Wenn der Begriff „Zuhause“ fundamental für das Glück von Menschen ist, bedeutet er noch viel mehr für das Glück derer, die mit Behinderungen leben. Die Covid Pandemie, mit ihren Einschränkungen, Masken und Abstandsregeln, hat wie nichts sonst, so glauben jedenfalls viele Familien und Einzelpersonen, diese Tatsache überdeutlich gemacht.

Annick Lievens, eine Erzieherin, die sich auf Betreuung von Kindern mit Bewegungsstörungen am Royal Reception Institute in Brüssel spezialisiert hat, hatte im vergangenen Jahr 36 junge Menschen ganztägig in ihrer Obhut. 

Als sie nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten, wurde das Internat ihr Zuhause und Annik stand vor der „unmöglichen“ Aufgabe, einerseits soziale Distanz zu wahren und andererseits emotional für diese Kinder mit all ihre Bedürfnisse zu sorgen.

Angesichts unserer Möglichkeiten, sagt sie, tun wir, was wir können und es sind oft die Kinder selbst, die die rechte Balance finden und uns sagen: „Ja, der Virus“! Sie sind einfallsreich und passen sich gut an. 

Annick ist eine von etwa einem Dutzend Menschen, die einer Dokumentation zugearbeitet haben, die man als pdf unter dem Link Caring at Home for Those with Extra Needs herunterladen kann. Es ist die letzte Publikation der in London ansässigen Home Renaissance Fundation, einer Serie über Zuwendung Bedürftiger zu Hause, mit bemerkenswerten Champions. 

Die kurzen Beiträge stammen aus sieben Ländern der Welt und öffnen Fenster in das Zuhause von Menschen, die ein großzügiges und erfüllendes Leben mit (meist) jungen Behinderten verbringen. Mehrere dieser Behinderten sind Autisten oder leiden am Down Syndrom. 

Andere Beiträge betreffen ein adoptiertes Kind aus dem Waisenhaus, einen Universitätsprofessor mit Multipler Sklerose, einen Vater mit Down Syndrom und zwei Familien, die von Taubheit betroffen sind. Darüber hinaus gibt es auch berufliche Aspekte.

Die Geschichten beschreiben den Kampf gegen das Leiden und weisen auf die Schmerzen hin, doch selbst wo sie Mängel an Unterstützung aufzeigen, ist der Ton positiv und zeigt Zuwendung und Freude. 

Auch junge Menschen kommen zu Wort. Die elf Jahre alte Adriana Espina hat genug von ihrem jüngeren Bruder Fer, einem Autisten und ihren anderen Geschwistern. Kara Gillespie, 15, wurde taub geboren und hat jetzt ihren eigenen YouTube Kanal. Sie hat auch autistische Anwandlungen.

Autismus hat unter allen Behinderungen eine besondere Bedeutung, denn es belastet die Familien sehr. Víctor Rodriguez, Psychologe und Sprachtherapeut, beleuchtet die Bedürfnisse der Familien aber auch der Betreuer, die eine spezielle Ausbildung benötigen. 

Lucy Hawking, Tochter des verstorbenen Stephen Hawking, hat den Epilog geschrieben, aus dem wir lernen, dass sie einen 24jährigen, autistischen Sohn hat. Sie hat für ihren Vater gesorgt, als seine Gesundheit verfiel und ist heute aktiv in der Autismus Forschung tätig. 

Als Ignacio Galibert vor 38 Jahren in eine argentinische Familie geboren wurde, gab es kein System der Unterstützung. Mit 5 Monaten wurde die Diagnose gestellt: Umfassende autistische Störung. So wurde er zum Fokus seiner Eltern und Brüder, indem sie durch ihre Trauer hindurch zur Annahme von Ignacios Zustand fanden. 

„Die finanziellen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seinem Zustand wuchsen täglich“, schrieb sein Vater Horacio. „Das nationale Gesundheitssystem bot keinerlei Unterstützung und es gab auch sonst keine finanzielle Hilfe für solche Fälle“. Als er älter und stärker wurde, begann für Ignacio eine Phase der Selbstverstümmelung, er schlug seinen Kopf gegen Wände, Türen oder Tische und schnitt sich in Stirn oder Kopfhaut. „Aber die Familie stand zu ihm und so versammelten wir uns jeden Abend mit allen Kindern, um zu beten und um neue Kraft für den nächsten Tag zu bitten.“ 

Ignacio sprach durchaus an auf Sport, Kunst und Musik, was zu einer Therapie nicht nur für ihn, sondern auch für die ganze Familie und ihren Freundeskreis wurde. Horacio weiter: „Die Jahre sind ins Land gegangen und jedes Familienmitglied ist jetzt in irgendeiner Form bemüht, das Wohlbefinden von Autisten zu verbessern, sei es als Betreuer, Lehrer oder einfach durch Zuwendung. Unsere Situation zu Hause war Motivation für ihre Lebensentscheidungen und Berufe.“

Zusammen mit anderen Familien schufen die Galiberts eine Bewegung, die 1994 zur Argentine Association of Parents of People with Autism (APAdeA) erwuchs und seither in der Lage war, professionelle und öffentliche Unterstützung einzuwerben. Ignacio, jetzt 38, lebt in der San Ignacio Community, einem Betreuungszentrum, das von Augusto, dem vierten seiner acht Geschwister geführt wird.

„Wir unterstützen Orte, wo Behinderte sich möglichst unabhängig und autonom entwickeln können, mit entsprechender Sozialisation und Inklusion, damit auch sie glücklich werden können“, sagt Horacio. 

Er nennt es „Ignacios Wunder”. Damit meint er, dass sein dritter Sohn seinen eigenen Weg gefunden hat, zu sein und in dieser Welt zu leben, nicht besser, oder schlechter als Unsereins.

„Manchmal waren wir ärgerlich über das Unvermögen Anderer. Aber das Zusammenleben mit Ignacio hat uns gelehrt, gelassen zu reagieren, Stärke zu gewinnen und zu entdecken, dass wir Mut entwickeln können. Wann immer wir ihn lächeln sahen, wurde uns bewusst, ihn als Gottesgeschenk anzunehmen und wir entdeckten in jeder seiner Gesten ein Zeichen der Hoffnung, das uns half, immer weiter voran zu gehen.“

Ignacios Wunder wird erlebbar in den Herzen von Menschen, die sich einsetzen, Wünsche haben und wirklich etwas erreichen wollen. Und wo sonst gibt es eine solche Kombination von Qualitäten als zu Hause?

Jeder, der für ein Familienmitglied mit besonderen Bedürfnissen zu sorgen hat, wird Ermutigung in diesen kurzen Geschichten und den sie begleitenden Porträts finden, und wir alle können im Bewusstsein wachsen, dass wir diesen Champions liebevoller Zuwendung Unterstützung schulden.