Glauben ohne Kirchgang?

Grundsätzlich ist das möglich. Es gibt ergreifende Berichte über Glaubenszeugen, die jahrzehntelang nicht in der Kirche waren, weil sie in den Gefängnissen und Straflagern totalitärer Regime gefangen gehalten wurden, für ihren Glauben verfolgt. Sie hatten gar keine Chance zur Teilnahme an einem Gottesdienst und verloren doch nie ihren Glauben. Es gibt heute wieder sehr viele solcher Fälle, vielleicht mehr denn je, und diese „Bekenner“[1] sind leuchtende Beispiele lebendigen Christentums. Aber was gäben sie dafür, wieder zur Hl. Messe gehen zu können! Für diese Menschen ist der Kirchgang keine gesellschaftliche Verpflichtung, sondern ein inneres spirituelles Bedürfnis.

Drei gute Gründe

Kommen wir zurück zu unserer wohltemperierten „Lebenswirklichkeit“. In Deutschland und Europa, wie in den meisten Ländern des freien Westens, ist der Verfolgungsdruck gegen Christen noch gering. Jedenfalls werden sie nicht direkt oder gar mit Gewalt am Kirchgang gehindert. Auch dass man als regelmäßiger Kirchgänger schikaniert und diskriminiert wird, ist noch die Ausnahme. Aber auch in dieser relativ wohlsituierten Lage des modernen Christen gibt es mindestens[2] drei gute Gründe, warum wir von unserem Privileg des regelmäßigen Kirchgangs auch Gebrauch machen sollten: einen pragmatischen, einen biblischen und einen sehr persönlichen.

Einstieg in den Ausstieg

Erstens ist der Verzicht auf den regelmäßigen Gang zur Hl. Messe fast immer der „Einstieg in den Ausstieg“. Die Erfahrung lehrt: Erst geht man nicht mehr zur Kirche, dann erstirbt nach und nach das Glaubensleben. Wie beim Gleichnis von Sämann[3] sind da einfach zu viele andere Dinge, die sich in den Vordergrund schieben: Beruf, Freizeit, Sport, Gewohnheiten und Notwendigkeiten des familiären Umfelds und des Freundeskreises… Jeder kennt das. Nach und nach nimmt dann der Glaube den letzten Platz auf der Prioritätenliste ein. Und das Gebet verschwindet aus unserem Alltag.  

Für eine Weile bleibt noch ein wenig „Kulturchristentum“, vielleicht ein, zwei Gottesdienstbesuche pro Jahr, aus besonderen Anlässen. Man bleibt noch „Mitglied“, nennt sich noch „Christ“, hört aber nicht auf die Kirche: Wir wissen selbst was sich gehört, und „über unser Leben entscheiden wir“[4]. Man sagt, die Kinder von „liberalen“ Christen würden Agnostiker. Auch wenn das statistisch nicht belegt ist, kennen wir alle solche Fälle, viele sogar. Und deren Kinder wiederum – das darf man ohne Übertreibung ergänzen – werden vermutlich Atheisten. Praktische Atheisten meistens, ohne ideologischen Furor; einfach Menschen, die keine Beziehung zu Gott haben und ihn auch nicht vermissen. Der Glaube ist dann zu Ende, finis fidei

Die Sache mit den Geboten – und was Jesus dazu sagen würde (bzw. gesagt hat)

Zweitens stimmt es nicht, dass die Bibel zum Thema Gottesdienst schweigt. Sie ist vielmehr voll des Themas. Natürlich steht da nicht „du sollst jeden Sonntag in die Kirche gehen!“ Bleiben wir seriös! Aber schon die Zehn Gebote legen die Basis für den rechten Gottesdienst; die ersten drei[5] behandeln das Verhältnis des Menschen zu Gott, die rechte Art der Verehrung. Wer Gott aus seinem Leben ausgeschlossen hat, keine Zeit mehr für ihn findet, der verstößt permanent dagegen. Und sie stehen nun mal nicht am Anfang des Dekalogs, weil sie die weniger wichtigen wären – etwa nach dem Motto „Hauptsache kein Verbrechen begehen und sich halbwegs ordentlich benehmen“.

Und werfen wir auch einmal einen Blick ins Neue Testament. Schon als Zwölfjähriger ist Jesus „im Haus seines Vaters“, er predigt im Synagogengottesdienst, solange man ihn lässt. Er pilgert nach Jerusalem. Und er ist es, der beim letzten Abendmahl die Eucharistie[6] einsetzt, um die sich alles bei der Messfeier dreht. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ – das ist nicht nur grammatikalisch ein Imperativ!

Glaube ist Begegnung

Und damit sind wir beim dritten Grund, warum wir das Privileg des Kirchgangs nicht geringschätzen sollten; und das ist der eigentlich maßgebliche: Nicht um gesellschaftliche Konventionen geht es, nicht um eine zu spielende Rolle, auch nicht um unsere psychische Verfassung, sondern um eine lebendige Begegnung. Die Begegnung mit Christus ist das alles Entscheidende, wichtiger als gute Predigt und schöne Musik, wichtiger als Kirchenraum und Ambiente, auch wichtiger als ein gutes Gemeindeleben – so wertvoll, gut und schön diese Dinge auch alle sind. Sie sind letztlich sekundär zu dem Eigentlichen, aus dem sie sich dann fast von selbst ergeben: der lebendigen Beziehung zu Gott[7]. Und ihm begegnen wir nun mal nirgends so direkt[8] wie in der Hl. Messe.


[1]Vgl. https://erziehungstrends.info/die-kirche-im-dorf-lassen-1-was-ist-los-in-der-katholischen-kirche (3. Absatz ff.)

[2]Vgl. im Einzelnen: Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2180 ff.

[3]Mt. 13, 1-9 und 18-23. Die „Sorgen dieser Welt“ und der „trügerische Reichtum“ ersticken das Wort.

[4]Vgl. dagegen Bf. Robert Barron: „Your life is not about you!“ https://www.youtube.com/watch?v=CVw8deSDCvE

[5]Vgl. z.B.: Katechismus der Katholischen Kirche, Kompendium, S.161 ff.

[6]Vgl. die maßgebliche Enzyklika von St. Johannes Paul II, Ecclesia de Eucharistia: https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_20030417_eccl-de-euch.html Eine sehr empfehlenswerte und leicht lesbare Monographie zur Hl. Messe: Javier Echevarría: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Die heilige Messe im Leben des Christen. Köln 2012.

[7]Mit den Worten Jesu: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt. 22, 37ff.)

[8]Vgl. a. https://erziehungstrends.info/ein-gott-zum-anfassen