Ich lebe mit meiner Frau in Japan, einem Land, in dem Christen nur eine winzige Minderheit sind. Trotzdem sieht man ab November überall reichlich Weihnachtsdekoration. Das meiste davon hat tatsächlich nur dekorativen Charakter, wird bestenfalls als Folklore rezipiert. Aber die Diaspora ist manchmal genau der richtige Ort, um sich des scheinbar Selbstverständlichen wieder bewusst zu werden. Der Anstoß dazu kommt manchmal ganz unerwartet.

Die ersten Weihnachtsgrüße dieses Jahres erhielt ich „online“ von einem alten Freund, einem Rabbi, der in Seoul in Korea wohnt. Wir hatten seit längerer Zeit nicht mehr von einander gehört, aber das Weihnachtsfest hatte ihn an meine Familie und mich erinnert, und er wusste, wie wichtig es uns ist. Also sandte er uns herzliche Grüße. Sogleich fiel mir siedend heiß ein, dass ich vergessen hatte, ihm meinerseits Grüße zu Chanukka zu schicken; zwar hatte ich kurz daran gedacht, es dann aber im Alltagstrott vergessen.

Die zweiten Weihnachtsgrüße dieses Jahres kamen von einer guten Bekannten muslimischen Glaubens, die in Taiwan lebt. Ihre Familie stammte ursprünglich aus der inneren Mongolei, lebte aber nun schon seit Jahrzehnten auf der schönen Insel. Wir haben nur sporadisch Kontakt; aber genau wie bei unserem jüdischen Freund wusste sie, wie wichtig uns das Weihnachtsfest ist. Sie schickte uns nicht nur überschwängliche Grüße samt fröhlichen Bildern und „Emojis“, sondern gleich noch zwei Links zu Advents- bzw. Weihnachtskonzerten, von denen sie zu Recht annahm, dass sie uns gefallen würden.

Danach kamen, fast im Minutentakt, Grüße von jüdischen Freunden aus Israel und – unabhängig voneinander – von muslimischen Bekannten aus Indonesien, von denen einer ein Abgeordneter ist, der andere Kraftfahrer. Auch sie wünschten uns nicht „frohe Festtage“, schickten nicht „Season’s Greetings“ oder neutrale Neujahrsgrüße; nein, sie alle wünschten frohe, sogar ausdrücklich gesegnete Weihnachten. Keiner von ihnen hatte irgend einen beruflichen Grund dafür, kein Eigeninteresse; keiner brauchte unsere Sympathie oder Unterstützung. Ihre Motive waren lauter. Sie alle hatten ganz einfach zum Weihnachtsfest an uns gedacht und freuten sich mit uns. Und dann kam noch jede Menge Weihnachtspost von japanischen Freunden und Bekannten hinzu, von denen die wenigsten Christen waren.

Ich war ehrlich beeindruckt und bewegt – und ein wenig beschämt. Brachte ich dieselbe Empathie umgekehrt auch auf? Und ich musste daran denken, wie in manchen Kreisen in westlichen Ländern ein großer Bogen um echte Weihnachtsgrüße gemacht wird, das Fest hinter verhüllenden Floskeln schamhaft versteckt wird. Eine EU-Kommissarin hat unlängst sogar einen ausdrücklich anti-weihnachtlichen Ukas zusammenschreiben lassen, der dann gerade noch einmal in der Schublade verschwand, vermutlich nur bis zum nächsten Versuch… Wissen wir in Deutschland und Europa eigentlich noch, was das Weihnachtsfest bedeutet? Ich musste an das Märchen vom „Hans im Glück“ denken, der sich von zweifelhaften Leuten beschwatzen lässt und einen großen Schatz nach und nach für weniger wertvolles Zeug eintauscht, bis er am Ende mit leeren Händen dasteht.

Meine jüdischen und muslimischen Freunde haben mir mit ihrer arglosen Freundlichkeit und selbstverständlichen Achtung für das Weihnachtsfest wieder in Erinnerung gerufen, was für einen großen Schatz wir da haben, dass wir ihn nicht verstecken sollen – und schon gar nicht gegen wertloses Zeug eintauschen. In der Hl. Messe an diesem Weihnachtstag war ich froh, dass meine Brille wegen der Maske beim Singen ohnehin beschlagen war, so dass man nicht sehen konnte wie gerührt ich war. Manchmal braucht man einen Anstoß von außen, um einfach die Augen wieder aufzumachen. Und diese echten Freunde schließe ich ganz sicher in mein Gebet mit ein.


J.S. Bach „Jauchzet frohlocket “ aus der Frauenkirche Dresden