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In westlichen Gesellschaften – die sich zugleich als Leistungsgesellschaften definieren und als Spaß- oder Freizeitgesellschaften fühlen – gibt es ein zunehmendes Bedürfnis nach „Ausgleich“ und Entspannung, nach „Entschleunigung“ und „Wellness“, gern verbunden mit ein wenig Sinngebung.
In den letzten Jahrzehnten wurden fast alle Lebensbereiche schleichend vom Leistungsdenken und vom ewigen Wettbewerb erfasst, bis tief hinein ins Familienleben und auch in die Freizeitgestaltung. Zugleich schwanden rapide fast alle spirituellen Bezugspunkte im täglichen Leben, die zuvor eine anstrengende und oft harte Lebenswirklichkeit in Perspektive gesetzt und damit erträglich gemacht hatten.
Angesichts der entstandenen spirituellen Ödnis blühen schon seit langem diverse Angebote auf dem „Sinngebungsmarkt“ und in der Wellness-Industrie; sehr häufig finden sich dabei Schwundformen asiatischer religiöser Traditionen. Bei der Suche nach Entlastung und Heilung muss man aber nicht in die Ferne schweifen; ein Comeback traditioneller christlicher Meditation kann auch in einer „religiös unmusikalischen“ Gesellschaft zu erstaunlichen Wirkungen führen.
Quasi-religiöse Sinnfüller
Der Preis der allgemeinen kulturellen Relativierung und der Individualisierung des Lebens in Europa ist zunehmend Orientierungslosigkeit, Langeweile und Vereinsamung. Da Unterhaltung und Spaß – trotz der beachtlichen Produktion der Vergnügungsindustrie – zum Füllen der Leere nicht mehr ausreichen, blühen Wellness- und Meditations-Angebote, vielfach am Rande des Religiösen angesiedelt, die diesen Markt bedienen sollen. Aber genau darin liegt das Problem – es geht um einen Markt, um effizientes „Abarbeiten“ von Problemen zur vordergründigen Bedürfnisbefriedigung. Klar, dass sich selten eine tief gehende und bleibende Entspannung einstellt – ganz zu schweigen von „innerem Frieden“.
Die meisten Wellness- und Meditationsprogramme greifen auf modische Schwundformen meist süd- und ostasiatischer Spiritualität zurück; besonders beliebt ist eine Art „Buddhismus light“.
Entsprechend oberflächlich und kurzlebig sind in der Regel die Erfolge. Man gibt sich mit der Vorstellung zufrieden, ein wenig Räucherwerk und Klangschale könnten nicht schaden; Kirchenglocke und Weihrauch sind dagegen „irgendwie out“. Konsumenten asiatischer Meditationen und Riten werden aber unversehens auch mit – oft subkutanen – religiösen Inhalten konfrontiert.
Während man Yoga in der Regel zunächst mehr als Gymnastik besonderer Art konsumieren kann, sind bei Reiki, Zen-Meditation und anderen Praktiken die religiösen Unterströmungen stärker als man denkt – in vielem (formal und inhaltlich) sehr nahe an „New Age“–Kulten und Sekten (Bikram-Yoga, Hare Krishna, Moon-Sekte etc.). Und spätestens an diesem Punkt setzen „Risiken und Nebenwirkungen“ ein, von denen die Sinn- und Entspannungssucher zunächst nichts ahnten.
Christliche Meditation
Warum also nicht – darin sogar dem Rat des Dalai Lama folgend – an die Quellen der eigenen kulturellen Tradition zurückgehen? Bestimmte Formen christlicher Meditation sind weltweit und in allen Kulturkreisen erfolgreich, warum sollten sie es in Europa nicht mehr sein?
Vielen von uns fällt es aber schwer, den Zugang zu christlicher Meditation zu finden, da wir verunsichert sind, was die Inhalte betrifft, und „fremdeln“, wenn es um die Formen geht. Ein asiatisch angehauchtes Programm scheint paradoxerweise oft leichter verdaulich zu sein, es besticht durch ein wenig Exotik und ist „in“. Zudem ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie tief die Verankerung im Buddhismus und Hinduismus jeweils reicht.
Wir können aber ruhig den Versuch wagen und die – in vielen Jahrhunderten bewährte und doch hochaktuelle – christliche Meditation wieder ausprobieren. Da gibt es zum Beispiel eine Art transzendental-meditativer, haptisch geführter, sinngebungszentrierter Zirkular-Meditation, mit gruppendynamisch-responsiver und individual-kontemplativer Variante. Die Wirkungen sind nachweislich stark und übertreffen die anderer Methoden oft erheblich. Früher war dieses System mit dem etwas aus der Mode gekommenen – weil allzu blumig klingenden – Namen „Rosenkranz“ bekannt.
Religiöse Praxis
Alle Leser, die an dieser Stelle aus konfessionellem Schrecken („viel zu katholisch“) oder aus skeptischer Fundamentalopposition („wer glaubt denn sowas?“) die Lektüre beenden wollen, möchte ich mit einem Hinweis auf den genialen Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal zum Weiterlesen ermutigen. Pascal hatte einem Freund, der seinen Glauben verloren hatte, dazu geraten, es einfach wieder einmal mit der praxis pietatis, der religiösen Praxis zu versuchen – wieder ein Gebet zu sprechen, den Gottesdienst zu besuchen, oder andere Formen des christlichen Lebens wieder einmal auszuprobieren; der Glaube werde sich dann vielleicht ganz von selbst wieder einstellen. Sicher hatte er dabei auch an den Rosenkranz gedacht (1).
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(1) Dass übrigens die Abneigung gegen die (recht verstandene) Marienverehrung kein „Muss“ für evangelische Christen ist, sondern sich erst in der Zeit nach der Reformation entwickelt hat, mehr aus kirchenpolitischen als religiösen Gründen, zeigt sich schon daran, dass Martin Luther selbst noch ein sehr bewegendes „Magnificat“ zum Lob der Gottesmutter Maria geschrieben hat. Auch hier ist also ein ökumenischer Neuanfang möglich.
(wird fortgesetzt)