Muss das sein?

Niemand beschäftigt sich gern mit Sterben und Tod, obwohl es das Einzige ist, dessen sich alle Menschen sicher sein können. Manchmal trifft man Leute, die dieses Faktum so weit verdrängen, dass sie davon zu träumen beginnen, den Tod dauerhaft zu „besiegen“. Es gibt in Deutschland sogar eine Splitterpartei, deren einziges Thema die medizinische Forschung zur Lebensverlängerung ist. Bei Wahlkämpfen plakatieren sie allen Ernstes mit der Illusion, Menschen könnten Jahrhunderte leben, wenn man nur die biologischen Mechanismen des Alterns genügend erforschte und dann irgendwie anhielte. Das alte Märchen vom Jungbrunnen in neuer Form. Es gibt nichts Neues unter der Sonne…

In der Endlos-Schleife

Die meisten unter uns sind sich der Tatsache der eigenen Sterblichkeit und auch der ihrer liebsten Angehörigen und Freunde bewusst. Selbst die Anhänger jener sonderbaren Partei ahnen vermutlich, dass es in ihrer Lebenszeit vielleicht doch nichts wird mit dem erhofften Lebensquell – und dass selbst im erträumten Idealfall irgendwann einmal Schluss ist. Und dann ginge es ihnen eben doch so wie allen anderen. Für jede „post-christliche“ Gesellschaft stellt sich die Frage, wie man mit dem Sterben umgeht, wenn es keine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode gibt. Und da kann man nur immer weiter zwischen Verzweiflung und Verdrängung schwanken, auch wenn man noch so edle philosophische Traditionen und Denkschulen bemüht.

Philosophische Sisyphus-Arbeit

Sehr en vogue sind momentan (und immer wieder) neo-skeptizistische Gedankengebäude, bei denen unter pauschalem Rückgriff auf die antike Philosophie eine Haltung der Gleichmütigkeit empfohlen wird, die sich irgendwie von Gleichgültigkeit und Abstumpfung unterscheiden soll, und in der man sich mit der eigenen Sterblichkeit arrangiert. Es gilt dann, aus einer Aporie „das Beste zu machen“. Dabei sind die Übergänge zum Existenzialismus fließend, und manch einer versucht Trost aus einem missverstandenen Mythos des Sisyphus (frei nach Albert Camus) zu ziehen, wobei allerdings die Aussage des antiken Mythos ins Gegenteil verkehrt und aus Verdammnis ewige Rebellion wird[1]. Wer nicht religiös völlig „unmusikalisch“[2] ist, mag bei einer Art „Buddhismus light“[3] Zuflucht suchen, der in westlichen Gesellschaften ob seiner elegant exotischen Anmutung beliebt ist, sich aber von der tatsächlichen buddhistischen Lehre deutlich unterscheidet. Echter Trost liegt darin nicht.

Von der Verdrängung zur Anmaßung

Über einem Glas guten Weines, in gepflegter Gesellschaft und bei leidlich guter Gesundheit lässt sich trefflich über Leben und Tod philosophieren. Unter solchen Bedingungen entstehen auch sonderbare Theorien des Menschlichen, bei denen der Tod quasi entmündigt wird. Im Überschwang der Selbstgewissheit reißt man ihm das Zepter aus der Hand und beschließt selbst wann das Leben beginnt und wann es zu enden hat. In gewisser Weise ist die Forderung nach Abtreibung und Euthanasie Ausdruck einer ähnlichen Selbstermächtigung wie bei der Banalisierung des eigenen Sterbens. Aus Verdrängung wird Anmaßung. Wo es zuerst nur darum ging, mit der conditio humana[4] irgendwie ohne Transzendenz fertig zu werden, da geht man oft noch einen Schritt weiter und definiert das Leben an sich um. Nach dem trotzigen Schulterzucken über die eigene Sterblichkeit kommt leicht das Kopfschütteln über lebensrechtliche Argumente. So entsteht in der post-christlichen Gesellschaft – hinter einem Wust von wohlmeinend und menschenfreundlich klingenden Worten – eine Haltung, die Papst Johannes Paul II. treffend als „Kultur des Todes“ bezeichnet hat.

Wenn es wirklich ernst wird

„Plötzlich und unerwartet“ – diese Worte lesen wir gelegentlich in Todesanzeigen. Soweit es sich nicht nur um eine Phrase aus einer Spruchsammlung handelt, bezeichnen diese drei Worte den eigentlichen Schrecken des Todes und spiegeln eine Situation wider, in der keine kluge Argumentation mehr hilft. Der Schmerz über den Tod eines lieben Menschen (besonders den unerwarteten Tod) ist die schärfste Probe, der wir Menschen in unserem Leben unterworfen werden können. Schlimmer als die Angst vor dem eigenen Tod, schlimmer als der Verlust aller Freundschaften, Hoffnungen, Erwartungen, von materiellen Verlusten gar nicht erst zu reden… Spätestens an diesem Punkt – wie vielleicht sonst nur bei unerträglichem Leiden in Krankheit – endet jeder Stoizismus. Wer da noch „stoisch“ bleibt, ist vermutlich innerlich längst selbst abgestorben. Wir dürfen annehmen, dass es nicht zuletzt solche Situationen sind, von denen wir bitten verschont zu werden, wenn wir im Vaterunser die Worte sprechen: „und führe uns nicht in Versuchung“. Die Versuchung ist die Verzweiflung, das Stürzen in die Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit und Gottferne.

Dominus flevit

Auf dem Ölberg bei Jerusalem steht eine Kirche mit dem erstaunlichen, fast erschreckenden Namen „Dominus flevit“ (der Herr weinte). Er bezieht sich auf jene Begebenheit, von der das Neue Testament berichtet und bei der Jesus über das Schicksal der großen Stadt Jerusalem und der Menschen darin weinte (Lk. 19,41). Ebenso weinte er, an anderer Stelle, über den Tod seines guten Freundes Lazarus (Jh. 11, 35), obwohl er ihn dann doch ins irdische Leben zurückrief. Wenn selbst Jesus Christus angesichts von Sterben und Tod weinte, wie viel weniger dürfen wir erwarten, dem Ernst der letzten Dinge[5] aus dem Weg gehen zu können? Hier endet jede Selbsttäuschung. Aber hier beginnt auch etwas, das keine Philosophie oder Psychologie, keine Denkschule und keine Meditationsübung ersetzen kann.

Gerettet durch die Hoffnung

Die christliche Hoffnung gründet sich auf Tod und Auferstehung Jesu Christi. Sie ist keine abgehobene Lehre; eine solche müsste vor der Unerbittlichkeit der letzten Fragen scheitern. Diese Hoffnung erwächst nicht aus Ideen oder theoretischen Überlegungen, sondern aus einem realen Geschehen. Christus hat all das selbst durchlebt und ertragen, was uns in unserem Leben den größtmöglichen Schrecken und existenzielle Angst bereitet, und er hat es überwunden. Das trägt und tröstet auch in den aussichtslosen und nach menschlichem Ermessen „hoffnungslosen“ Fällen.

Mit Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Spe salvi“[6] kann man sagen „Glaube ist Hoffnung“. Und diesen Glauben beschreibt er in Anschluss an Thomas von Aquin so: „Der Glaube ist ein ‚habitus‘, das heißt eine dauernde Verfasstheit des Geistes, durch die das ewige Leben in uns beginnt und der den Verstand dazu bringt, solchem beizustimmen, was er nicht sieht“[7]. Der Glaube ist nicht nur ein Fürwahrhalten von Aussagen, er schafft vielmehr unmittelbar eine neue Realität, sozusagen eine Schnittstelle zum Transzendenten. Im Glauben wird uns bereits der Schlüssel zum ewigen Leben gegeben; wir sollten ihn gut hüten.


[1]Vgl. a. Den Beitrag: https://erziehungstrends.info/der-falsche-sisyphus  

[2]Mit den Worten von Jürgen Habermas gesagt.

[3]Vgl. den Beitrag https://erziehungstrends.info/ein-guter-rat-vom-dalai-lama

[4]Befindlichkeit des Menschen als sterbliches und fehlbares Wesen.

[5]Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Art. 11.

[6]https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20071130_spe-salvi.html

[7]Ebd. Nr. 7