(Bild: Giotto di Bondone – Ausschnitt: Die Geburt Jesu – um 1305)

Es sind die letzten Tage vor Weihnachten, und der „Countdown to Xmas“[1] ist fast zu Ende. Wir haben unseren Advent so oder so erlebt – hektisch oder besinnlich, mit intensiver spiritueller Begleitung, oder nur punktueller, oder auch ohne. Da lohnt sich ein Rückblick auf jene erste von allen Advents-Zeiten, jene, die Jesu Mutter Maria erlebt hat.Wie mag das damals für sie gewesen sein?

Keine Spur von Idylle

Stellen wir es uns nicht gleich zu idyllisch vor, nur weil wir wissen wie es ausging. Ihr Advent hat neun Monate gedauert, und was sie durchmachen musste, das stellt alles in den Schatten, was wir als vorweihnachtliche Belastung kennen. Fangen wir gleich an mit jener geheimnisvollen Empfängnis[2]. Wie viel Häme und Spott zieht heute auf sich, wer auch nur ernsthaft darüber spricht… Und dann Maria damals in ihrem Umfeld, in dem man „so etwas“ genauso wenig zu glauben bereit gewesen wäre, dazu aber noch strenge Moralvorstellungen hatte. „Was? Die ist schwanger…?“ Wie dürfen wir uns wohl die Reaktionen der Leute vorstellen? Ihrer Familie, der Nachbarn, der Freunde… Die einen bestürzt, die anderen schockiert, wieder andere scharf urteilend. Und ungefährlich war die Situation auch nicht.

Eine gefährliche Sache

Noch in unserer angeblich so „fortschrittlichen“ Welt droht einer Frau in dieser Lage nichts Gutes. In manchen Kulturen auch in unserer Zeit würde sie womöglich gesteinigt; sogar mitten unter uns passieren Morde an „solchen Frauen“, die scheinbar oder tatsächlich gegen „moral correctness“ verstoßen. Und im aufgeklärten Ambiente unserer permissiven Gesellschaft? Da dürfen sie aller Erfahrung nach auch nicht auf viel Empathie rechnen, und ganz schnell geht es dem Ungeborenen ans Leben, egal was die Mutter fühlt. Nein, das ist keine idyllische Lage, damals wie heute; eher eine lebensgefährliche, für Mutter und Kind. Aber was haben die Leute überhaupt gedacht seinerzeit?

Wir wissen zumindest, dass ihr Verlobter sich alle Mühe gab, ihr zu helfen, sie vor Spott, Hohn und übler Nachrede zu bewahren – und vor Schlimmerem. Er wollte sie „nicht bloßstellen“ und sich „in aller Stille von ihr trennen“[3]. Wie soll man sich das vorstellen? Eine Auflösung der Verlobung, die im Israel jener Zeit quasi eine eigene Rechtsform darstellte, war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber wenn die Verbindung gelöst wurde und die Frau doch schwanger daraus hervor ging, dann dürfte zumindest rechtlich gesehen ihre Position sicherer gewesen sein als ganz ohne diesen Kontext. Schön wäre das nicht, aber der lebensgefährliche Skandal doch vermieden…

Wer kann das ertragen?

Josef muss seine Maria sehr geliebt haben; warum sonst hätte er sie noch in einer solchen Situation schützen wollen, in der er erst einmal enttäuscht, traurig, tief verletzt gewesen sein muss? Wie hat er es erfahren? Sah man schon etwas? Haben sie darüber gesprochen? Man darf jedenfalls annehmen, dass er in jener Nacht, als er verzweifelt nach einem „gesichtswahrenden“ Ausweg suchte, manch eine Träne vergossen hat, bevor ihm in nächtlicher Vision ein ganz anderer Weg  gezeigt wurde. Wie lange musste Josef sich quälen, bevor ihm das Geheimnis enthüllt wurde? Ein paar Stunden? Tage? Wir wissen es nicht. Wir spüren aber zwischen den Zeilen des Evangeliums was für ein Mann er war – und wie glücklich sich Maria schätzen konnte, dass er nicht so war wie die anderen. Wusste Maria, wie aufopfernd ihr Verlobter nach einer Lösung suchte? Hat sie daran gedacht ihm alles zu erklären? Jene ersten Stunden und Tage müssen von einer fast unerträglichen Spannung gekennzeichnet gewesen sein – einer Spannung, die nur mit wahrhaft übernatürlichem Gottvertrauen zu ertragen war.

Josef war ohne Zweifel eine Ausnahmeerscheinung. Nicht mal einer in einer Million Männer würde so aufopfernd und milde reagieren wie er, als er von der Schwangerschaft seiner Verlobten erfuhr, einer Schwangerschaft, von der er besser als irgend ein anderer Mensch, außer Maria selbst, wusste, dass sie nicht auf ihn zurück ging. Hat er aber absichtlich „die Leute“ in dem falschen Glauben gelassen? Um Maria zu schützen, die er so sehr liebte? So scheint es gewesen zu sein. Denn später wird ja immer wieder berichtet, dass die Leute annahmen, Josef sei der Vater von Jesus.[4]

Fast noch ein Kind?

Man liest gelegentlich davon, wie jung Maria damals gewesen sei, fast noch ein Kind heißt es dann. Angeblich lässt sich das aus jüdischen Gepflogenheiten erschließen, was Verlobung und Eheschließung betrifft. In Wirklichkeit wissen wir überhaupt nichts davon, wie alt Maria wirklich war. Ein Kind war sie ganz sicher nicht mehr, denn dass sie eine bewusste Entscheidung treffen konnte, im Wissen um die Bedeutung des Vorgangs, darauf legt der Evangelist erkennbar großen Wert. Das viel zitierte „Ja“ Marias zu ihrem Kind und zu einer Rolle, die sich kein Mensch ausdenken könnte – das war nicht nur ein kurzer Moment des „Abnickens“ einer getroffenen Entscheidung, ein schnelles „okay“ ohne Nachdenken, sondern der dramatische Übergang in ein völlig neues Leben, das bewusste Betreten eines unbekannten neuen Weges. Nur in einer Hinsicht dürfte sich Maria etwas „Kindliches“ im schönsten Sinne bewahrt haben: in ihrem Glauben. Nicht im Sinne von „Unreife“, sondern im Sinne von „Gottvertrauen“ und „Gotteskindschaft“.

Hilfsbereitschaft und Courage

Hier mag man nun die Frage stellen: woher wollen wir das wissen? Nur aus dem einen überlieferten Satz Marias zu dem Engel „mir geschehe wie Du gesagt hast“[5]? Die Antwort liegt eher in ihrem Verhalten. Verständlicherweise erschrak sie zunächst bei der Begegnung. Das würde wohl jedem Menschen so gehen, der plötzlich eine direkte Transzendenz-Erfahrung macht[6]. Aber dann ist da von Anfang an diese tiefe Freude in ihr, diese unglaubliche Begeisterung[7], dieses „pro-aktive“ Annehmen ihrer Situation, die sie als ihre Berufung erkannt hatte. Sie versteckte sich nicht, sondern entwickelte eine lebhafte Aktivität, brach „eilig“ auf, um ihre ältere Kusine zu besuchen, von deren ebenfalls überraschender Schwangerschaft sie erfahren hatte.

Für eine junge Frau dürfte die Reise ins Bergland von Judäa keine Kleinigkeit gewesen sein. Konnte sie allein reisen? War das nicht gefährlich? Und wenn sie mit anderen reiste, wie konnte sie das so schnell organisieren? Maria scheint recht couragiert gewesen zu sein und dürfte nicht lange gefackelt haben. Es war ihr wichtig ihrer Kusine zu helfen, aber sie konnte auch ihre Freude nicht für sich behalten. Freude ist ansteckend und lässt uns über uns hinaus wachsen.

Bereit zur rechten Zeit

Dass Maria also eine mutige und tapfere junge Frau gewesen sein muss, wirft auch ein Licht auf die  Weihnachtsgeschichte. Sie war nicht zimperlich, fürchtete sich nicht vor den Gefahren des Reisens, selbst im neunten Monat, und sie war erfüllt mit Gottvertrauen und freudiger Annahme ihrer Berufung. Ohne das hätte sie die eigentlich doch sehr bedrückenden Umstände ihrer Niederkunft nicht „wegstecken“ können. Zumal diese neun Monate zuvor schon alles andere als einfach gewesen sein dürften.

Wie schön und tröstlich wäre es, wenn der lange Advent Marias ein wenig auf unseren ausstrahlte! Dann würde unsere Advents- und Weihnachtszeit ganz von selbst nicht nur „besinnlich“ sondern zutiefst ermutigend, zum Anlass unserer Freude[8].


[1]Vgl. die vier Beiträge „Countdown to Xmas“.

[2]Mt. 1, 18 und Lk 1, 26 ff.

[3]Vgl. Mt. 1, 19.  „Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.“ Zum Begriff der Gerechtigkeit und was es heißt, dass Josef hier ausdrücklich als „gerecht“ bezeichnet wird vgl. den Beitrag zur Kardinaltugend der Gerechtigkeit: https://erziehungstrends.info/kardinaltugenden-2-gerechtigkeit

[4]Vgl. z.B. Mt. 13, 55.

[5]Lk. 1,38.

[6]Entsprechende Berichte stimmen in diesem Punkt fast immer überein. Selbst für tiefgläubige Menschen ist es zutiefst erschütternd, wenn einmal – und sei es nur für einen kurzen Moment – der Vorhang der „kontingenten“ Realität weggezogen wird.

[7]Vgl. das „Magnificat“ Lk. 1, 46 ff.

[8]https://www.letras.com/papa-bento-xvi/causa-nostrae-laetitiae/


Dietrich Fischer-Dieskau sings: Bach, Grosser Herr und starker König (Weihnachtsoratorium)