar konturierte Institution sowie auch die kulturelle Bewusstseinslage seien wichtig, um bei vielen Menschen zumindest ein Basisverständnis davon wachsen zu lassen, was eine Ehe ist.

Politik und Menschenrechte

Den Mechanismen der „sanften Gewalt“ politischer Einflussnahme in legitimatorisch anspruchsvollen demokratischen Gesellschaften widmet sich Janne Haaland Matlary (Universität Oslo, ehemalige Staatssekretärin des Außenministers) in ihrem Beitrag „Menschenrechte und Naturrecht – mit Blick auf die Rechte der Kinder“. Ausgehend von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte untersucht sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre sowohl auf internationaler als auch auf nationaler (hier: norwegischer) Ebene.

Menschenrechte, die in ihrem Gehalt nicht als vorgegeben, sondern als abstimmbar verstanden werden, würden der eigentlichen Idee der Menschenrechte widersprechen. Deshalb betont Haaland Matlary das Naturrecht – bis auf Aristoteles zurückgehend – und zeigt auf, dass es „in uns eine natürliche Fähigkeit (gibt), das Richtige und das Falsche voneinander zu unterscheiden“.

Die Ablösung der Menschenrechte von ihrer naturrechtlichen Basis führe zudem zu Widersprüchen. Das gelte konkret für die Rechte der Kinder: In Norwegen habe die Parlamentsmehrheit den biologischen Zusammenhang zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs einfach wegdefiniert, obwohl ein Kind von jedem Elternteil 50% seiner Gene habe. Seit es In-vitro-Fertilisation und Leihmutterschaft gibt, interessierten die Rechte der Kinder offenbar nicht mehr.

Der weitere biologische Elternteil (Samenspender, Leihmutter, Eizellenspenderin) könne gesetzlich nicht anerkannt werden. Einen Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Paaren dürfe es nach der reinen Gesetzeslogik nicht mehr geben, da das eine Diskriminierung darstelle. Der Kampf gegen jede Art von Diskriminierung stehe derzeit ganz oben auf der Agenda vieler internationaler politischer Treffen. Leider werde dabei übersehen, dass auch Kinder, Ehen und Familien nicht diskriminiert werden dürfen.

Wirtschaft

Die Wirtschaftswissenschaften betrachten Privathaushalte und damit die Familie weitgehend nur als Konsumenten, bemängelt Michael-Burkhard Piorkowsky (Universität Bonn) in seinem Beitrag „Private Haushalte – ökonomische Basisinstitutionen der Gesellschaft“. „In den Standardlehrbüchern kommt Haushaltsproduktion nicht vor“.

Dabei leisten Privathaushalte zusammengenommen mehr als die größten Wirtschaftsunternehmen. Neueren Forschungsergebnissen werde man jedoch nur mit einer deutlich stärkeren Berücksichtigung privater Haushalte bzw. Familien als Produzenten und damit ihrer „strukturgebenden Funktion für Wirtschaft und Gesellschaft“ gerecht. Auch „Fehlorientierungen der Sozialproduktberechnung“ könnten durch eine entsprechende Bewertung der Haushaltsproduktion vermieden werden. Einen gesellschaftlichen und politischen Lernprozess auf der Grundlage eines erforderlichen Paradigmenwechsels hält Piorkowsky deshalb für überfällig.

Außerdem enthält der Band Beiträge von Lothar Häberle, Manfred Spieker, Sergio Belardinelli, Hans Thomas und Maria Pia Chirinos.