Haben Sie schon einmal von Tórshavn gehört?

Übersetzt aus dem Altnordischen bedeutet es „Thors Hafen“. Als ausgesprochener Europabegeisterter habe ich diesen Ort auf meiner Wunschliste. Nach allem, was man hört, ist Tórshavn ein angenehmer Ort, aber die Temperaturen erreichen im Sommer maximal 12 °C . Tórshavn ist die Hauptstadt der Färöer, eines Archipels von 779 Inseln, Schären und Felsen, von denen 17 bewohnt sind. Die Färöer liegen auf halbem Weg zwischen Norwegen und Island, 200 Meilen von der nördlichsten Spitze Schottlands entfernt.

Diese windgepeitschte Inselgruppe im Nordatlantik sorgte kürzlich für Schlagzeilen im britischen Telegraph: „Was die Färöer-Inseln Europa über Fruchtbarkeit lehren könnten“. Während viele Länder alles Erdenkliche tun, um Anreize für das Kinderkriegen zu schaffen, scheinen die Färöer den Wunsch – und den Willen – zu haben, zu überleben.

Mit der höchsten Gesamtfruchtbarkeitsrate in Europa (2,3+) haben sie sich in den letzten drei Jahrzehnten konstant über dem Reproduktionsniveau gehalten. Dies ist unter wohlhabenden Volkswirtschaften außergewöhnlich. Den benachbarten Inseln geht es nicht annähernd so gut. Orkney und Shetland (Schottland) liegen bei 1,4 bzw. 1,6, und die Aland-Inseln (Finnland) bei 1,7.

Die Färöer sind ein demografisches Rätsel. Haben Postmoderne und politische Korrektheit dieses nordatlantische Nirwana irgendwie übersehen? Schön wär’s. Der frühere Gesundheitsminister Hans Pauli Strøm sagt: „Ich beobachte die Fruchtbarkeitsrate seit Jahren und frage mich, wann sie wie in anderen Ländern zu sinken beginnt. Aber sie überrascht mich immer wieder.“ Strøm nannte drei Gründe für die konstant über der Reproduktionsquote liegende Geburtenrate. Erstens können Menschen, die nahe beieinander wohnen, leicht umziehen. Das wiederum ermöglicht bessere familiäre Bindungen. Die Großeltern sind praktisch um die Ecke. Aber der dritte Grund gibt einen Einblick in die Kultur:

Die färöischen Arbeitgeber sind traditionell sehr entgegenkommend gegenüber Eltern. Es besteht ein gegenseitiges Verständnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die für die Kindererziehung erforderliche Flexibilität. Das bedeutet, dass es weitgehend akzeptiert wird, wenn man sich freistellen lassen muss, um ein krankes Kind zu pflegen oder früher zu gehen, weil es sich im Kindergarten verletzt hat. Das deutet darauf hin, dass traditionelle Familienwerte vorherrschen. Die Kinderbetreuung ist preiswert. Es gibt ein ganzes Jahr (52 Wochen) Familienurlaub, wenn ein Kind kommt. Das großzügige Kinderbetreuungsgeld ist an das Einkommen gekoppelt.  All dies wird wie im übrigen Skandinavien durch hohe Steuern finanziert. Es ist offensichtlich, dass die Färöer ihr Geld von der Regierung zurückbekommen.  

Eine Mutter von drei Kindern, die von Dänemark auf die Färöer gezogen ist, sagte dazu Folgendes:
Mein Arbeitgeber hat mich nie in Verlegenheit gebracht oder Bemerkungen wie ’schon wieder?‘ gemacht, wenn ich mit einem kranken Kind zu Hause bleiben musste. Sie veranstalten sogar regelmäßig Weihnachts- und Sommerfeste für die Kinder. Das veranlasst mich, im Gegenzug ebenfalls flexibel zu sein. 

Eine familienfreundliche Politik ist auf den Färöern nicht neu, und so gibt es keine hektischen staatlichen Interventionen, um den gesellschaftlichen Zusammenbruch abzuwenden. Es gibt auch ein wachsendes kulturelles Bewusstsein. Die Inseln wurden im 9. Jahrhundert von Wikingern besiedelt; die männliche Abstammung ist also zu 87 % skandinavisch. Die weibliche (mitochondriale) Abstammung ist zu 84 % keltisch. Die färöische Jugend legt sogar ihre Handys weg, zieht an Feiertagen die Nationaltracht an und bekennt sich ausdrücklich zu ihrem Erbe.

Die Färöer sind in vielerlei Hinsicht einzigartig, auch in demografischer Hinsicht. Die Lebenserwartung ist hoch: 79,9 Jahre für Männer und 84,4 Jahre für Frauen. Die Arbeitslosigkeit beträgt weniger als 1 %. Fast 90 % der Menschen im erwerbsfähigen Alter sind erwerbstätig, die höchste Quote in Europa. Die Färöer haben die höchste Adoptionsrate der Welt im Verhältnis zur Bevölkerung (50.000). Jedes Jahr werden zehn bis fünfzehn Kinder aus Afrika, Asien und Lateinamerika adoptiert.

Die Abwanderung junger Menschen, vor allem zur Aufnahme eines Studiums, ist erheblich. Traditionell kehren weniger Frauen als Männer zurück. Dieses geschlechtsspezifische Defizit führte zu einer organisierten Partnervermittlungsinitiative, die schließlich rund 300 südostasiatische Bräute brachte. Doch nun wächst die Bevölkerung um mehr Frauen als Männer. Ein Grund: Es ist „cool“ geworden, die erstklassige Universität der Färöer Inseln zu besuchen.

Die politische Situation ist sogar noch faszinierender. Als selbstverwaltetes dänisches Territorium sind die Färöer nur dem Namen nach ein Land. Sie stellen Pässe aus und haben eine eigene Währung, die färöische Krone, die an die dänische Krone gekoppelt ist. Sie haben ihre eigenen Nummernschilder und Briefmarken und erhielten 2005 Autonomie in den Außenbeziehungen. Im Gegensatz zu Dänemark sind die Färöer nicht Teil der EU und unterhalten enge Handelsbeziehungen zu Russland.

Doch zurück zum familienfreundlichen Aspekt. Der ehemalige Gesundheitsminister Strøm: „Man hat nicht das Gefühl, dass man auf sein eigenes Leben verzichten muss, um Kinder zu bekommen. Man kann fast so leben, wie man will, auch wenn man gleichzeitig Kinder erziehen muss.“

Das hört sich gut an. Vielleicht hat Herr Strøm es nicht so gemeint, aber sein Kommentar spricht Bände über die heutige Welt. Erstens verzichtet man nicht auf sein Leben, um Kinder zu bekommen. Kinder sind das eigene Leben. Das nennt man Familienleben. Heutzutage legen die Menschen ihr Familienleben „auf Eis“, um Karriere zu machen und komfortabel zu leben. Das führt zu weniger Kindern und Familien.

Das Gleiche gilt für „man kann fast so leben, wie man will, auch wenn man gleichzeitig Kinder erziehen muss“. Wie wäre es, wenn das Leben „so zu leben, wie man es will“ das Familienleben wäre – und nicht etwas, das Paare tun „müssen“?  

Seien wir einfach froh über die guten Nachrichten von den Färöern, einem Ort, an dem Wohlstand offenbar nicht im Widerspruch zur Familie steht. Wir alle könnten davon lernen.