Gläubige Katholiken sind die einzige Großgruppe in Deutschland und in etlichen anderen Ländern Europas, die nicht durch gesellschaftliche Diskriminierungsverbote geschützt sind (1). Für sie gibt es keine Schonung durch Gebote der Fairness oder der Verhältnismäßigkeit, sei es in der gesellschaftspolitischen Debatte und in der Politik, oder im Kunst- und Kulturbetrieb. Selbst Gerichte entscheiden im Zweifel fast immer gegen katholische Positionen; da wird als freie Meinungsäußerung oder Kunst gewertet, was sonst als Schmähung verfolgt würde (2). 

Aber warum ist ausgerechnet die Katholische Kirche so ein „rotes Tuch“, warum muss sie so oft als Blitzableiter für das kollektive Unterbewusstsein der Gesellschaft herhalten? Die Wurzeln dieses Phänomens reichen weit in die Geschichte zurück, aber es kommt auch die Conditio Humana (3) ins Spiel. Denn eine starke Triebkraft der anti-katholischen Traditionen ist durch die Jahrhunderte immer wieder ein moralisches Ressentiment gewesen, das ungute Gefühl von Machthabern und Meinungsführern, durch die Kirche stehe man unter einer Art höherer Aufsicht und moralisch-ethischer Kontrolle. Und dem kann man sich am besten entziehen, indem man diese Kirche diskreditiert. Es geht um den „Seht her!“-Effekt, der einen selbst entlastet, indem er die Untauglichkeit des lästigen moralischen Modells zu belegen versucht.

Die Kirchengeschichte ist voller Beispiele menschlicher Größe, aber auch Schwäche; und immer wieder ecken Christen in ihrer Umwelt an. Staaten, Religionen und Ideologien haben über die Jahrhunderte hinweg verschiedene Modelle der Diskreditierung (4) gegen die christliche Religion und die Kirche angewandt. Man kann – abgesehen von direkter physischer Gewalt – verschiedene Modelle der „Zersetzung“ christlicher Glaubwürdigkeit beobachten. Ein besonderes Hassobjekt war dabei stets die Katholische Kirche (5).

Modell A: Politisch nicht zuverlässig!

Die ersten Christen fielen durch ihre Ausgeglichenheit und Harmonie auf, und vor allem durch ihren moralisch konsequenten Lebenswandel. Nichts fiel mehr aus dem Rahmen einer hedonistischen, permissiven, enthemmten Gesellschaft, die zugleich auf sektorale Gewalt (im Zirkus) und Sklaverei gründete. Da die Christen im alten Rom mit moralischen Vorwürfen nicht zu treffen waren, packte man sie bei ihrer angeblichen staatsbürgerlichen Unzuverlässigkeit. Apologetische Schriften der ersten drei Jahrhunderte n. Chr. sind deshalb voller christlicher Beteuerungen guten Willens und staatsbürgerlicher Korrektheit. Aber das nützte wenig, denn es wurden in verschiedenen Phasen der Christenverfolgungen immer wieder Vorwürfe zum Beleg der gesellschaftlichen und politischen Unzuverlässigkeit der Christen konstruiert – von der Verweigerung des Opfers für den vergöttlichten Kaiser, über die berühmte angebliche Brandstiftung in Rom (unter Nero) bis hin bis zum Vorwurf des Kannibalismus (6). Mit letzterem hatte man zwar endlich auch eine moralische Handhabe gegen die Christen und ihre als aufdringlich empfundene Moral, allerdings eine, die wegen ihrer offensichtlichen Absurdität nicht sehr durchschlagskräftig war.

„Modell A“ der Verunglimpfung des Christentums ist im Laufe der Kirchengeschichte nie verschwunden, wenngleich es weniger Furore machte, als das der moralischen Zersetzung. Aber vermutlich sind keinem anderen Vorwurf mehr Christen zum Opfer gefallen als diesem: Von der Ächtung im Römischen Reich bis zur Entrechtung durch muslimische Herrscher,von den Exzessen der Jakobiner bis zum Kulturkampf (7) im deutschen Kaiserreich, vom Kirchenkampf unter der Nazi-Herrschaft, bis zur stalinistischen Verfolgung. Heute sehen wir als aktuelle Beispiele die oft blutige Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern und ihre Gängelung und Unterdrückung in der VR China als klassische Anwendungsfälle der Diskreditierung durch „Modell A“: Politisch unzuverlässig, gegen die Staats-Ideologie (oder herrschende Religion), alles potentielle oder manifeste Verräter…!
Dieses Modell mag historisch gesehen das am meisten verbreitete sein, aber weil es unfreiwillig so viele gute und heldenhafte Beispiele von Märtyrern und Bekennern schafft, konnte es der Kirche und dem christlichen Glauben nie wirklich schaden. Im Gegenteil, die Kirche bleibt dabei stets in einer moralisch überlegenen Position, und die Schicksale der Märtyrer haben den Glauben der Menschen immer gestärkt. Das gilt bis in unsere Tage, in denen es so viele Märtyrer gibt wie wohl niemals zuvor (8).

Modell B: Aber die Inquisition!

Ganz anders stellt sich das „Modell B“ dar, der Vorwurf der Korrumpierung durch Macht und Anwendung von Gewalt. Der klassische Bezugspunkt ist zunächst die „konstantinische Wende“. Nach dem Ende der Verfolgungen kam das Christentum unter Kaiser Konstantin in die ungewohnte Position einer offiziellen Religion (Religio licita). Das hatte zwar nichts mit dem zu tun, was wir unter den Bedingungen des modernen Nationalstaats als „Staatsreligion“ kennen. Und es kam auch keineswegs zu einer Verfolgung oder gar Ausrottung anderer Religionen im Römischen Reich (9). Dennoch ist noch heute fast jeder Gebildete davon überzeugt, mit der konstantinischen Wende sei es zur „Machtübernahme“ durch die Kirche gekommen, die sogleich mit der Verfolgung Andersdenkender begonnen habe. In Wirklichkeit haben der antike Götterglaube und diverse nahöstliche Kulte und Religionen im Römischen Reich zum Teil jahrhundertelang weiter bestanden.

Starke Wirkung entfaltete diese „schwarze Legende“ vor allem seit Beginn der Aufklärung. Die frühen Aufklärer waren zwar – wie vor ihnen auch die Humanisten des 16. Jahrhunderts – fromme Christen und weit entfernt davon, die Kirche zu bekämpfen. Dennoch setzte sich schnell eine stark kirchenfeindliche Tendenz durch, exemplifiziert durch Voltaires verhängnisvollen Aufruf zur Vernichtung des Glaubens und der Kirche: “Écrasez l’infâme!“, den nur zu viele unchristliche Diktatoren später in die Tat umzusetzen versuchten. In der Folge wurde nach und nach die gesamte Kirchengeschichte tendenziös umgeschrieben (10); viele der damals entstandenen geschichtspolitischen Fiktionen leben noch heute in unseren Schulbüchern fort: Klischeehafte und maßlos überzeichnete Darstellungen der Kreuzzüge, von Hexenwahn und Inquisition.

Die historische Forschung hat längst aufklärend und entdämonisierend gewirkt, was z.B. Ketzer– und Hexenprozesse betrifft (11); da blieb nicht viel von den schwarzen Legenden und Geschichtsklitterungen übrig. Jeder seriöse Historiker weiß inzwischen, dass der Hexenwahn ein häretischer Volksaberglaube (12) war, und nicht von der Kirche ausging. Bekannt ist auch längst, dass die Einführung eines geordneten, regelbasierten Untersuchungsverfahrens (Inquisitio= Untersuchung) rechtsgeschichtlich gesehen ein Fortschritt war, der eine deutliche Reduzierung von Willkür und Justizmord möglich machte (13). Selbst die immer besonders dämonisierte spanische Inquisition (unsterblich verewigt in Edgar Allen Poe‘s spannend-abenteuerlicher Phantasie „Grube und Pendel“) zeichnete sich gegenüber der oft barbarischen Härte weltlicher Justiz jener Zeit geradezu durch Rechtschaffenheit und Milde aus.

Dennoch bestehen die Klischees, Legenden und Vorurteile unverändert fort, als habe man seit Voltaires Zeiten nichts dazugelernt. Das Schlagwort „Inquisition“ bleibt dabei der schaurig-düstere Höhepunkt. Dieses Wort ist geradezu sprichwörtlich geworden, Teil der Umgangssprache, und selbst wo es nur im übertragenen Sinne verwendet wird, schwingt doch im Hintergrund stets das „écrasez“ weiter mit. Für alles was man der Kirche über die Jahrhunderte vorwerfen mochte an weltlicher Machtausübung, angeblicher Verfolgung und Unterdrückung – dafür reicht auch heute noch ein zornig hingeworfenen Wort, das keiner Begründung bedarf und keinen Widerspruch duldet: Inquisition! 

Modell C: Missbrauch!

Dieses momentan leider allzu aktuelle Schlagwort ist nur die moderne Variante eines alten Modells zur Diskreditierung der Kirche. Im Kern geht es darum, jene gegen die Kirche ins Feld zu führen, die den katholischen Glauben und die Lehre der Kirche auf besonders ruchlose Art schänden und verraten.

So abstrakt beschrieben mag das zunächst widersinnig klingen, aber wir wissen aus Erfahrung, dass es kein Modell gibt, das die Kirche und ihre Lehre schneller und nachhaltiger desavouiert. Der heuchlerische „Pfaffe“, der lasterhafte Klosterbruder, der raffgierige Kirchenfürst – sie alle lassen sich als Propaganda-Klischees bestens für Modell C einsetzen. Und das gelingt nur zu gut, solange sich irgendwo schwarze Schafe und Beispiele von Klerikern finden, die ihren Glauben und die Kirche verraten haben. In gehobener Form finden sich diese Schreckbilder in der Literatur, von Dante bis Molière; dabei können sie sogar lehrhaften und kathartischen Wert haben. In vulgarisierter Form jedoch wird daraus Rufmord. 

Der Allzeit-„Klassiker“ dieser Methode ist im NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ zu finden, dessen typisches Kennzeichen die Verleumdung und Beleidigung von Juden und Katholiken war, vor allem durch widerwärtige Pseudo-Karikaturen. Die typischen Klischees jener Karikaturen scheinen tief in das Unterbewusstsein von Kirchenhassern weltweit eingedrungen zu sein. So finden sich Stürmer-typische Zerrbilder von verschlagenen, verderbten, lüsternen Priestern oder Mönchen immer wieder auch in unseren Tagen – ein offenbar unausrottbares Klischee, ganz ähnlich dem, das Antisemiten bis zum heutigen Tag über Juden verbreiten.

Da es den Nazis aber mit Propaganda allein nicht gelingen konnte, die Kirche auszuschalten und zu diskreditieren, die Gläubigen sich vielmehr von der Propaganda abgestoßen fühlten und um ihre Priester scharten, wurden bald „andere Saiten aufgezogen“. Von der Propaganda ging der Weg zu administrativen Schikanen und juristischer Gängelung und endete schließlich in KZ-Haft und tödlicher Gewalt. Unter den sowohl juristisch, als auch propagandistisch wirkungsvollsten Verfolgungsmaßnahmen ragten die sog. „Sittlichkeitsprozesse“ gegen katholische Geistliche und Ordensleute 1935/36 (14) heraus, bei denen es um homosexuelle Aktivitäten und Missbrauchsfälle ging. Die Orchestrierung durch die nationalsozialistische Propaganda diente einzig dem Zweck, jede gegen das NS-Regime gerichtete Kritik der Kirche zu diskreditieren. Manche Formulierung aus Reden und Artikeln jener Zeit, deren Ziel es ist, die Katholische Kirche als Hort des Lasters und der Unmoral zu entstellen, erinnert auf beklemmende Weise an ähnliche Tiraden in unseren Tagen. 

Modell D: Finanzbetrug!

Die Nazis entwickelten in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert noch ein weiteres Modell zur Perfektion: Die Diskreditierung der Kirche durch den Vorwurf der Gier und finanzieller Verfehlungen. So wie der Vorwurf der sexuellen Ausschweifung trifft auch der des Geizes oder der Bereicherung ins Mark der Kirche – widerspricht doch beides der Predigt Jesu und damit der Lehre der Kirche so diametral wie kaum eine andere denkbare Verfehlung. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit stand der Begriff der „Simonie“ im Mittelpunkt; dabei ging es um den (immer verwerflichen) Kauf von geistlichen Ämtern. Später traten der Vorwurf des übermäßigen Reichtums und undurchsichtiger Geschäfte der „reichen Kirche“ in den Vordergrund. In den sog. „Devisenschieberprozessen“ der 1930er Jahre konstruierten schließlich die NS-Machthaber mit großem Erfindungsreichtum alle möglichen Fälle, in denen die „reiche Kirche“ bei finsteren Finanztransaktionen ertappt werden sollte. Da die Kirche global ist und viele Ordensgemeinschaften auf der ganzen Welt im Einsatz sind, fanden sich leicht irgendwelche vermeintlichen Verstöße gegen Gesetze des Deutschen Reiches zur Devisenbewirtschaftung etc. Wiederum war der Zweck natürlich nicht die Aufdeckung von Finanzdelikten, sondern die Diskreditierung der Kirche als einziger gesellschaftlicher Großgruppe, die noch wirksam Kritik am Nationalsozialismus äußerte.

Ein zusätzlicher „Vorteil“ des Modells D ist es, dass – genau wie bei Modell C – die Gegenwehr der Kirche nur schlecht funktioniert: Wenn auch nur das Geringste an den Vorwürfen zu finden ist und wie sehr diese dann auch verzerrt und übertrieben werden mögen, kann die Kirche doch nicht anders, als im Zweifel immer „mea culpa“ zu sagen und sich um Aufklärung zu bemühen. Dieser „moralische Verstärkereffekt“ (15) spielt stets jenen in die Hände, die scheinbar Aufklärung betreiben, aber eigentlich nur Diskreditierung im Sinn haben.

Eine Voraussage

Auch in jüngerer Zeit gab es wieder Beispiele für die ungebrochene Attraktivität des Modells D – vom Skandal um die vermeintliche „Geldwäsche“ des Vatikans bis zu überhöhten Kosten eines kirchlichen Bauprojekts in Deutschland.

Ich wage an dieser Stelle eine Voraussage (und bin bereit eine Wette einzugehen):

Sobald sich die vom Missbrauchsskandal ausgehenden Wogen einmal geglättet haben, und wenn eines Tages der Grenznutzen der Verwendung des Skandals in den Medien zurückgeht (was freilich noch Jahre dauern kann), dann wird irgendwo mit Sicherheit das Modell D sogleich wieder aktiviert. Angesichts des immer dichteren Dickichts von internationalen Geldwäscheregelungen, grenzüberschreitenden Steuergesetzen und fein gesponnenen Antikorruptions- und Börsentransaktionsregulierungen ist es ganz ausgeschlossen, dass nicht ein paar harmlose Ordensgemeinschaften, Diözesen oder sonstige kirchliche Gruppen und Einrichtungen sich früher oder später irrtümlich in einem dieser Spinnennetze zappelnd wiederfinden. Und das reicht wieder für ein paar Jahre Skandalisierung – womit wir uns dann in unserer permissiven und permanent aufgeregten Wohlstandsgesellschaft, im Vollgefühl der eigenen Rechtschaffenheit, die Kirche erfolgreich weiter vom Hals halten können…

Sonderfall H.

Elemente aller Modelle der Diskreditierung der Kirche finden sich in dem wahrscheinlich krassesten Fall von Rufmord in der ganzen europäischen Geschichte – der Denunzierung des Papstes Pius XII. durch das Theaterstück „Der Stellvertreter“ des deutschen Autors Rolf H. Dass es einem Kolportageschreiber gelingen konnte, mit einem einzigen mittelmäßigen Theaterstück den Ruf eines Papstes zu zerstören, der zuvor allgemein verehrt und hoch geschätzt wurde, das verdient allerdings eine eigene Untersuchung (16).

(Fortsetzung folgt)


1. Vgl. Teil 2 dieses Beitrags.
2. Üble blasphemische Herabwürdigungen des christlichen Glaubens sind in den Medien an der Tagesordnung und werden wie selbstverständlich geduldet. Dagegen werden als „islamfeindlich“ etikettierbare Äußerungen schnell und hart bekämpft, auch mit rechtlichen Mitteln.
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Conditio_humana
4. Im DDR-Stasi-Jargon hieß das „Zersetzung“.
5. Vgl. hierzu u.a.: Rodney Stark, Bearing False Witness. Debunking Centuries of Anti-Catholic History. 2016. Passim.
Und: Manfred Lütz, Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums. 2018. Passim.
6. Durch groteske, bewusste Missdeutung der Eucharistie.
7. Das Schlagwort „Ultramontanismus“ sollte die Katholiken als schlechte Staatsbürger denunzieren, die den „Anweisungen“ aus Rom mehr folgten als ihrer staatsbürgerlichen Pflicht. Die Nazis übernahmen diese Argumentation nahtlos, und heute wird sie in fast identischer Weise in der VR China gegen die Kirche verwendet.
8. Vgl. z.B.: https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2018-05/aegypten-syrien-maertyrer-christen-kopten.html
9. Vgl. Stark, a.a.O. S. 53 ff.
10. Was das Römische Reich betrifft, ist z.B. das noch heute berühmte Werk E. Gibbons einschlägig, das den Christen auch noch die Schuld für den Untergang des Römischen Reiches zuschiebt.
11. Vgl. Lütz, a.a.O. S.145 ff
12. In mittelalterlichen Beichtspiegeln (Anleitungen für Gläubige zur Vorbereitung auf die Beichte) war der Irrglaube an Hexen ausdrücklich als schwere Sünde aufgeführt.
13. Vgl. Stark a.a.O. S. 117 ff
14. Vgl. hierzu: Hans Günter Hockerts: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936–1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1971, ISBN 3-7867-0312-4.
15. Vgl. Teil 2 dieses Beitrags.
16. Vgl.: Michael Hesemann: Der Papst der Hitler trotzte. Die Wahrheit über Pius XII. 2008.