Wo ein Wort gesagt oder geschrieben wird, da herrscht schon Vertrauen.

Vertrauen in die Fähigkeit des Menschen, etwas Sinnvolles, die Realität, zu begreifen und mitzuteilen. Vertrauen, dass wir nicht leere, inhaltslose Worte ohne Beziehung zur Realität aussprechen. Vertrauen, dass wir dem Kerker der bloß gedachten Gedanken entfliehen können, erkennen wir doch die Realität nicht nur durch die Vernunft, sondern kommen auch durch „emotionale Akte“ (N. Hartmann), durch Erleben und Erleiden, Neugier und Begehren, Wollen und Handeln mit der ansichseienden Wirklichkeit der Umwelt in Berührung.

Vertrauen ist Weltoffensein, Kontakt

Vertrauen bejaht die Welt, die keine Illusion ist, kein trügerischer Schein, sondern eine Welt vielfältiger Erscheinungen, die das helle Licht unseres Ja-Sagens zur Welt vor uns entstehen lässt und zum Leuchten bringt. Die „Überschlauen“ und die unverbesserlichen Pessimisten bauen überall Hintertürchen, Alarmapparate, Notausgänge ein, weil sie alles in Verdacht haben und dadurch alles vergiften.

Aber die „schlechten Erfahrungen“, auf denen ihr Misstrauen beruht, sind entweder drastische Verabsolutierungen einzelner persönlicher Erlebnisse oder durch ihre „dunklen Brillen“ verursacht. Sie „sehen schwarz“. Nur der Naive, auch wenn er sich mit anmaßendem Ernst bekleidet, kennt keine Nuancen bei der Betrachtung der Wirklichkeit, keine Grautöne zwischen Weiß und Schwarz, er verabsolutiert alles in drastischer Weise. Die „erfahrenen Menschen“, die Skeptiker aller Art, die systematisch Misstrauischen sind immer von ungeduldiger Albernheit geprägt.

Misstrauen führt zu Pessimismus

Die neurotischen dunklen Brillen, durch die sie sich von der Welt zu trennen versuchen, um zu sehen, aber nicht gesehen zu werden, verhindern die eigentlich nuancierte Sicht der Realität mit allen ihren Schatten und mit ihrem Schimmern. (Schatten und Schimmern bezeugen nur die Anwesenheit und die Wirkung der Sonne!)

So bilden die dunklen Brillen oft ein Symptom für die melancholische, zurückhaltende Verschlossenheit eines Menschen. Misstrauen ist meistens eine vorausgesetzte Grundhaltung der ganzen Person, die mittels einer gewissen Unechtheit der ersten Schritte auf Erden gewonnen worden ist.

Der Pessimist macht deshalb „immer wieder“ schlechte Erfahrungen, weil er von vornherein pessimistisch ist.

Vertrauen ist die unentbehrliche Atmosphäre für jedes Lebewesen und dessen Entfaltung. Das Kind besitzt „hohe Antennen“ (R. Spitz). Schon lange vor dem Gebrauch seiner Vernunft spürt das Kind nicht nur die Nestwärme, die Liebe und die gute Aufnahme in seinem Milieu, sondern besonders die Anwesenheit des Vertrauens schlechthin. Wenn das Vertrauen um das Kind sogar um das neugeborene fehlt, kann sich das Kind nicht richtig und harmonisch entwickeln.

Der kleine Mensch zieht sich zurück, verkümmert seelisch und körperlich und stirbt unter Umständen, weil keine Pflege und Sorge die ungeheuer aufschließende Kraft des Vertrauens zu ersetzen vermag. Ursprünglich aber muss man alles Vertrauen zum Leben und zur Welt im Vertrauen zum Menschen erfahren haben, da das Kind besonders in den Eltern die wahren Vermittler zur Welt findet.

Vertrauen hat schöpferische Kraft

Vertrauen zum Menschen bedeutet, der Wirklichkeit des anderen zu begegnen. Der Mensch, den ich für zuverlässig, fähig zu allem Guten und Schönen halte, wird dadurch auch zuverlässig und zu allem Guten und Schönen fähig. Es handelt sich um eine schöpferische Kraft, die imstande ist, den Menschen, an den man glaubt, tatsächlich glaubwürdig, vertrauenswürdig, zuverlässig zu machen (N. Hartmann). Vertrauen kann den Menschen ändern, umschaffen.

Das Vertrauen ist die unbedingte Voraussetzung für jede Zwiesprache. Nur durch Vertrauen entpuppt sich der andere als „Du“, weil nur so in ihm die Fähigkeit zur Antwort erweckt wird. Ohne Vertrauen verbleibt der andere in der Ferne eines verschlossenen, kontaktlosen „Er“, ja oft sogar in der Anonymität des „Es“, also eines unbedeutenden Dinges. Aber auch ich werde durch das gewagte Geschenk des Vertrauens ein wirkliches, lebendiges, menschliches Ich. Denn der Mensch ist kein bloßes, abgesondertes Sein, sondern ein soziales, dialogisches (M. Buber) Wesen: Das Sein existiert nur als Mit-Sein (Heidegger).

Das Du-Sagen setzt den anderen in den schöpferischen Raum der Freiheit, der Entfaltungsmöglichkeit, des gemeinsamen Schaffens und Glaubens. Die rein wissenschaftlichen, technischen Beziehungen zwischen Menschen verneinen die Freiheit und die Lebendigkeit des Du:

Das „Es“ ist das Subjekt der Technik, hat der bekannte Existenzphilosoph Gabriel Marcel geschrieben, und deswegen ist vielleicht unser technisches, albern szientifistisches Zeitalter so arm an Vertrauen zwischen den Menschen, so arm an Kontakt und Zuverlässigkeit, und die Angst wächst überall anonym und bedrohend. Du Sagen setzt eine Art schöpferischer Treue voraus, eine Verfügbarkeit, das heißt die Bereitschaft, mich aus der Hand zu geben und mich zu binden. Diese Bereitschaft verwandelt Umstände in Gelegenheiten und sogar in Gnaden.

Nur ein solches Vertrauen erreicht und erweckt die Innigkeit des „Du“: Und schon ist die Liebe entstanden, ohne irgendeine Verletzung der Intimität des anderen, ohne irgendeine taktlose, schamlose, plumpe Vertraulichkeit.

Vertrauen der politischen Machthaber zum Volk bedeutet deswegen schützende Liebe, echte Geborgenheit, die die Freiheit nicht nur bewahrt, sondern täglich fördert, die die Reife des Gemeinschaftssinnes zur Entfaltung bringt und auf „väterliche Maßnahmen“ verzichtet, durch die das Volk kindisch und ahnungslos, friedlich, aber halb tot geführt wird.

Vertrauen ist Ja Sagen zum ganzen Menschen, nicht zu einem bestimmten menschlichen Vermögen oder nur zu einem Aspekt eines gewissen Vermögens, zum Beispiel zur Arbeitsfähigkeit oder zu technischen Kenntnissen: Letzteres ist bloße Täuschung, die unvermeidlich zu schmerzlichen Enttäuschungen leitet. Jede Einseitigkeit sei es des Materialismus, sei es des Moralismus oder der schwärmerischen „reinen Vergeistigung“ ist naiv und höhlt das wahre Vertrauen aus.

Vertrauen macht verletzlich und gelassen

Die menschliche Liebe fordert ganz unbedingt diese Art des Vertrauens: Man liebt nicht eine Reihe guter Eigenschaften des Geliebten, sondern ihn schlechthin, man „traut“ ihm bedingungslos (es führt eben zur „Trauung“!) und nimmt das Wagnis seines Engagements auf.

Liebe ist Wagnis sowie Vertrauen, weil beide nur dort möglich sind, wo ich mich auf jemanden beziehe und verlasse, der im Grunde unerforschlich und eigenständig ist. Ich kann keine absolute, mathematische Sicherheit haben, wenn ich mit einem echten „Du“ mit allen Vorzügen und Nachteilen zusammentreffe. Wer auf Wagnis verzichten will, der hat sich aus dem Lebens- und Liebesspiel herausgestellt. „Wer sein Leben bewahren will, der wird es verlieren“ (Mt 10,39).

Wir sind alle voneinander verschieden, aber fast niemand befindet sich heutzutage in einer so prägenden Minderwertigkeitssituation wie es etwa bei den Sklaven der Fall war, die eine totale Entmutigung zum Gespräch und zur Liebe verursachen könnte.

Jedoch sind es gerade Situationen einer nicht völligen Gleichheit und die Unfähigkeit, sie zu überwinden, die das sehr gefährliche Dynamit des Ressentiments, jenes gewissen heimlichen Grolles, anhäufen. Minderwertigkeitsgefühle und Neid, besonders wenn man sich vom „Schicksal“ verletzt glaubt, führen zu immer beunruhigenderen Vergleichseinstellungen und zu einer starr misstrauischen Weltanschauung.

Mangel an Vertrauen

Die Prüderie alter Jungfern, die zerstörende Kritik einer Generation gegen die vorige, die romantische Flucht in die „guten alten Zeiten“, der Religionshass vieler vom Glauben Abgefallener, Rassenhass und soziale Rache, ja sogar verschiedene (entartete) Formen des „Mitleids“ (sublimiertes Ressentiment statt echter Liebe zum Nächsten) sind Beispiele und Äußerungen des fehlenden Vertrauens.
Die Liebe beurteilt nie und niemanden, weil ein Urteil das „Du“ in ein „Er“ verwandelt (Marcel).

Liebevolles Wagnis des Vertrauens darf man aber nie mit Anstrengung und Spannung verwechseln. Vertrauen ist vielmehr, wie jede echte Tugend, Entspannung, ein Sich-Verlassen, Elastizität in und mit dem Rhythmus der Welt; nicht ein Weg der Anspannung, der allzu oft das Ideal unseres Jahrhunderts darstellt, amerikanische „Rekorde“ wie östliche „Supersolls“, Ideal vieler Konkurrenzfrevler, frenetischer Sportler, „befreiender Tiefenpsychologen“ und mancher „kämpferischer Christen“, sondern ein Weg der „Entspannung des Geistes und des Willens“, der zur „Vermählung mit den Dingen und Gott“ führt.

Liebende Dichter und Mystiker aller Zeiten haben das echte Vertrauen zum Menschen und zur Welt gelebt und verkörpert:

Werner Bergengruen:
„Die uralte Muschel umfängt dich gelind. So werde nun Dolde und Vogel und Kind. Nun schlafe getrost, Gott singe Dich ein.“

Gertrud von Le Fort:
„Leid ist nur Liebe, warte eine kleine Weile, und du wirst es erfahren.“

Bernanos:
Sein bekannter armer Landpfarrer sterbend: „Alles ist Gnade.“

Paulus von Tarsus:
„Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, übersteht alles.“

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.