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Die schockierten Gläubigen reiben sich angesichts des nicht enden wollenden Missbrauchs-Skandals die Augen und stellen sich die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Denn ungeachtet allen „Framings“ und allen Propaganda-Lärms wäre ja kein Skandal entstanden, wenn es nicht zuvor Schande und Missbrauch in den Reihen von Klerikern gegeben hätte[1]. Um bei der Metapher zu bleiben: Die Schleifung der Bastionen von Glaube und Kirche wäre nie möglich gewesen, wenn nicht eine kleine Gruppe Verräter eine Bresche in den Wall geschlagen hätte.
Eine düstere Prognose…
Man kann kaum umhin, immer wieder an jenes Wort des inzwischen heiliggesprochenen Papstes Paul VI. zu denken, der schon in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts davon sprach, der „Rauch Satans“ sei durch einen Spalt in die Kirche eingedrungen. Eine noch heute erschreckende Analyse, trotz der uns fremd gewordenen Sprache; und zugleich eine düstere Prophezeiung kommenden Unheils. Schon damals beklagte er, dass das Vertrauen in die Kirche und ihre Lehre stark nachgelassen habe und jede gesellschaftliche Mode mehr Interesse finde als das Wort Gottes. Papst Paul VI., in dessen Pontifikat (1963-78) der Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils fiel, war ein bedeutender Reform-Papst, der Enormes dabei geleistet hat, die Kirche auf die Herausforderungen der Zeit einzustellen. In der allgemeinen deutschen Öffentlichkeit ist er freilich vor allem als Autor der Enzyklika „Humanae Vitae“[2] von 1968 bekannt. Inhaltlich ist dieses wichtige humanethische Dokument den meisten Zeitgenossen unbekannt; man „weiß“ nur, dass es darin irgendwie um das Verbot der Anti-Baby-Pille geht. In Wahrheit hat Paul VI. immer wieder auf ein gefährliches Grundproblem hingewiesen, ohne das es den Missbrauchsskandal in seinem jetzt bekannten Ausmaß nicht gegeben hätte: Die radikale Entkopplung der Sexualität von Liebe, Ehe, Fortpflanzung und damit von der personalen Würde des Menschen.
… und eine gefährliche Mischung
Das Jahr 1968, in dem die Enzyklika erschien, steht symbolhaft für den Durchbruch einer im Kern marxistischen Auffassung vom Menschen und der menschlichen Gesellschaft. Vor allem aber steht die Jahreszahl für die „sexuelle Revolution“. Und mit dem trojanischen Pferd der sexuellen „Befreiung“ gelangte eine Anzahl verheerender Tabubrüche in die hedonistische Gesellschaft. Mehr und mehr wird heute erkennbar, wie furchtbar beispielsweise die seinerzeitige Verharmlosung und sogar offene Propagierung von Pädophilie gewirkt hat[3]. Zusammen mit der Verwässerung von Moral und Lehre ist daraus eine brandgefährliche Mischung geworden. Benedikt XVI. hat sehr überzeugend darauf hingewiesen, dass die Erosion der Moraltheologie eine Art Brandbeschleuniger war für die Ausbreitung des Missbrauchs-Skandals innerhalb der Kirche[4]. Die Relativierung – bis hin zur völligen Verächtlichmachung – der traditionellen kirchlichen Lehre, insbesondere der Sexualmoral, hat sich wie ein Flächenbrand ausgebreitet und sogar Priesterseminare ergriffen. Kein Wunder also, dass die Mehrzahl der Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum in die Zeit seit Ende der Sechziger Jahre fiel.
Des Pudels Kern
Alles das sind freilich nur Beschreibungen eines Umfelds, von Bedingungen oder Voraussetzungen, die den Missbrauch begünstigt, verschlimmert oder verbreitet haben. Man kann das als notwendige Bedingungen, aber nicht als hinreichende Bedingungen bezeichnen. Keine noch so unmoralische Umgebung, keine noch so anti-christliche Agitation erklärt allein den tiefen Fall von Priestern und Ordensleuten, auch nicht im Zusammenspiel mit großer menschlicher Schwäche. Woher wir das wissen können? Aus der überwältigenden Menge positiver Glaubenszeugnisse! Die Kirchengeschichte ist voll von Beispielen, in denen katholische Laien und Kleriker heldenhaft und wie selbstverständlich lieber schlimmste Unbill oder gar Verfolgung und Tod auf sich genommen haben, als sich unmoralischen, grausamen Widersachern zu unterwerfen und damit die Kirche zu verraten. Sie konnten das aufgrund ihres tiefen Glaubens. Des Pudels Kern ist also weder der Klerikalismus, noch das Patriarchat, auch nicht der Zölibat oder die Struktur der Kirche, sondern in erster Linie die Apostasie, der Abfall vom Glauben.
Die Sünde wider den Heiligen Geist
Apostasie ist nicht Unsicherheit über die Lehre der Kirche, nicht Zweifel an bestimmten einzelnen Lehraussagen oder Dogmen; es ist auch nicht Unbehagen bezüglich liturgischer Formen und kirchlicher Traditionen, nicht Missfallen an Würdenträgern oder kirchlichen Einrichtungen. Apostasie, der Abfall vom Glauben, ist das Verlieren bzw. Verwerfen des christlichen Glaubens insgesamt, die innerliche Abwendung von Gott, von Christus, vom Heiligen Geist, die Zurückweisung und – verbal oder via facti – Verächtlichmachung der kirchlichen Lehre. Nur ein Mann, der an keinen Gott mehr glaubt, der das Jüngste Gericht für eine hohle Legende hält und die kirchliche Sündenlehre für einen Witz, nur so ein Mann kann sich an Schutzbefohlenen vergreifen und nachher schulterzuckend die Sakramente feiern, weil das irgendwie noch zu seiner „Job Description“ gehört. Und das dürfte mit das schlimmste Sakrileg sein, das man sich vorstellen kann. Der furchtbare Gedanke drängt sich auf: Ist nicht diese aktive Schändung des Heiligsten in der Kirche ein Akt der „Sünde wider den Heiligen Geist“, einer Sünde, „die nicht vergeben werden kann“[5]? Denn wer als Priester solches Sakrileg begeht, der verwirft und verspottet das Heil insgesamt.
Eine ominöse Parallele
Schon einmal wurde die Katholische Kirche massiv der moralischen Verderbtheit ihrer Priester und sexueller Übergriffe angeklagt. Im Rahmen ihrer Versuche, die Katholische Kirche „gleichzuschalten“ und ihren Einfluss auf die Gläubigen zu neutralisieren, lancierten die Nationalsozialisten in den Jahren 1936/37 sog. „Sittlichkeitsprozesse“ gegen die Kirche[6]. Dabei ging es um die Entlarvung unsittlichen Verhaltens von Priestern und Ordensleuten[7]. Die Kampagne war letztlich erfolglos und zwar aus zwei Gründen: Die Zahl der echten Fälle war verschwindend gering, und die Fälschungen und die Propaganda der Nazis allzu durchsichtig. Außerdem hielten die Gläubigen zu ihren Priestern und zu ihrer Kirche. Die Resilienz der Kirche beruhte auf einem erprobten und noch selbstverständlichen Glauben und auf einem tiefen Vertrauen der Gläubigen in die Integrität ihrer geweihten Repräsentanten. Wäre es zu der Erosion des Glaubens und dem Dammbruch der „sexuellen Revolution“ schon ein halbes Jahrhundert früher gekommen, dann hätte die Kirche in Deutschland diese schwere Prüfung wohl kaum bestanden.
Wessen Kirche ist das ?
Wenn heute Forderungen nach totaler und radikaler Veränderung der Kirche, quasi nach einer Art ekklesiologischemUmsturz immer lauter werden, muss die Frage gestellt werden, wer dazu das Recht hätte? Das „Haupt der Kirche“ ist Christus, und deshalb ist es seine Kirche. Schon unter den Aposteln war ein Verräter; aber er wurde ersetzt, und die Zusage Jesu gilt unverändert und für alle Zeit, dass auch „die Pforten der Hölle“ diese Kirche nicht zerstören können. Es reicht nicht, sich über das untaugliche „Bodenpersonal des lieben Gottes“ zu mokieren. Die Erneuerung der Kirche muss auch bei den einzelnen Gläubigen ansetzen. Sie ist aber nicht möglich ohne oder gar gegen den Inhaber des Petrus-Amtes; dazu gibt es eindeutige und unmissverständliche Jesus-Worte[8].
(Fortsetzung folgt)
[1]Und da hilft es wenig, dass die Masse der Missbrauchsfälle in der Gesellschaft nicht in der Kirche begangen werden und dass die Masse der Priester untadelig und aufopferungsvoll ihren Dienst verrichtet. Vgl. a. https://erziehungstrends.info/die-kirche-im-dorf-lassen-2-zur-krise-der-kirche
[2]Volltext: https://www.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_25071968_humanae-vitae.html
[3]In manchen Programmen und Anleitungen für Kindergärten und Kitas tauchen einige der damaligen Verirrungen auf gespenstische Weise wieder auf, wenn es um Verhaltensmuster geht, die durchaus treffend als „Früh-Sexualisierung“ von Kleinkindern bezeichnet werden.
[4]Vgl. https://www.katholisch.de/artikel/21325-benedikt-xvi-68er-sind-verantwortlich-fur-missbrauchsskandal
[5]Nach den Worten Jesu in anderem Zusammenhang. Vgl. Mt. 12,31. Gewiss steht keinem Menschen ein Urteil darüber zu; doch lässt sich der Gedanke daran nur schwer unterdrücken.
[6]Vgl. a. https://erziehungstrends.info/die-kirche-im-dorf-lassen-3-von-suendenboecken-und-schwarzen-legenden
[7]Hierzu umfassend: Hans Günter Hockerts:Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester. 1936/1937; eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Mainz 1971
[8]Vgl. z.B. Mt. 16, 18 ff.