Marc Chagall – tinte – 23 x 39 cm – 1963

O Gott, o Gott… was soll das nun wieder heißen? Die Anrufung Gottes geht uns umgangssprachlich leicht von den Lippen; selbst von völlig a-religiösen Zeitgenossen hört man zuweilen ein „…um Gottes Willen“, oder „…ach Du lieber Gott!“.

Dagegen weht uns aus dem zweiten Halbsatz des Vaterunser mit geradezu archaischer Strenge ein ganz anderer Geist an: Dem Gottesnamen gebühren Respekt und Ehrfurcht, ein gewisser Abstand vom Alltäglichen und Banalen. Hier bezieht sich das Gebet des Herrn direkt auf die zehn Gebote, nimmt die Warnung vor dem Missbrauch des Namens auf.

Heilig

Aber was ist eigentlich der Name Gottes? Und wer weiß heute noch, was „heilig“ ist, ganz zu schweigen von „Heiligung“?

In der Sache können wir vom Judentum lernen. Denn es gibt ja tatsächlich in der hebräischen Bibel, unserem Alten Testament, einen richtigen Namen Gottes, den fromme Juden aber seit jeher nicht aussprechen, sondern durch das hebräische Wort für „Herr“ (Adonai) ersetzen.

Nur einmal im Jahr wird in der Synagoge dieser geheimnisvolle Name ausgesprochen, mit dem sich Gott dem Mose offenbart hat (1). Und dieser Name hat es in sich – bedeutet er übersetzt doch einfach „Ich bin, der Ich bin“ (2). Gott kam mit der Nennung eines Namens dem Bedürfnis des Volkes Israel entgegen, das gegenüber den anderen Völkern auch seinen Gott beim Namen nennen wollte (3), wohl wissend, dass die anderen Götter eigentlich keine sind. Gott – der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – ist eben einfach Gott, ohne Zusatz oder Einschränkung, der Einzige, und deshalb auch der Gott aller anderen Völker.

Marc Chagall  •. Moses und der brennende Dornbusch • 1960 – 1966 • Öl auf Leinwand

Gottesnamen

Es gibt in der hebräischen Bibel neben dem geoffenbarten Gottesnamen noch eine andere Bezeichnung: „Elohim“, was streng genommen ein Plural (Majestätsplural) des auch in anderen semitischen Sprachen geläufigen Wortes für „Gott“ ist („El“; vgl. arabisch: Allah). In der historisch-kritischen Exegese nimmt man die beiden Gottesbezeichnungen zur Unterscheidung verschiedener Traditionsschichten bzw. Quellen der Schriften des AT. Von einem befreundeten Rabbi habe ich aber etwas Interessantes über die hebräischen Gottesbezeichnungen gelernt, das noch tiefer geht: Ist in der Schrift von „Elohim“ die Rede, dann wird damit in der Regel Gott der Schöpfer und der Richter bezeichnet; wird hingegen sein geheimnisvoller Name (4) verwendet, dann ist Gott der Liebende, Verzeihende, Barmherzige gemeint.

Wie auch immer der Befund der bibelwissenschaftlichen Analyse im Einzelnen ausfällt, wird hierbei doch deutlich: Der Name Gottes schafft Beziehung – eine persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch. Denn wer einen richtigen Namen hat, der ist Person, nicht „Prinzip“, „schöpferische Energie“, „Urgrund“ oder ferne „Macht“. Der Schöpfer ist ansprechbar, liebt seine Geschöpfe, will sogar, dass sie sich an ihn wenden.

Aber er ist nicht ein „verfügbarer“ Schmalspur-„Gott“, kein zu beschwörender Geist oder Dämon. Er ist unendlich und zugleich Person. Das ist sensationell und religionsgeschichtlich ganz außergewöhnlich, und darüber müssten wir eigentlich richtig aufgeregt sein.

So versteht man auch besser, was mit der „Heiligung“ des Namens gemeint ist: Ihn nicht ehrfurchtslos zu nutzen, nicht „im Namen Gottes“ bloß Menschliches – oder gar Unmenschliches – zu tun, ihn nicht für egoistische, vordergründige Zwecke zu missbrauchen. Ein Blick in die Zeitung genügt, um fast täglich solche Fälle von „unheiligem“ Gebrauch des Gottesnamens auf verschiedenen Ebenen zu entdecken –von eitler Anmaßung im öffentlichen Diskurs bis hin zu ruchloser Gewalt. Dagegen fällt es kaum ins Gewicht, wenn uns angesichts dieses Befundes ein erschrockenes „o mein Gott!“ entschlüpft.

Jedenfalls ist die erste Vaterunser-Bitte nicht nur altehrwürdig sondern ungemein aktuell.


Anmerkungen

1) Vgl. Exodus 3,6.

2) Vgl. hierzu wiederum Joseph Ratzinger /Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Bd. 1, Kap. 5, S. 177 und passim.

3) Die Israeliten wollten in ihrem Umfeld eben auch nicht isoliert und ganz anders sein; sie wollten auch „ihren Gott“ haben. Später verlangten sie danach, auch einen König zu bekommen, wie ihn damals alle Völker hatten, statt in einer Außenseitersituation zu verbleiben. Die besondere Ehrfurcht gegenüber dem Namen Gottes und der Thora diente auch zur Mäßigung dieses (allzu-) menschlichen Dranges zur Anpassung und zeitgebundenen „Normalität“.

4) Im Hebräischen werden eigentlich nur die Konsonanten geschrieben; Vokale wurden in der Biblia Hebraica später als Lesehilfe durch kleine Zeichen („Punktation“) ergänzt. Beim Gottesnamen (in lateinischer Umschrift würde er „Jhwh“ geschrieben) stehen in der hebräischen Bibel aber immer die Vokale für das Wort „Adonai“ / „Herr“.