Neulich haben wir in der Kirche ein noch relativ neues Lied[1] gesungen. Musikalisch war es eingängig; ein wenig sonderbar kam mir aber der Refrain vor, mit seiner direkten Anrede: „…du bist das Leben, Gott“. Das klingt ein wenig wie Kindersprache: Hallo Gott, hörst Du mich…? Nun war es aber kein Kinderlied, und in jedem Fall darf man sich fragen: Ist das die richtige Anrede?

Gott ist ja kein Eigenname. Wie fänden wir es, wenn uns jemand zuriefe: Hallo, Mensch! Klingt fast ein wenig unhöflich, oder? Nun ist das bei diesem Kirchenlied – und etlichen ähnlichen –  sicher nicht so gemeint. Und natürlich gibt es viele Weisen der Anrufung Gottes; nur nicht in dem Sinne, dass „Gott“ wie ein ganz alltäglicher Rufname verwendet wird.

Hat Gott einen Namen?

Im Alten Testament gibt es zwei „Gottesnamen“; nach ihrer Verwendung unterscheidet die historisch-kritische Bibelauslegung seit jeher bestimmte Überlieferungstraditionen: „Elohim“ ist das Wort, welches nach dem üblichen Sprachgebrauch unserem Wort „Gott“ am meisten entspricht[2], und „Jahwe“ ist der eigentliche Gottesname[3]. So unterscheiden die Exegeten die Schriften eines „Elohisten“ von denen eines „Jahwisten“, je nachdem, welches Wort verwendet wird[4].

Diese Unterscheidung nach der Verwendung unterschiedlicher Gottesnamen impliziert, die Verfasser alttestamentlicher Schriften könnten primär nur einen der beiden Namen verwendet haben. Von einem guten Freund, der Rabbiner ist, habe ich noch eine andere Erklärung der beiden Gottesnamen gehört, wie sie sich in der jüdischen Tradition bis heute findet: Wenn von Gott als „Elohim“ die Rede sei, dann gehe es um den Schöpfer und Richter, wogegen „Jahwe“ verwendet werde, wenn von dem liebenden, barmherzigen Gott die Rede sei[5].

Zuviel der Ehrfurcht?

In der jüdischen Tradition wird der Name Gottes mit größter Ehrfurcht behandelt, bis hin zu der Gewohnheit, den eigentlichen Namen (Jahwe) überhaupt nicht auszusprechen, mit einer einzigen Ausnahme im liturgischen Gebrauch, ein Mal pro Jahr, am Jom Kippur. Und aus dieser Ehrfurcht heraus wird an den Stellen der hebräischen Bibel, an denen der Name Jahwe steht, ein anderes Wort gelesen: Adonai[6], was „Herr“ bedeutet. Und wenn wir das Alte Testament lesen, dann steht dort an genau diesen Stellen und aus dem selben Grund in der deutschen Übersetzung „Herr“.

Das alles sind keinesfalls überholte Konventionen, Spitzfindigkeiten oder altmodische Gewohnheiten. Die besondere Ehrfurcht vor dem Gottesnamen hat vielmehr ihre Wurzel schon in den zehn Geboten, deren erste drei die Heiligkeit Gottes zum Inhalt haben, wobei das zweite ausdrücklich den „Namen Gottes“ schützt. Und wir tun generell gut daran, das Alte Testament / die hebräische Bibel nicht als überholt oder irrelevant abzutun, denn wenn Jesus von der „Schrift“ sprach, die er so offensichtlich hoch schätzte, dann war damit ja kein anderes Buch gemeint.

Nähe zu Gott

Nun könnte man denken, dass durch die große Heiligkeit des Namens Gottes eine Distanz entstehe, die dem christlichen Gottesbild und unserer Glaubenspraxis nicht entspricht. Vielleicht war es dieser Gedanke, der den Autor des genannten Liedtextes dazu bewogen hat, „Gott“ wie einen normalen Rufnamen zu verwenden. Aber Ehrfurcht und liebende Nähe schließen sich nicht aus. Und schließlich ist Gott Mensch geworden. Eine größere und ergreifendere Nähe zu uns Menschen ist überhaupt nicht denkbar. Also wenden wir uns ganz vertraulich und unbefangen an Jesus! In ihm ist uns Gott nicht nur nahe, sondern in seiner Menschheit uns gleich geworden. Und dieser Name, Jesus, ist ein richtiger Rufname, mit der Bedeutung „Gott rettet“!


[1]Aus den 1980er Jahren. Gotteslob Nr. 788 (Regionalteil Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Magdeburg).

[2]Auch wenn es grammatikalisch ein Plural ist. Darin findet sich das singularische „El“, was in semitischen Sprachen „Gott“ bedeutet. Davon abgeleitet ist auch das arabische „Allah“.

[3]Er ist letztlich nur ansatzweise ein Name im umgangssprachlichen Sinne, bedeutet er doch einfach „Ich bin“, bzw. „Ich-bin-da“ (Ex. 3,14).

[4]Neben diesen beiden angenommenen Autoren gibt es dann noch die sog. „Priesterschrift“ als weitere identifizierbare Quelle.

[5]Es gibt im Judentum selbstverständlich nicht den geringsten Zweifel daran, dass es ein und derselbe Gott ist.

[6]Das Hebräische wird mit einer reinen Konsonantenschrift geschrieben. Darin stehen für das Wort Jahwe die vier Konsonanten (von rechts nach links): יהוה („Tetragrammaton“ genannt, entspricht JHWH). Die in manchen hebräischen Bibelausgaben als Lesehilfe hinzugefügten kleinen Vokalzeichen gehören aber zum Wort Adonai. Dadurch wird für den jeweiligen Lektor die richtige Aussprache angezeigt.