An einer Hamburger Schule wurde „aufreizende Kleidung“ der Schülerinnen verbannt. Nicht selten kommt dann als Begründung, die Gefühle der Moslems – z.B. während des Ramadan – nicht zu verletzen. Welche Aspekte sind – auch unter dem Aspekt der Integration – im Umgang mit überbordender Freizügigkeit zu berücksichtigen? Was ist falsch, richtig, akzeptabel? Wo hört die Freiheit des Einzelnen auf? Übrigens zeichnet sich das Balzverhalten bei Vögeln durch ein ausgeprägtes Sozialverhalten aus, welches der Nachwuchs von den Vogel-Eltern während der Aufzucht erlernen. Einfach tierisch gut! – Hier eine Stellungnahme aus sozialpsychologischer Sicht.

Was geht gar nicht und wie ist damit umzugehen?

Wir sollten beim Thema Kleidung in Schulen und ähnlichen Bildungseinrichtungen zwischen aufreizend und unangemessen differieren. Zur Verdeutlichung: Wenn beispielsweise stark übergewichtige Mädchen viel Haut zeigen, wird dies von den meisten Menschen wohl kaum als sexy, sondern meist als abstoßend empfunden. Aber es geht unabhängig von sexy wirkenden oder abstoßenden Kleidungsbevorzugungen in Schulen auch um einen angemessenen Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen. So existieren in Badeeinrichtungen, Sportveranstaltungen, Schulfesten, bei Abschlussfeiern, in Gotteshäusern oder bei einem Trauerfall jeweils andere Kleidungs-Übereinkünfte. Die Thematisierung solcher Regeln steht zwar meist nicht im Curriculum, gehören aber auch zum schulischen Auftrag der Berufs- und Lebensvorbereitung. Davon sind Schülerinnen und Schüler gleichermaßen betroffen. So existieren in etlichen Schulen auch für die Kleidung der Jungen Regelwerke, weil Tank-Top-Shirts, Bauchfreiheit oder ständiges Käppitragen auch unpassend sind. Wie durch die Reaktion der Eppendorfer Schule deutlich wurde, sehen dies andere Schulen ähnlich.

Aber auch Lehrerinnen und Lehrer haben darauf zu achten, sich in der Schule angemessen zu kleiden, auch wenn es hier meist nicht um die Stoffmenge zur Körperverhüllung geht. So wäre eine Deutsch-Lehrerin im Jogging-Dress oder der Mathelehrer in Boxer-Shorts ebenso Beispiele für unangemessene Kleidung. Wenn Schulen – möglichst im Zusammenwirken mit Eltern- und Schüler-Vertretungen – diesen Auftrag nicht wahrnehmen, die anvertrauten Schülerinnen und Schüler umfassend auf die gesellschaftlichen Verhalten-Regeln vorzubereiten, werden sich Mädels recht unbekümmert bauchfrei oder/und supermini berockt und Jungs mit Baseball-Kappe oder Strick-Mütze und in Zeiten einer Unisex-Mode ergänzt durch gezielt zerrissene Hosen in Bewerbungsgespräche stolpern und sich anschließend wundern, dass dieses recht kurz ausfiel und mit einer Absage endete. 

Zum Unterschied zwischen Vereinbarungen und Verboten!

Häufig wird in solchen Diskussionen die Frage gestellt, ob ein Verbot als Einschränkung der persönlichen Freiheit legitim sei? Um hier Klarheit zu erlangen, ist zwischen Regelungen und Verboten zu differenzieren. Auch wenn in unserer Kultur die Regel existiert, bei Trauerfeiern schwarze oder dunkele Kleidung zu tragen heißt das nicht, dass ein Auftritt im pinkfarbigen Jogging-Dress beim Begräbnis verboten ist. Aber die Konsequenz wird sein, dass dieses Outfit auf großes Unverständnis oder gar zu einem Ausschluss führt. Der Denkansatz lässt sich auf alle Regelungen übertragen. Aber in unserer Gesellschaft besteht eine Tendenz, Regelungen gerne als Verbote zu bezeichnen. Und da Verbote als Angriff auf die eigene Freiheit dargestellt werden, wird daher das Regelwerk gezielt bekämpft. Es wird nicht lange dauern, bis sich Bankräuber sich im Grundrecht der Aktionsfreiheit persönlich diskreditiert fühlen, wenn ihnen der Zugang zum Bank-Tresor per Schneid-Brenner verwehrt wird. 

Der Denkansatz, Regelungen mit Verboten gleich setzen zu wollen offenbart, die getroffene Übereinkunft nicht verstanden oder akzeptiert zu haben. Im Falle des Eppendorfer Gymnasiums in Hamburg hatten Lehrer, Eltern und Mitglieder der Schülerschaft mit großer Zustimmung – in Ergänzung zur Schulordnung – eine neue Kleidungs-Ordnung vereinbart. Wenn sich alle daran halten, wird es nie eine Diskussion über Verbote ergeben. Schließlich präsentiert sich das Gymnasium mit den Leitgedanken: „Wir fördern das eigenständige Denken und die Kreativität unserer Schülerinnen und Schüler. Dabei wollen wir das kritische Reflexionsvermögen sowie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zur Empathie stärken.“ – Super, hier ist Abschreiben bzw. Übernehmen sicher erlaubt. Verbote ergeben sich meist als Folge nicht eingehaltener Regeln.

Was geht andere mein Verhalten an?

Immer dann ist eine Eingrenzung der persönlichen Freiheit angesagt, wenn dadurch die Rechte anderer beeinträchtigt werden. Denn wenn sich Menschen zu stark auf ihre Freiheitsrechte berufen, habe diese Zeitgenossen meist die mit der Freiheit verbundene Verantwortung gegenüber anderen Menschen, der Natur oder Sachgütern ausgeblendet. Somit sind legitime Verbote das Resultat eines zu selbstbezogene Verhaltens. Aber bevor sich jedoch eine Schule über eine zu reduzierte oder eigenwillige Verteilung von Textilien auf junge Körper Gedanken macht, sollte die Eltern – und verstärkt bei Mädchen die Väter – darauf achten, in welchem Outfit der Nachwuchs die Wohnung verlassen möchte. Ein Vater von drei Mädels stellte seinen Töchtern, bevor sie das Haus in einem fragwürdigen Dresscode verlassen wollten – bezogen auf die Kleidung – zwei Fragen: 1. Wohin geht es nun und 2. meinst du wirklich, wenn du in den Spiegel schaust, dass dies passend ist. In Fällen einer sehr sparsamen Textilverteilung sagte er: Willst du heute wirklich das ‚Nimm-mich-Signal’ an deine Umwelt richten? Entweder setzte dann Selbstverantwortung mit der Folge einer Kleidungs-Korrektur oder eine heiße Diskussion ein. In jedem Fall wurde klar, dass Kleidung auch eine Offerte des eigenen Selbst ist, immer – teilweise konkret erwartbare – Reaktionen auslöst oder gar provoziert und dass in diesem Elternhaus – in Mitverantwortung für den Nachwuchs – Grenzen existieren. 

Ein Sexy-Outfit spiegelt auch den Zeitgeist wider!

Kleidung setzt immer Signale. Es ist das Lebens-Elixier der Modebranche, ständig neue Stilrichtungen zu kreieren. Dabei werden eigene Umsatz-Absichten mit den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen nach Beachtung, Anerkennung und Wertschätzung wirkungsvoll verknüpf. Besondern weibliche Jugendliche erfahren schnell, durch welche Kleidung sie in einer sexualisierten Lebenswelt Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Somit werden durch sexy Kleidungs-Bevorzugungen nicht nur allgemeine Konventionen tangiert, sondern sie lösen auch vielfältige – beabsichtigte, hingenommene oder unbeabsichtigte – erotische Stimulierungen beim meist männlichen Umfeld aus. Das sich in den Jahren seit den 68ziger Umbrüchen hier viele Entwicklungen zur Überwindung falscher Prüderie ins Gegenteil kehrten, verdeutlichen die ständig zunehmenden Störungen im Sexualverhalten. Denn wenn die Suche nach Selbstdarstellung und Spaß zur suchtartigen Handlungsmaxime wird, rauben diese Protagonisten der erotischen Liebe und Zuneigung in Partnerschaft und Ehe ihre beglückende Kraft.

Selbstkritisch das eigene Handeln auf den Prüfstand stellen!

Wenn wir in unserem Kulturbereich diese Kriterien wieder stärker in den Blick nehmen, wird nicht nur Manches für unsere eigene Bevölkerung, sondern auch für die zu uns kommenden Migranten angemessener. Aufreizende Kleidung gezielt unter dem Aspekt zu vermeiden, um die Gefühle von Moslems – beispielsweise während des Ramadan – nicht zu verletzen, wie dies von etlichen Politikern und Medien geäußert wird, geht für mich in die falsche Richtung. Statt dessen sollten wir uns fragen, ob all das, was der Mainstream als freiheitliche Errungenschaften etikettiert, wirklich diese Zuschreibung verdient. Denn oft drückt ein recht ‚liberales ‚Verhaltens im Kern Gedankenlosigkeit, Egozentrik, Protest oder Machtgebaren aus. Häufig ist festzustellen, dass die für eigenes Verhalten Toleranz einfordernde Menschen sich äußerst intolerant gegenüber anderen verhalten, wenn das eigene Denken und Wollen dadurch tangiert wird. Nicht selten münden diese sogar in Hass-Tiraden und Angriffs-Attacken. 

Insoweit können, unter den Aspekten Integration oder gar Inkulturation, die ständig neu zu uns kommenden Menschen aus anderen Kulturen die jeweiligen eigenen Verhaltensweisen im Hinblick auf unsere durch Sitten und Gebräuche geprägten Verhaltensweisen und Werte grundlegend überprüfen. Viele davon werden zu einer Übernahme einladen. Und umgekehrt können diese anderen Kulturen uns als Spiegel dienen, unserer Lebensgewohnheiten und im Alltag entstandene Umgangsformen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und zu verändern. Denn nicht alles, was sich in der Folge der Aufklärung und des politischen Liberalismus entwickelte, kann als Fortschritt für das soziale Miteinander betrachtet werden. 

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Dr. Albert Wunsch
Dr. Albert Wunsch ist Psychologe und promovierter Erziehungswissenschaftler, Diplom Pädagoge und Diplom Sozialpädagoge. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern. Seine Bücher: Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen), Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare und Mit mehr Selbst zum stabilen ICH - Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus und machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt.