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(Bild: © Yann Forget / Wikimedia Commons)
Zu den unhinterfragten Mythen unserer Gesellschaft gehört die Annahme, das Christentum habe der Zähmung oder Domestizierung durch die Aufklärung bedurft und die Menschenrechte hätten gegen den Widerstand der Kirche erkämpft werden müssen. Wenn es darum geht „unsere Werte“ zu definieren, vergessen selbst der Kirche wohlgesonnene Zeitgenossen selten den verschämten Hinweis auf ein undefiniertes zusätzliches „humanistisches“ Erbe, das irgendwo neben oder trotz der Kirche bestanden haben soll. Aber was ist dran an dem angeblichen Widerstand der Kirche gegen die Menschenrechte?
Urchristliche Aussage schlechthin
Der Gedanke, dass alle Menschen, unabhängig davon, was sie sind oder tun, „Kinder Gottes“ und als solche gleich wertvoll sind, ist die ur-christliche Grundaussage schlechthin. Religionsgeschichtlich formuliert: Dieser Kern und Keim aller Menschenrechtserklärungen findet sich zuerst im Neuen Testament, wobei seine Wurzeln in der Hebräischen Bibel zu beachten sind. Mit seiner Betonung der Gotteskindschaft – egal ob Jude oder Heide, ob Sklave oder Freier – entzog schon der Apostel Paulus jeder Verzweckung oder Diskriminierung von Menschen die Basis.
Durch alle Stürme und Krisen der Kirchengeschichte wurde diese Grundwahrheit in der Kirche hochgehalten, vom Kirchenlehrer Augustinus über Papst Gregor den Großen (beide im 5. Jh.), der bereits eine regelrechte Definition der naturgegebenen Rechte aller Menschen formulierte, bis zur großen kirchlichen Rechtssammlung Gratians von 1140 und zu Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert. Papst Eugen IV. verurteilte unter Berufung auf das Menschenrecht der Kinder Gottes in seiner Bulle Sicut dudum von 1435 die Sklaverei, und Papst Paul III. lieferte mit seinem Dekret von 1538 eine reife, auch nach unseren Maßstäben menschenrechtlich begründete Verurteilung von Sklaverei und Unterdrückung. Alles lange vor der europäischen Aufklärung.
Nicht selten werden diese und viele ähnliche Befunde mit dem Hinweis vom Tisch gewischt, dass sie das Menschenrecht angeblich unter einen religiösen Vorbehalt stellten oder auf andere Art unserem postmodernen Menschenrechtsbegriff nicht gerecht würden. Aber das ist eine ebenso a-historische wie kurzsichtige Verurteilung, da ja der moderne Menschenrechtsbegriff ganz offensichtlich auf den christlichen zurückgeht.
Säkularisierte Menschenrechte
Warum aber stellten sich dann die Päpste im 19 Jh. so vehement gegen die Menschenrechtsdefinitionen im Gefolge der Französischen Revolution, so dass überhaupt erst die Propaganda-Parole „Kirche gegen Menschenrechte“ aufkommen konnte? Sie taten es zum Einen, weil die Verkünder dieser Erklärungen so vehement anti-christlich agierten; den Revolutionären fielen allein in Frankreich zig-tausende gläubige Katholiken und Priester zum Opfer, was nicht gerade überzeugende Werbung für den Ernst der Menschenrechtserklärung von 1789 war. Vor allem aber – und das überwog für die Päpste von Pius VI. bis Leo XIII. – wurden die säkularisierten Menschenrechte ausdrücklich als Loslösung vom christlichen Glauben und der Verantwortung des Menschen vor Gott propagiert. Es war mithin der radikale Autonomiegedanke hinter dem säkularisierten Menschenrechtsbegriff, der von der Katholischen Kirche verworfen wurde.
Sich den veränderten Realitäten schließlich anzupassen, den säkularen Menschenrechtsbegriff gewissermaßen zu „taufen“, also christlich zu deuten, statt ihn zu bekämpfen, war dann nur ein Akt der Klugheit – freilich mit der unschönen Nebenwirkung, dass sich bis heute die Mär hält, erst die Aufklärung habe der Kirche das Menschenrecht beigebracht…