Wer den pädagogischen Diskurs nicht regelmäßig verfolgt, dem mag der Begriff student-centered education(schülerzentrierte Bildung) fremd erscheinen. Doch dieser Ausdruck fasst eine Theorie zusammen, die seit mindestens fünfzig Jahren die Bildungsdebatten dominiert und praktische Auswirkungen weit über gesetzliche Vorgaben und Lehrpläne hinaus hat – bis hinein in den Schulalltag.

Obwohl es unterschiedliche Auslegungen gibt, versteht man unter schülerzentrierter Bildung, dass der Lehrprozess sich an den Interessen, dem Vorwissen und dem sozialen Hintergrund jedes einzelnen Schülers orientieren soll. Dadurch sollen alle Lerninhalte „bedeutsam“ werden – ein zentrales Schlagwort in dieser Theorie. Das bedeutet, dass das Gelernte für den jeweiligen Schüler unmittelbar relevant sein soll. In diesem Modell nimmt der Lehrer die Rolle eines Begleiters oder Facilitators ein, nicht die eines Hauptakteurs oder „Wächters des Wissens“. Die student-centered education stellt sich damit in Opposition zum „traditionellen“ Unterricht, der – zumindest aus Sicht der Kritiker – durch Frontalunterricht, Disziplin im Klassenzimmer, Lernen durch Auswendiglernen und überfrachtete, theoretisch geprägte Lehrpläne gekennzeichnet ist.

Neue Pädagogik – alte Ideen

Hinter diesen „progressiven“ Ideen stehen bestimmte philosophische und soziologische Grundannahmen. Die Ablehnung von Autorität, sei es in Form der kulturellen Tradition oder des Lehrers als deren Verkörperung im Klassenzimmer, erinnert an den französischen Philosophen Rousseau. Seine Vorstellung vom „edlen Wilden“ überträgt er auf das Kind als Lernenden: Das natürliche Verlangen nach Wissen sei angeboren, und wenn es richtig gefördert werde – ohne dass der Lehrer es zerstöre –, führe es von selbst zur Weisheit oder zumindest zu dem Wissen, das das Kind brauche.

Auch der Relativismus und Individualismus der Postmoderne prägen diesen Ansatz. In der Pädagogik spiegelt sich dies in der konstruktivistischen Schule wider, mit Jean Piaget und Lev Vygotsky als Hauptvertretern.

Gleichzeitig gibt es eine marxistisch geprägte Bildungstheorie, deren bekanntester Vertreter der französische Soziologe Pierre Bourdieu ist. Sie sieht die Schule als ein Instrument zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit. Die Schulorganisation und die Auswahl der Lehrpläne dienten demnach dazu, den kulturellen Reichtum der Eliten an die nächste Generation weiterzugeben, während ärmere Schüler benachteiligt blieben. Auf der anderen Seite gibt es eine eher wirtschaftlich orientierte Sichtweise, die fordert, dass Schulen in erster Linie Kompetenzen vermitteln sollten, die den Schülern helfen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und produktiv zu sein.

Neben diesen theoretischen Annahmen verfolgt die schülerzentrierte Bildung aber auch ein ganz praktisches Ziel: Sie soll verhindern, dass Schüler sich im Unterricht langweilen – und Lehrer frustriert werden.

Kompetenzen ja, aber mit Inhalten

Anfang 2024 kündigte die spanische Regierung ein Programm zur Stärkung der Grundfertigkeiten Lesen und Mathematik an. Dies folgte dem Beispiel anderer Länder, die ähnliche Maßnahmen ergriffen hatten. In Spanien sollten unter anderem die Unterrichtszeit für diese Fächer erhöht, die Klassengrößen reduziert und zusätzliche Förderung für leistungsschwächere Schüler angeboten werden.

Dieses Konzept bedeutete jedoch nicht die Abkehr von der kompetenzorientierten Methodik – dem bildungspolitischen Leitmotiv der Regierung –, aber es zeigte zumindest eine gewisse Rückkehr zu Leistungsanforderungen und eine Distanzierung von experimentellen pädagogischen Ansätzen.

Ein kürzlich veröffentlichtes Buch einer Gruppe internationaler Bildungsexperten plädiert noch deutlicher für eine Rückbesinnung auf eine inhaltsorientierte Bildung. Der Titel spricht für sich: The Knowledge Renaissance: Developing Curricula for Deep Thinking („Die Wiedergeburt des Wissens: Curricula für tiefgehendes Denken entwickeln“). Die zentrale These lautet, dass Kompetenzen nur dann gefördert werden können, wenn sie auf einer soliden Wissensbasis aufbauen. Ohne diese Grundlage werde der Versuch, Schülern Kompetenzen zu vermitteln, oft zum Scheitern verurteilt und führe letztlich zu einer Abwertung sowohl der Inhalte als auch der Fähigkeiten.

Wissen demokratisiert Bildung

Die Autoren betonen, dass dieser Ansatz nicht nur für die persönliche und berufliche Entwicklung der Schüler entscheidend ist, sondern auch für mehr Chancengleichheit. Denn diejenigen, die am stärksten unter der „Entleerung“ der Lehrpläne leiden, sind Schüler aus bildungsfernen Haushalten.

Ein Beispiel hierfür ist das Lesenlernen: Experten sind sich zunehmend einig, dass nicht nur die technischen Fähigkeiten des Lesens (Buchstaben erkennen, Phonetik, Satzzeichen verstehen) entscheidend sind, sondern auch das Hintergrundwissen der Kinder. Ein Schüler mit reichem Erfahrungsschatz und vielen gespeicherten Konzepten wird sich beim Lesen viel leichter tun als einer, dem viele Begriffe unbekannt sind.

Da das Leseverständnis wiederum die Grundlage für fast alle späteren schulischen Lernprozesse bildet, sollte es im gesellschaftlichen Interesse sein, dass alle Kinder frühzeitig mit einem breiten Wissen ausgestattet werden.

Ein strukturierter und kohärenter Lehrplan

Für die Autoren des Buches steht ein gut gestalteter Lehrplan im Mittelpunkt einer erfolgreichen Bildungsstrategie. Dieser sollte nicht nur inhaltsreich, sondern auch gut strukturiert und aufeinander aufbauend sein.

Ein durchdachter Lehrplan sollte hohe inhaltliche Ansprüche stellen, jedoch dem Prinzip folgen: „Lieber wenig, aber gründlich, als viel und oberflächlich.“ Das bedeutet, dass ausgewählte Themen tiefgehend behandelt werden sollten, um den Schülern kritisches Denken zu ermöglichen. Idealerweise sollten neue Konzepte in verschiedenen Fächern gleichzeitig vermittelt werden, damit die Schüler die Zusammenhänge zwischen den Fachgebieten besser verstehen.

Besonders betonen die Autoren die Bedeutung des „disziplinären Wissens“, also jenes Wissens, das nicht einfach durch persönliche Erfahrungen erworben werden kann. Sie plädieren dafür, ambitionierte Inhalte auszuwählen und sich von der Vorstellung zu lösen, dass junge Schüler nur durch spielerisches Lernen und ohne abstraktes Denken lernen können.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die systematische Überprüfung des Lernerfolgs. Die Autoren betonen, dass Lernziele klar definiert sein müssen – etwas, das in kompetenzbasierten Curricula oft fehlt, da sie sich häufig vager Formulierungen bedienen. Zudem sollten Evaluationsmethoden darauf ausgerichtet sein, den Fortschritt der Schüler langfristig messbar zu machen.

Was bedeutet personalisierte Bildung?

Ein oft genanntes Konzept in der konstruktivistischen Pädagogik ist die „Personalisierung des Lernens“. Grundsätzlich ist es unbestritten, dass Schüler sich Wissen individuell aneignen. Doch häufig führt diese Idee in der Praxis dazu, dass theoretische Inhalte reduziert werden und Schüler sich nur mit Themen beschäftigen, die sie persönlich interessieren.

Einige Befürworter der personalisierten Bildung betonen deshalb, dass zwischen schülerzentrierter Bildung (student-centered education) und schülergeleiteter Bildung (student-led education) unterschieden werden müsse. Lehrer sollten den Lernprozess leiten, sich aber möglichst an das individuelle Lerntempo und die Bedürfnisse der Schüler anpassen.

Doch genau hier liegt die Schwierigkeit: In einer durchschnittlichen Klasse mit 20 bis 25 Schülern ist eine tiefgehende Individualisierung im Unterricht kaum realisierbar – zumindest nicht in der Phase der Wissensvermittlung, die für den späteren Kompetenzerwerb entscheidend ist.

Der Bildungsberater José Víctor Orón betont in diesem Zusammenhang, dass Bildung nicht in erster Linie auf Wissen oder Kompetenzen abzielen sollte, sondern auf die persönliche Entwicklung der Schüler. „Weder Kompetenzen noch Inhalte sind Selbstzweck, sondern Mittel zum Ziel“, so Orón. „Gute Bildung lässt sowohl den Lehrer als auch den Schüler wachsen. Wenn Wissen und Fähigkeiten der Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen dienen, werden sie später auch für eine bessere Gesellschaft eingesetzt.“

Dementsprechend ist ein inhaltsreicher Lehrplan mit personalisiertem Lernen durchaus vereinbar – wenn man den Schüler nicht als ein fertiges Individuum betrachtet, sondern als jemanden, der durch Bildung wächst.