Die Mode und das Moderne stellen nicht unbedingt das eigentlich Neue dar. Die Romantiker brachten auf ihrem Feldzug gegen die neuen Zeiten gerade das Mittelalter in Mode. Lange Haare haben jahrhundertelang ununterbrochen Männerhäupter geziert, und heute gelten sie als Provokation der dominierenden Adoleszentengeneration. Die mathematische Logik war 250 v. Chr. bei den durch die Säulenhalle (Stoa) Athens stolzierenden Philosophen en vogue, und sie funkelt immer wieder auf wie ein neugeborener Stern – bei Leibnitz, Withehead, Russell, Reichenbach.

Mode kommt von Maß

Wenn Mode nicht das Neue ist, sondern allein das Moderne, das heißt irgendein bereitwillig akzeptiertes Muster, besteht sie dann nicht in abgründigen, urmenschlichen Neigungen, deren Leitmotive je nach Umständen sprunghaft zu hören sind?

„Mode“, so unwahrscheinlich es klingen mag, kommt vom lateinischen „Modus“, was so viel wie „Maß“ bedeutet und alles davon Abgeleitete zusammenfasst: Verbindung verschiedener Elemente, Gleichmaß von Rhythmen, Harmonie, sowohl im logischen wie im mathematischen, im ästhetischen wie im sittlichen Raum.

Aus dieser reinen Quelle fließen edle Vokabel der Sprache der Kunst: Modell und modellieren, Modul und Modulation, in jener „göttlichen Proportion“ gipfelnd, nach der alle großen Geister der Renaissance brannten, und die nie in Wirklichkeit vollendet vorhanden ist, damit die Künstler aller Künste immer wieder neue, moderne Modelle „erfinden“ können. Dieser Drang, Modernes zu schaffen, setzt gerade etwas Ewiges voraus, als dessen zeitliche und räumliche Leibwerdung der einzelne Modus anzusehen ist.

Mode ist Spiel

Die Mode wurde erst im 17. Jahrhundert in Frankreich als eine Verweiblichung des Modus geboren: le mode wird la mode, vielleicht um der typisch männlichen Neigung zur Starrheit zu begegnen, als Triumph könnte man sagen, des „esprit de finesse“ über den „esprit de géometrie“.

Feingefühl, Biegsamkeit, Lebensnähe, Variationsfreudigkeit, Mode bergen die Gefahr des Launischen in sich, des um jeden Preis Aufsehen-erregen-Wollens, des Kitsches, des Snobismus, der sinnlosen Beweglichkeit. Und da sich die Mode in unserer Zeit in ein Konsumobjekt verwandelt hat, können Modeschöpfer und Mannequins die ganze Gesellschaft tyrannisieren, die dann nicht im Takt der Inspiration tanzt, sondern nach der eigennützigen Pfeife der „heimlichen Verführer“.

Stirnrunzelnd empören sich jene ernsten Menschen, die für ihren ewigen Katzenjammer auch hier ihre Gründe parat haben: Capricen, Verrücktheiten, Eitelkeit, Sittenlosigkeit, Verschwendung seien Eigentümlichkeiten der Mode, als ob die Mode schlechthin eine Erfindung des Teufels wäre. Kultur, Geistesflug und Tugend sollten sich der Mode entgegenstemmen, in Wirklichkeit geraten sie dabei oft nur in die Falle einer anderen, raffinierteren Art des Kitsches, wenn nicht gar des Dandytums. Jede Feinheit, jede Mode, jedes Spiel ist eine heikle, delikate Angelegenheit. Es ist von allen Seiten bedroht. Aber der Mensch darf darauf nicht verzichten, weil Starre im Materiellen und im Geistigen ihn ersticken kann.

Mode ist Spiel, und als solches zu bejahen, ist doch nach Platons Wort das Beste am Menschen, „ein Spielender zu sein“. Der große Theologe Thomas von Aquin behauptete, dass „das Spielen für das innere Leben ebenso notwendig wie das Ausruhen“ sei, und die alte griechische Sittenlehre bezeichnete den idealen Menschen als „Eutrapelos“ (der Ernst-Heitere), der zwischen dem Possenreißer (Bomolochos) und dem steifen Griesgram des sturen Ernstes (Agroikos) steht. Der spielende Mensch – wie ihn in unseren Tagen auch J. Huizinga und H. Rahner treffend geschildert haben – weiß um die eigene Sinnhaftigkeit und zugleich um die eigene Nichtnotwendigkeit; und dadurch vermag er sowohl der Gefahr des Leichtsinns als auch der Gefahr der Tragik zu entrinnen: Er darf wie das durch die Liebe geborgene Kind und der alles überragende Gott der Liebe in Freiheit spielen.

Seine Freiheit ist aber auf Erden immer gefährdet, er kann dem Ernst des Lebens nicht ausweichen und lernt dennoch – in seiner Weisheit – jenes „Unter-Tränen-Lächeln“. Das Kind spielt, weil sein schöpferisches Wesen zu uneingeschränkter Entfaltung drängt. Die Psychologen haben das Spiel jener kleinen Schwestern berühmt gemacht, das darin bestand, „Schwester zu spielen“: Hier wurde eine Tatsache gegen die freigewählte Beziehung ausgetauscht, die an keine Bindung geknüpft ist; die Wirklichkeit – damit der Freiheit unterworfen – wird im Spiel nochmals und tiefer entdeckt.

Nicht die Lüge des Spieles erfüllt uns, ebensowenig die Lüge der Dichtung, wohl aber die Selbstzweckmäßigkeit des Spielens und Dichtens, als von Handlungen, die das Gesetz der Nützlichkeit völlig überwunden haben.

Fülle des spielenden Daseins zeigen die beschaulichen Menschen, die die Kontemplation der überzeitlichen Wahrheit erreichen, die nicht auf ein anderes hinzielt, sondern um ihrer selbst willen erstrebt wird: Der Troubadour von Assisi, der witzige Thomas Morus, die fröhliche Theresia von Avila, der mystische Spaßmacher Philipp Neri, sie alle wurden von der ewigen Weisheit erfüllt, die „vor Gott allezeit spielt“ (Spr 8,30). Das „amo ut amem“ (Liebe um zu lieben) wird hier zum Spiel um zu spielen.

Aber die Moral?

Aber ist es denn nicht abwegig, solche Erhabenheiten auf die Mode zu beziehen? Lässt uns das Worte „Mode“ nicht sofort an ganz andere, wenig edle Dinge denken: Minirock, Marihuana, Shake, Comic Strips, James Bond, BB, CC und MM?

Zwischen den großen echten Spielen, dem des Kindes und dem der göttlichen Weisheit, erstreckt sich der gefährliche Raum des Spieles der Erwachsenen: der Spielraum der Mode. Die Mode in der gängigen Bedeutung des Wortes (Kleidung, Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, Unterhaltung, Hobby usw.) nähert sich dem Spiel der Kinder. Die Mode im Bereich des Geistes (Kultur, Politik, Religion, Sitte) sollte sich dem erhabenen Spiel der Gottesweisheit nähern.

Erstere verliert, von Eigennutz vergiftet, aus Mangel an Schlichtheit den Charakter des Spieles von Kindern und wirkt verführerisch. Zu allen Zeiten haben Sittenprediger ihr ganzes Können und oft ihre schlechte Laune gegen die Mode ausgespielt: theologisch meist mit Recht, aber psychologisch oft ganz falsch. Und manchmal mit wunderbarer Rhetorik wie Abraham a Sancta Clara, von dem Martin Heidegger, der Vater des Existentialismus, vergnügt erzählte: „Als er einmal die großzügigen Dekolletés der Damen heftig peitschte, entstand vor allem in der Hofgesellschaft Wiens große Empörung. Am kommenden Sonntag kamen besonders viele Zuhörer … Nachdem Pater Abraham seine Predigt beendet hatte, blieb er noch eine Weile auf der Kanzel stehen und sagte dann: ‘Ich habe im Verlauf meiner letzten Predigt behauptet, dass Frauen, die eine Mode wie die vorherrschende mitmachten, nicht verdienen, mit der Mistgabel angefasst zu werden. Ich nehme das zurück. – Sie verdienen es.’“

Wie alle anderen menschlichen Leistungen kann auch die Mode moralisch oder unmoralisch sein, wobei es nicht (oder nicht entscheidend) von ein paar Zentimetern Stoff oben oder unten abhängt, sehr wohl aber von den Absichten des Schöpfers, der Tragenden und der Beobachter, deren innerlicher Erotismus durch die „schamlose Mode“ eines anonymen Menschen am unrechten Platz zur unrechten Zeit erregt wird. Nicht die Nacktheit ist unmoralisch, sondern das Herz, das mit dem künstlich isolierten menschlichen Erotismus spielen möchte.

Abgesehen von der großen Bedeutung des Spruchs der alten Sittenlehre „ab assuetis non fit passio“ (das Gewöhnliche entfesselt keine Leidenschaft), der vernünftigerweise sowohl von „topless“ in europäischen Breiten wie von Blusen bei bestimmten afrikanischen Negerstämmen abraten lässt, ist es immer der Geist mancher Leute, den man mit der Mistgabel anfassen sollte, nicht aber eine bestimmte Robe oder einen bestimmten Tanz.

Die Strandbäder der Belle Epoche mit ihren Badeanzug-Garnituren waren nicht sittsamer als die heutigen, bei denen Slips und Bikins triumphieren. Die Erotisierung der Mode – wie aller anderen Konsumprodukte unseres Zeitalters – zeigt nur, dass es in unserer Gesellschaft um das Sexuelle ziemlich wacklig und krankhaft bestellt ist. Vielleicht gerade deshalb, weil sich das Modische im Bereich des Geistes noch entarteter und vergiftender präsentiert als irgendwo anders.

Falsches Spiel

Aus Mangel an Beschaulichkeit – der einzigen Hervorbringerin der Einheit: Leib-Seele, Person-Gesellschaft, Welt-Gott – verspielen täglich Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler und Theologen ihre eigenen Möglichkeiten, indem sie von Laune, Ungeduld, Eitelkeit, Erfolgssucht, menschlichen Rücksichten usw. getrieben, Moden verbreiten und Moden folgen.

Hier sollten die Sittenrichter eingreifen, denn wenn die Nützlichkeit „das große Spiel“ verdirbt, wenn Kultur, Kirche, Kunst, Politik vom misslungenen kleinen Spiel der Mode überrumpelt werden, dann brechen am Leibe des einzelnen und am Leib der Gesellschaft eitrige Wunden auf. Nicht nur Kulturströmungen, Kunstschulen, wissenschaftliche Arbeitshypothesen und technische Errungenschaften verbreiten sich wie ein neuer Haarschnitt und verursachen denselben Klamauk, sondern sogar theologische Meinungen werden wie neue Schnulzen hochgespielt und Rebellion innerhalb der Kirche gewissermaßen als Hippie-Freiheitsbewegung propagiert.

Nie waren die Naturwissenschaftler den Moraltheologen an Geist, Gleichgewicht, Geduld und Bescheidenheit so weit überlegen, wie bei der Frage der „Pille“: Katholische Akademien, Universitätsprofessoren, bekannte Ordensblätter und phantasielose TV-Prediger haben ihre unverständliche und unverschämte Ablehnung der päpstlichen Mahnung zu Ruhe und Geduld mit schmeichelnden Starletmienen zur Schau gestellt.

Kleriker und Klerikale erfinden im Rausch eines zur Mode degenerierten und entstellten „Aggiornamento“ täglich „neue Ideen“, die sofort an die große Glocke gehängt werden, wodurch nicht selten die Würde und der Friede vieler Gewissen, ja die Wahrheit selbst leichtsinnig verletzt werden. Innerkirchlicher Masochismus ist eine sehr wienerische Mode: Sacher-Masoch war Wiener, und sein Name spielt auf eine eigentümliche Mischung von süßer Torte und perverser Selbstzerfleischung an, wie man ihr in einem modischen Buch Friedrich Heers – auch er ist Wiener – begegnen kann.

Tyrannisch wird für improvisierte Theorien und Arbeitshypothesen wie für Stiefel und Mieder geworben, und sie werden wie diese akzeptiert …, auch wenn bloß ganz verstaubte Lehren und Denkweisen in neuer Verpackung angeboten werden.

Viel harmloser – und viel lustiger – ist da die „Diktatur“ Cardins, der die Chiffons Franco Costas allerorten anpreist, als die Diktatur jener Gruppe schwärmerischer Geistlicher, die einen von der Mehrheit der Gläubigen gar nicht erwünschten verheirateten Klerus fordert. Besser Mary Quant in der Carnaby Street mit ihrer Schar flotter Minimädchen als ein ernster Verhaltensforscher Konrad Lorenz mit seinen selbst ausgebrüteten Gänsen.

Besser das Heulen der Rolling Stones als der langweilige Chor der entmythologisierenden Bibelforscher. Besser Lil Abners Comic-Strips auf Boulevardblättern als die mit Weihwasser besprengte und mit aufklärenden Worten billigster Psychoanalyse eingeführte LSD-Malerei im Mauerschatten des Stephansdomes. Besser die bunten OP-Strümpfe und die T-Shirts der jungen Londoner als der von statistischer Mechanik und allerhand Psychologismen behaftete Trend zur Soziologie bei manchen Seelsorgern, die von der Verlockung der jüngsten Sirene – des sogenannten Strukturalismus – noch nicht verführt wurden. (Das wird mit der üblichen Verspätung schon noch kommen.)

Man sollte das echte Spiel behüten und fördern, das falsche vermeiden. „Der heutige Mensch“, schrieb einmal Elisabeth Langgässer, „kann nicht spielen, weil er mysterienlos geworden ist.“ Die wahren Ludimagistri, die Freiheit stiften und fördern, Freiheit aber nicht nur von Bindungen, sondern Freiheit zum verantwortlichen Einsatz, zum Dienst, zum großen Spiel, das Frömmigkeit des Denkens und des Handelns voraussetzt.

Um der Mode den ihr eigenen, erfreulichen Platz zuweisen zu können, sollte man zum Kind werden, zum eigentlichen, spielenden Menschen. Wenn uns dies nicht gelingt, wird in unseren schwerhörigen Ohren der alte Vorwurf des Evangeliums ertönen: „Wir haben gesungen, aber ihr habt nicht getanzt.“

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.