Immer wieder erfahren wir zu unserer nicht geringen Überraschung, dass Menschen, die der Erfolg geküsst hatte, Selbstmord begehen. Weltbekannte Männer und Frauen, die auf ihren Lorbeeren hätten ausruhen können, zeigten sich plötzlich von tiefster Schwermut erfasst und kehrten der Bühne dieses großen Welttheaters unverständlicherweise den Rücken. Welch geheimnisvoller Gott ist der Erfolg, der seine eigenen Kinder ermordet?

Trotzdem: Wir streben alle nach ihm. Von Kindheit an haben wir von ihm geträumt, für den Erfolg sind wir erzogen worden. Die Eltern verlangen von ihren Kindern, dass sie die Lebensziele (der Eltern!) so bald wie möglich erreichen, und sie machen lange Gesichter, ja inszenieren nicht selten wahre Tragödien, wenn das Kind seine Zuneigung dem Spiel, der schöpferischen Tätigkeit oder gar dem müßigen Phantasieren zuwendet, statt sich mit Haut und Haar dem Studium, dem Geschäft des Vaters oder den Idealen der Mutter zu verschreiben.

Welcher Erfolg?

Man verwechselt Glück und Daseinserfüllung mit dem Glanz des Erfolges. Man pflegt den Glauben, dass das Gute und der Triumph zusammenfallen. Es handelt sich nicht nur um Egoismus, sondern zuvörderst um die Befriedigung des eigenen Willens: Enttäuschung und Misserfolg bedeuten im Grunde weit mehr deshalb Leiden, weil die Wirklichkeit unseren modellierenden Fingern entgeht, als weil ein bestimmtes Gutes nicht errungen wurde.

Was man für Erfolg ansieht, hängt weitgehend von der Erziehung und von der jeweilig dominierenden Wertskala ab. Das aufgemöbelte und übergeschminkte Mädchen, das in der Stadt spazieren geht, bemisst ihn am Pfiff des vorüberschlendernden Soldaten, der Schauspieler bewertet ihn nach der Dauer des Applauses auf offener Bühne, der Schriftsteller nach der Auflagenhöhe seiner Bücher, der Handelstreibende nach dem Gewinn, der Filmstar nach der Größe der Buchstaben seines Namens auf den Plakaten, der General nach der Schnelligkeit des Sieges seiner Truppen, der Sportler nach dem Ausmaß seines Vorsprunges oder seiner Rekordleistung.

Der Erfolg liebt die Menschen, die ihn lieben und die auf ihn warten, und er hasst jene, die immer wieder bekümmert die Wunden des Schicksals aufreißen und sich überall von Gefahren und Fallen bedroht fühlen. Optimismus bereitet den Erfolg vor; Angst und Minderwertigkeitsgefühle führen fast unvermeidlich zum Versagen.

Erfolg ist immer Geschichte

Erfolg ist tatsächlich eines der wirksamsten Kräftigungsmittel, die es überhaupt gibt. Aber man darf sich nicht täuschen lassen. Er ist allzu messbar, um das Menschliche vertreten zu können. Denn gerade die Messbarkeit des Erfolges stempelt ihn zu einer höchst zweideutigen Angelegenheit: Er wird als Maßstab der Intelligenz, der Inspiration, des Wertes, des Fleißes und sogar der Tugend betrachtet, wiewohl alle diese Dinge durch keine mathematische Schätzung erfassbar sind. Der Erfolg verbleibt im Rahmen der Zeitlichkeit, der Zerbrechlichkeit, der Vergänglichkeit – wie jede Macht in dieser Welt. Die Glückseligkeit fällt deshalb nicht mit dem Erfolg zusammen. Erfolg ist Geschichte, er hat den Charakter des Anfanges; die Glückseligkeit aber den des letzten Endes; Erfolg ist immer Geschichte. Glückseligkeit ist Schritt aus der Zeit, Teilhabe an der Ewigkeit (Pieper).

Der Wein des Erfolges ist so stark, dass er zum Rausch führt, zur krankhaften Sucht, zur Verabsolutierung seines höchst bescheidenen Wertes. Der Mensch des Erfolges greift an und zu, aber er begreift meist fast nichts – im Nebel seiner Trunkenheit. Er will die Sternstunden verewigen, er blockiert das wahre Leben des Geistes, verlangt von der Allgemeinheit ständig Bewunderung und Zustimmung, wird zum Rentner und zum Papagei der goldenen Vergangenheit, zum Götzendiener des eigenen Ruhmes. Er kennt keine Selbstkritik, langsam wird er zur Mumie. Das befriedigte, selbstsichere, geistlose Lächeln vieler triumphierender Menschen – Politiker, Stars, Sportler, Schönheiten – ist die Grimasse der Idiotie, einer der häufigsten Endstationen des Erfolges. Größenwahn (Megalomanie) bildet sogar bei Strebern von Niveau den Auftakt zur erbärmlichsten Verblödung.

Die fragwürdige Beweiskraft des Erfolges

Das unsere Zivilisation kennzeichnende Konkurrenzbedürfnis fördert – wie die bekannte Analytikerin Karen Homey zutreffend bemerkt hat – den Drang, die anderen zu überflügeln. Das Gefühl, das der Mensch unseres Zeitalters gegenüber dem Leben empfindet, kann mit dem des Jockey bei einem Pferderennen verglichen werden, für den nur eines wichtig ist: den anderen voraus zu sein. Diese Haltung führt notwendigerweise zum Verlust oder wenigstens zur Verminderung des wahren Interesses an der Sache selbst. Ihm kommt es nicht auf den Inhalt seiner Tätigkeit an, sondern allein darauf, wieviel Erfolg, Wirkung, Ansehen er damit erzielen kann. Auf diese Weise entstehen allerlei bizarre, ungewöhnliche, „einzigartige“, wenn nicht sogar skrupellose Verhaltensweisen, die allein dem faszinierenden Phantom Erfolg unterworfen sind.

Unter dem Druck der herrschenden Erfolgsideologien, die eine Menge Handbücher zur Erreichung des Erfolges hervorgebracht haben, nimmt die Angst vor dem Misserfolg ständig zu und wächst gleichzeitig die Feindseligkeit unter den Menschen unserer Gesellschaft, die einer Masse isolierter, ehrgeiziger, kontaktloser, neurotischer Individuen gleicht. Eine Gesellschaft unglücklicher Monaden.

Streber sind letztlich schwache Menschen, die den Erfolg als einzige Lösung für ihre Lebensfragen betrachten. Echter Geist, wahrhaftiges Genie, ganzer Wert, wirkliche Tugend werden nie vom Erfolg abhängen. Man könnte sogar behaupten, dass sich das Gute und das Wertvolle im Spielraum der Geschichte – der Relativität und der Zeitlichkeit – als besonders kraftlos erweisen.

Die primitivsten Antriebe setzen sich mühelos durch, Gesundheit und Schönheit wollen schon gepflegt sein, die Wahrheit überlebt nur unter großen Schwierigkeiten, die Liebe fordert des öfteren ganz außerordentliche Opfer. Das Kind denkt magisch: Das Gute sollte auch das Stärkste sein, der Rechtschaffene reich und geachtet, der Reine gesund und angesehen. Der reife Mensch, der wahre Weise, der Erfahrene weiß dagegen sehr gut um den abgründigen Unterschied dieser Dinge. Er verbirgt sogar seinen Schatz, damit Lärm und Eitelkeit nicht jene vielgeliebten und wertvollen Gegenstände, denen er sein Leben gewidmet hat, verderben können. Echte Liebe zum Leben, zur Welt, zu den Dingen, zu den Menschen lernt sehr bald den Erfolg verachten. Nicht aus pharisäischer Demut, nicht aus Angst, nicht aus ichhaftiger Eifersucht. „Wenn ich Erfolg erreichen sollte, so gib, o Herr, dass ich daran keine Lust empfinde“, betete der große Denker Maurice Blondel in seinem Tagebuch.

Die Hoffnung der Welt: erwachsen aus Misserfolg

Der reife Mensch weiß auch, dass Versagen, Misserfolg, Unglück und Leid zur Existenz des wesentlich „leidenden Menschen“ gehören. Diese Erfahrungen können und sollen uns ihren positiven Wert offenbaren; sie zeigen uns die Begrenztheit unserer Möglichkeiten, die Notwendigkeit gegenseitiger Unterstützung, die Menschlichkeit der Vergebung und des Verständnisses, die Äußerlichkeit und „Zufälligkeit“ vieler Errungenschaften, das Rätselhafte entscheidender Situationen.

Misserfolg, Krankheit, Enttäuschung, Bankrott, Niederlagen bergen keimhaft unzählige menschliche Fähigkeiten, auf die große, geduldige Geister nicht selten ihre höchste Erfüllung aufgebaut haben. „Es gibt ein dunkles Glück und es gibt ein helles Glück, aber ein Mensch, der dem dunklen Glück nicht gewachsen ist, wird auch wahrscheinlich nicht dem hellen gewachsen sein“ (Gertrud von Le Fort).

Der bestürzendste Misserfolg in der Geschichte – der Kreuzestod des Gottessohnes zwischen zwei Verbrechern, Skandal und Torheit für die weltliche Weisheit – ist zum Pfeiler der Welt, zur Hoffnung und zum Heil der ganzen Menschheit geworden. Trotzdem gilt in „frommen Kreisen“ noch immer dämonisch die Anbetung des Erfolges: Wer als Seelsorger oder als „Apostel“ vieles erreicht, ist gut; wer das saure Brot der Einsamkeit und der Fruchtlosigkeit brechen muss, wird als unbegnadet betrachtet. Ist denn das Kreuz nicht mehr das Zeichen, in dem man allein siegen wird? Dieser Sieg aber wird weitab von der Schmeichelei des Erfolges errungen und weitab von der Glorifizierung der bloßen Anstrengung, die von Kant ausgeht und im angeblichen Glück des Sisyphus bei Camus gipfelt. „Was zählt, ist allein der absolute Einsatz“, hat Sartre im Sinne einer vollendeten Hoffnungslosigkeit geschrieben, die sehr nach gängiger Romantik klingt. Einsatz bedeutet immer Hoffnung, deren Erfüllung vielleicht verborgen bleiben wird und die allein der dunkelste Glaube erfasst.

Das letzte Sinn-Geheimnis des Misserfolges, des Versagens und des Leides wird erst enthüllt werden, wenn wir – wie Hiob uns erzählt – das Antlitz Gottes schauen werden. Inzwischen sollte man diesem Geheimnis, statt es mit neurotischer Furcht zu betrachten, mit einer tiefen Ehrfurcht begegnen.

„Teach us to care
and not to care
Teach us to sit still
Even among these rocks,
Our peace in his will“ (T.S.Eliot)

„Lehre uns, zu sorgen
und nicht zu sorgen.
Lehre uns, still zu sitzen
Selbst unter diesen Felsen,
unser Frieden liegt in seinem Willen.“

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Johannes B. Torelló
* 7. November 1920 in Barcelona; † 15. August 2011 in Wien - war ein aus Spanien stammender österreichischer Geistlicher und römisch-katholischer Theologe sowie weltbekannter Neurologe und Psychiater. - Zahlreiche Werke über Themen des Grenzgebietes Psychiatrie-Seelsorge-Spiritualität. Mehrmals übersetzt wurden zwei Bücher: „Psicanalisi e confessione“ und „Psicologia Abierta“ (auf Deutsch ursprünglich als Essays in der Wiener Monatsschrift „Analyse“ erschienen). Andere Titel von Vorträgen, Aufsätzen usw.: Medizin, Krankheit, Sünde; Zölibat und Persönlichkeit; Was ist Berufung? Die Welt erneuern (Laienspiritualität); Über die Persönlichkeit der ungeborenen Menschen; Erziehung und Tugend; Glauben am Krankenbett; Arzt-Sein: Soziale Rolle oder personaler Auftrag? Die innere Strukturschwäche des Vaters in der heutigen Familie; Echte und falsche Erscheinungen; Schuld und Schuldgefühle; Die Familie, Nährboden der Persönlichkeitsentwicklung; Neurose und Spiritualität; Über den Trost; Lebensqualität in der Medizin.