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(Bild: Boabdil übergibt 1492 Granada an das spanische Königspaar (Historienbild von 1882))
Zu den besonders realitätsfernen „schwarzen Legenden“ gehört der Mythos von den toleranten Mauren und der bigotten Kirche. Er lässt sich mindestens bis zu den Aufklärern des 18. Jh. zurückverfolgen und erfreut sich neuerdings wieder wachsender Beliebtheit. Demnach seien die islamischen Herrschaften des frühen Mittelalters, besonders in Spanien, viel aufgeklärter und kultivierter gewesen als die christlichen. Die Katholische Kirche habe dann einen gnadenlosen Religionskrieg gegen diese edlen Bewahrer antiker Kultiviertheit vom Zaun gebrochen und alles zerstört. Eine groteske Legende.
Eroberung
Als im Jahre 711 ein arabisch-muslimisches Heer über die Straße von Gibraltar setze, war das Ziel dieser Truppe nicht die Kultivierung eines barbarischen Brachlandes, sondern die Eroberung eines blühenden Reiches, von dessen materiellen Schätzen und beachtlichem Humankapital sich die Eroberer zu Recht viel versprachen.
In der materiellen Kulturgeschichte Europas machte sich die Errichtung einer muslimischen Oberherrschaft auf der iberischen Halbinsel unter anderem dadurch bemerkbar, dass die Fertigung von illuminierten Prachthandschriften, für die das westgotische Spanien berühmt gewesen war, dramatisch zurückging.
Es dauerte etliche Jahrzehnte, bis in anderen Teilen Europas Ersatz geschaffen wurde. Die islamische Eroberung großer Teile der iberischen Halbinsel war eben nicht der Beginn einer Art Renaissance avant la lettre, sondern eher eine teilweise Wiederholung des Kulturbruches der Völkerwanderungszeit.
Koexistenz und Konfrontation
Die Beziehungen zwischen christlichen und muslimischen Herrschaften, die sich im Gefolge der arabischen Eroberung im heutigen Spanien bildeten, waren zeitweise geprägt von einer Mischung aus Koexistenz und Konfrontation, auch mit fruchtbarem Austausch. Als leuchtendes Beispiel gilt die sagenumwobene Gestalt des „edlen Kämpfers“ Rodrigo Díaz de Vivar, genannt „El Cid“, der als Muster eines christlichen Ritters galt, zeitweise aber auch bedenkenlos in die Dienste eines muslimischen Fürsten treten konnte.
Dass dieses idyllische Bild nicht die ganze Wahrheit zeigt, beweist die lange Reihe christlicher Märtyrer, von den bekannten, wie Eulogius von Córdoba, der im Jahre 859 als einer von 49 Glaubenszeugen im vermeintlich toleranten Emirat von Córdoba für seinen Glauben getötet wurde, bis zu denen, die nur lokal verehrt werden. Wenig Beachtung erfährt für gewöhnlich auch die Tatsache, dass allein in Granada am Ende des 11. Jh. tausende von Juden im Namen eines radikalen Islam ermordet wurden, was die Überlebenden dazu veranlasste, in die christlichen Staaten auf der iberischen Halbinsel zu fliehen.
Grausame Religionskriege?
Dennoch hält sich hartnäckig ein Narrativ, das heute wieder gegen die Katholische Kirche in Spanien eingesetzt wird: Erst durch den Fanatismus der Katholiken sei die gute Welt der frühen interreligiösen Toleranz von grausamen Religionskriegen abgelöst worden. In Wahrheit waren es die aus Nordafrika stammenden radikalislamischen Almoraviden und Almohaden, die im 11. bzw. 12. Jh. die iberische Halbinsel mit blutigen Kriegszügen überzogen, wobei sie ihren „Dschihad“ nicht nur gegen die christlichen Kleinreiche führten, sondern auch gegen manche muslimischen Lokalfürsten, die ihnen nicht radikal islamisch genug waren. Das Wüten der almoravidischen und almohadischen Heere kann in Motivation und Form durchaus mit dem des „IS“ in Syrien in unserer Zeit verglichen werden.
Als „i-Tüpfelchen“ der Legende von den guten Muslimen und der bösen Kirche gilt die 1492 erfolgte Vertreibung der Juden aus Spanien durch Königin Isabella von Kastilien und ihren Ehemann Ferdinand von Aragon; ein wirklich trauriges Kapitel.
Weltliche Machtpolitik
Die spanischen Juden wurden vor die Wahl gestellt zu konvertieren, wie es sehr viele schon in den Jahrhunderten zuvor durchaus freiwillig getan hatten, oder das Land zu verlassen.
Motivation und Verfahrensweise des spanischen Herrscherpaares sind dabei allerdings nicht mit dem mörderischen Antisemitismus des 20 Jh. zu vergleichen, sondern eher mit dem Prinzip „cuius regio, eius religio“ (wer herrscht bestimmt die Religion in seinem Land) aus dem 16. Jh., das dazu dienen sollte, durch die erzwungene Schaffung religiös vermeintlich homogener Gesellschaften religiös motivierte Kriege bzw. Bürgerkriege zu verhindern.
Gern wird darauf verwiesen, dass manche der 1492 aus Spanien vertriebenen Juden Zuflucht im Osmanischen Reich fanden. Weniger bekannt ist, dass andere jüdische Exulanten vom Kirchenstaat aufgenommen wurden. Das darf aber nicht verwundern, denn die vertriebenen Juden waren natürlich nicht Opfer der Katholischen Kirche, sondern kalter weltlicher Machtpolitik beim Versuch der Gründung eines Einheitsstaates.