Zunächst, weil die Freiheit nur dort blühen kann, wo die Geborgenheit der interpersonalen Liebe waltet, und die Familie verdient diesen Namen nur, wenn sie echte Liebesgemeinschaft ist zwischen den Ehepartnern und zwischen Eltern und Kindern. (Johannes Paul II., „Familiaris consortio“. Nr. 18ff.)

Zweitens, weil das ja äußerst früh geborene Menschenkind sich nur in der Wärme der Familie (als des fortbestehenden Mutterschoßes) seelisch und sogar leiblich entwickeln kann. Das heißt: Da die Familie das Kind formt und erzieht und jede wahre Erziehung Erziehung zur Freiheit ist, stellt die Familie den natürlichen (niemals aber nur natürlichen) Nährboden der Freiheit und damit der Reifung der Persönlichkeit dar.

Drittens, weil das Heim für den durchschnittlichen Bürger der einzige Platz der Freiheit de facto ist. Mehr sogar, wie G. K. Chesterton einmal schrieb:

„Es ist der einzige Platz für die Anarchie! Es ist der einzige Ort auf Erden, wo ein Mann die Ordnung plötzlich umstoßen, ein Experiment machen oder einer Laune frönen kann. Wo immer er sonst hingeht, muß er genau die Regeln des Ladens, des Gasthauses, des Vereins oder des Museums, welches er gerade betritt, befolgen.

Im eigenen Haus dagegen kann er, wenn er will, die Mahlzeiten auf dem Boden einnehmen. Das tue ich übrigens oft selbst; man hat dabei ein merkwürdiges, kindisches, poetisches Picknick-Gefühl. Es gäbe wohl ein mächtiges Aufsehen, wenn ich das in einem Kaffeehaus versuchen wollte. Im eigenen Hause kann man Pantoffeln zum Frack tragen, und ich bin sicher, daß dies im Hotel Bristol nicht erlaubt ist, obwohl ich es niemals selbst versucht habe …

Für einen einfachen, schwer arbeitenden Menschen ist das Heim nicht der einzig gesittete Ort in einer Welt voll Abenteuer: Es ist der einzig tolle Ort in einer Welt voll Zwang und Regeln … Wenn ein Mensch jede Nacht von einer Bar in die andere, von einem Variété ins andere bummelt, sagen wir, er führt ein unregelmäßiges Leben. Aber das ist nicht wahr: er führt ein höchst regelmäßiges Leben unter den dummen, oft bedrückenden Gesetzen dieser Orte …

So wie jeder normale Mensch sich eine Frau wünscht und Kinder, von seiner Frau geboren, so wünscht sich jeder normale Mensch ein Haus, um sie hineinzubringen. Er wünscht sich nicht nur ein Dach über sich und einen Sessel unter sich: er will ein greifbares, sichtbares Königreich; einen Herd, auf dem er kochen kann, was immer er will; eine Türe, die er öffnen kann, wem immer er will. Das ist der normale Geschmack der Menschen … Ich sage nicht, daß es keine Ausnahmen gibt“ (G. K. Chesterton, „Was Unrecht ist an der Welt“. Musarion. München 1924. S. 68-71).

Schließlich, wie es auch Gabriel Marcel in einem anderen Werk („Homo viator“)’ betont hat, liegt in der dichten Wirklichkeit der Familie eine gewisse Form des Sakralen, denn die Vaterschaft im wahren Sinne des Wortes kann nicht biologisch verstanden werden, sondern sie läßt sich nicht von einer gewissen Berufung trennen …, weil das Leben, wie man sagt, tatsächlich „geschenkt wird“ und der Vater (und auch die Mutter) nur Vermittler zwischen Gott, als dem Urheber jeglicher Schöpfung, und dem Kind als Geschöpf Gottes ist. Vater und Mutter sind Mittler auch zwischen der Vergangenheit und einer Zukunft, die sich beide der Erkenntnis und der Macht der Eltern wesentlich entziehen, und das aus diesem Sprung ins Unbekannte geborene Kind ist auch ein Unbekanntes, ein Unzugängliches und Unberechenbares.

Daher die grenzenlose Achtung vor dem Leben und der einmaligen Person des Kindes; Achtung, die allein imstande ist, die Freiheit jedes Einzelnen und Einzigartigen anzuerkennen und zu beschützen. Nur wo diese Sakralität der Elternschaft als Vermittlerin des großen Mysteriums der Schöpfung erkannt und erlebt wird, kann die Freiheit des Kindes ohne irgendeine Minderung die ihr gebührende Achtung und Förderung finden. Weder der Staat noch irgendein Kollektiv vermögen eine solche Unmittelbarkeit und Nähe des Geheimnisses des entstehenden personalen Lebens, wie es für die Eltern auftritt, zu erleben. Und darum haben sie (Staat oder Kollektiv) die Möglichkeit, die jeder anonymen gesellschaftlichen Struktur innewohnt, deren neue Mitglieder zu entpersonalisieren und zu manipulieren, d. h. ihre Freiheit zu zerstören.

Wenn es so ist, daß die Familie, und allem zuvor die christliche Familie, die einzige Garantie für die Entstehung und die Reifung der persönlichen Freiheit liefert, wie erklärt man sich dann den heutigen Angriff auf die Familie gerade als Ort der Repression, der „Fremdbestimmung“, ja der Frustration und Verkümmerung der Freiheit? Handelt es sich nur um Vorurteile, um Ideologien, die den Begriff und die Wirklichkeit der Familie systematisch bekämpfen?

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.