Während Mädchen im Bereich Sprache, Lesen und Kommunikation überlegen sind, ist das abstrakt-logische und räumliche Denken die klare Stärke der Jungen. Mit dem Eintritt in die Pubertät sind die Jungen und deren Eltern besonderen Belastungen ausgesetzt. Der pubertäre Hormonschub des Mannes verändert Körper und Seele nachhaltig.

Männliche Stärken

Die schulische Benachteiligung der Jungen würde noch wesentlich drastischere negative Auswirkungen im gesellschaftlichen Spektrum zur Folge haben, wenn es nicht einige spezifische Begabungen des Mannes gäbe, denen die Mädchen auf Koedukationsschulen kaum einmal das Wasser reichen können: Schon vor der Pubertät, so eruierte 1980 eine Studie der John-Hopkins-Universität in Baltimore, erbrachten mehr Jungen als Mädchen Hochleistungen in Mathematik. Nach der Pubertät sind kaum noch Mädchen darunter.

Abstrakt-logisches Denken

Die Begabung zum abstrakt-logischen Denken, die die Männer in den reinen Naturwissenschaften zeigen und die sie für die Technik favorisiert, scheint sich unter dem Einfluss des männlichen Geschlechtshormons, das in der Pubertät ausgeschüttet wird, noch mächtig zu steigern. Und das bezieht sich nicht nur auf die mathematischen Fähigkeiten allein: Wesensunterschiede, die das typisch Männliche ausmachen, sind von den Hirnforschern in den letzten Jahrzehnten in vielfältigen Untersuchungen bewiesen worden. Dass das bessere räumliche Vorstellungsvermögen der Männer seinen Ort im Gehirn hat, war die Entdeckung von Sandra Witelson und ebenso, dass die Hirnhälften des Mannes stärker vernetzt sind. (1)

Männer sind besser dafür ausgestattet, Informationen über weitere Strecken des Gehirns hin- und herzuschicken. Der holländische Hirnforscher Dick Swaab wies nach, dass ein Kern im Hypothalamus nicht nur doppelt so groß ist wie bei der Frau, sondern auch doppelt so viele Zellen enthält. (2) Ob hier der Ort der sich in der Pubertät ausformenden so markanten Begabungsunterschiede zu finden ist, bedarf noch der Abklärung. Auf jeden Fall steht fest, dass die Ausschüttung des männlichen Geschlechtshormons Testosteron in der Pubertät bereits unterschiedlich angelegte Hirnregionen aktiviert, die die spezifische Ausreifung der Männlichkeit zur Folge hat.

Es bedarf eigentlich keiner langen Laboruntersuchungen, um die machtvolle pubertäre Veränderung in der Entwicklung des Jungen zum Mann zu konstatieren: Es setzt (erheblich später als bei den Mädchen) ein Längenwachstum ein, das das der Mädchen durchschnittlich um sieben Zentimeter überschreitet. Die körperlichen Kräfte steigern sich, Bart und dunkle Stimme erleichtern es, alles Duckmäuserische und Unsichere hinter sich zu lassen. Der pubertäre Hormonschub des Mannes verändert Körper und Seele nachhaltig. Allerdings steigert sich auch mit der körperlichen Überlegenheit die Möglichkeit zur Gewalt. Gewaltverbrechen gehen deshalb im Verhältnis 96:4 Prozent zu Lasten des Mannes.

Unterschiedliche Entwicklung in der Pubertät

Die Pubertät, um die Dreizehn- bis Vierzehnjährigkeit herum, pflegt die Benachteiligung der Jungen zunächst noch keineswegs abzuschwächen. Nun gilt es, sich als Mann der dominanten, ihn bevormundenden Weiblichkeit seiner Kindheit zu entwinden; und das ohne Bewusstsein darüber, was in ihm vor sich geht. Die Schule „nervt“; die Eltern sind „Kotznummern“. Das Bedürfnis, sich an eine Gemeinschaft mit Gleichaltrigen anzuschließen, tritt in den Vordergrund, wobei Anpassung an die Gruppe eher als individuelle Vorlieben und Interessen in diesem Alter zunächst das Feld bestimmen.

Es kommt hier weniger auf das „Wohin?“ als auf das „weg von den Alten“ (besonders von der Alten) an – und das oft in höchst unausgegorener Weise. Statussymbole der Männlichkeit werden gesucht: Der Konsum von Zigaretten, Alkohol, Haschisch, Ecstasy gilt als Beweis der Unabhängigkeit, der mannhaften Verbotsübertretung. Suzuki und Surfclubs, Anschluss an Hooligans oder gar an radikale Schlägertrupps, Mutproben und die Suche nach ausgefallenen Abenteuern dienen dem Versuch, sich selbst das Gefühl von Stärke und Überlegenheit zu suggerieren.

Natürlich lassen sich auf diese Weise auch die Umwelt und besonders die Eltern provozieren und sie das Fürchten um das Leben der Söhne und ihr eigenes familiäres Ansehen lehren. Die Mutter zum Weinen zu bringen, gerät ebenso zum Genuss, wie dem Vater die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sich keinen Deut um seine Anweisungen zu scheren.

Große Herausforderung für die Eltern und Erzieher

Da pubertierende Söhne unserer Gesellschaft kaum einmal das Gefühl haben, sich der materiellen Abhängigkeit wegen nach der Decke strecken zu müssen, da sie eine Erziehung zur Disziplinierung selten noch genossen haben, findet die Notwendigkeit der Ablösung aus den kindlichen Bindungen, findet der hormonell ausgelöste Drang zur Verselbständigung bei den Jungen in der Pubertät heute in oft roher Manier statt. Das entartet nicht selten zu gefährlichen Zerreißproben, die nicht immer als chaotisches Intermezzo, als überwundene Phase nach einiger Zeit abgebucht werden können; denn Schule und Kirche bilden selten Haltegurte, so dass heute viel zu viele Exemplare der kostbar klein gewordenen Jungmännergruppierungen zugrunde gehen – durch Abdriften in die Rauschgift- und Alkoholsucht, in die Kriminalität, in den durch Leichtsinn hervorgerufenen Unfalltod oder gar durch Suizid.

Die Eltern stehen den stürmischen Aufbrüchen ihrer Söhne heute meist hilflos gegenüber. Zwar haben die meisten im Bewusstsein, dass es sich dabei um notwendige Verselbständigungsprozesse handelt; aber konstruktive Angebote zu Jugendtreffs mit Gestaltungsformen, in denen Eigenständigkeit maßvoll eingeübt wird, gibt es in unserer Gesellschaft viel zu wenig. Diskotheken sind dafür nicht geeignete Örtlichkeiten. Die Möglichkeit, dort auf ein destruktives Gleis zu geraten, sind viel zu groß.


Anmerkungen

(1) S.F. Witelson, Hand and Sex Differences in the Isthmus and Genu of the Human Corpus Callosum, Brain 112. 799/835
(2) D.F. Swaab et al., Structural and Functional Sex Differences in the Human Hypothalamus, S.93 ff.


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Christa Meves
Christa Meves, geb. 1925. Studium der Germanistik, Geographie und Philosophie an den Universitäten Breslau und Kiel, Staatsexamen in Hamburg, dort zusätzliches Studium der Psychologie. Fachausbildung im Psychotherapeutischen Institut in Hannover und Göttingen. Freipraktizierende Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Uelzen, Arztfrau und Mutter zweier Töchter, sechs Enkel. 1987 Konversion zum katholischen Glauben. Seit 1978 Mitherausgeberin der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur". Verliehene Auszeichnungen, u.a. 1977 Goldmedaille des Herder-Verlags; 1978 Niedersächsischer Verdienstorden; 1979 Konrad-Adenauer-Preis der Deutschlandstiftung; 1985 Bundesverdienstkreuz erster Klasse; 1996 Preis für Wissenschaftliche Publizistik; 2000 Ehrenmedaille des Bistums Hildesheim; 2001 Deutscher Schulbuchpreis. Bisher 108 Buchpublikationen, Übersetzungen in 13 Sprachen. Gesamtauflage in deutscher Sprache: fünf Millionen Exemplare.