Wir haben heute eine besondere Sensibilität dafür entwickelt, dass die Ehe nicht nur die Grundlage der Familie ist, sondern an erster Stelle eine persönliche Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, eine Lebens- und Liebesgemeinschaft, die Überwindung der ursprünglichen und radikalen Einsamkeit, unter der jeder Mensch leidet.

Beide, Mann und Frau, sind gerufen, sich gegenseitig zu helfen, ein glücklicheres Leben zu führen, das nicht „meins“ und nicht „deins“, sondern „unser Leben“ ist, eine neue Einheit, ein gemeinsames Abenteuer, das immer einzigartig ist. Und da jede Ehe einmalig ist, ist auch der Weg ihrer Liebe einmalig.

Einheit von zweien

Wenn zwei Menschen heiraten, entscheiden sie sich, den Lebensweg fortan gemeinsam zu gehen. Sie treten in eine neue Phase ihres Lebens, die normalerweise von der Freude gekennzeichnet ist, ausgewählt und geliebt zu sein. Jeder von ihnen erkennt sich im Blick und in der Wertschätzung des anderen wieder, jeder ist für den anderen Sicherheit und Stütze. Das Ich erwacht, wächst und entwickelt sich durch die unwiderstehliche Anziehungskraft des Du.

Ein Ehepartner darf vom anderen nicht als ein Besitz angesehen werden, den man ein für allemal erworben hat, sondern als Person, die eine Entwicklung durchmacht. Die Liebe besteht darin, dem Anderen weite Bereiche an Freiheit zu lassen und sich zu schenken, ohne kleinliche Berechnungen anzustellen. „Beziehung ist nur dank ihrer Unentgeltlichkeit lebendig. Ohne diesen Sauerstoff würde jede Beziehung zwischen Menschen ersticken und dem Tod verfallen. Die Unentgeltlichkeit ist so notwendig wie die Luft und das Brot.“ (A. Scola, Die „entscheidende Frage“ der Liebe: Mann-Frau; Madrid, 2003)

Die Liebe verlangt außerdem, dem Anderen keine Etiketten aufzukleben und ihn nicht in ein vorgefertigtes Schema zu pressen. Sie lässt uns begreifen, dass wir nie damit fertig werden, ihn kennen zu lernen; jeder Tag ist in dieser Hinsicht voller Überraschungen. Darauf weist auch ein Schriftsteller in seinem Tagebuch hin: „Es fällt auf, dass wir gerade in Bezug auf den Menschen, den wir lieben, kaum sagen können, wie er ist. Wir lieben ihn einfach. Darin besteht gerade die Liebe, das Wunder der Liebe, das uns bereit macht, dem anderen überall hin zu folgen, in all seinen Entwicklungen, auf all seinen Wegen.“ (Max Frisch, Tagebuch 1946-1949; Frankfurt 1970). Damit ist nicht gemeint, dass man darauf verzichten soll, zu sein, was man ist, sondern grade das dem Anderen großzügig zu schenken, es ihm zur Verfügung zu stellen, um mit der Zeit etwas zu schaffen, das wirklich „unseres“ ist.

Persönliche Besserung hilft der Ehe

In dem Maß, in dem Mann und Frau dahin gelangen, eine neue Lebenseinheit zu bilden, wächst auch das Bedürfnis, einerseits die eigene Innerlichkeit zu bewahren, andererseits aber den Egoismus, die Herrschsucht und die Trägheit des Herzens zu bekämpfen, damit das Böse nicht auf den Partner übergreift, ihn ansteckt oder verdirbt. Wenn diese Bereitschaft zur persönlichen Besserung da ist, wird es normalerweise möglich sein, auch das Eheleben beständig zu verbessern. Für eine glückliche Ehe ist also nicht in erster Linie wichtig, was zu tun ist, sondern wie man sein soll. Und der entsprechende Ausgangspunkt dafür ist die Bereitschaft, sich vom Partner „besiegen“ zu lassen, und zwar aus Liebe, in dem Wissen, dass Güte wiederum Güte hervorruft und Hingabe ihrerseits Hingabe weckt.

Eine Beziehung, in der nur einer sich schenkt oder nur einer empfängt, ist nicht ausgewogen, und im Grunde kann man gar nicht von Liebe sprechen. Die wahre Liebe lässt uns geben wie empfangen, sie lässt uns fühlen, dass wir jemanden brauchen und dass jemand uns braucht. Sie ist wie eine hin- und herfließende Strömung, eine ständige Bewegung des Gebens und Empfangens, die zwischen zwei Menschen entsteht, die sich auf Augenhöhe begegnen.

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Jutta Burggraf
Jutta Burggraf (* 1952 in Hildesheim; † 5. November 2010 in Pamplona) war eine deutsche Theologin. Burggraf erhielt 1996 einen Ruf auf die Professur für Ekklesiologie, insbesondere für Theologie der Schöpfung, ökumenische Theologie und feministische Theologie an der Universität Navarra. Burggraf war auf der 7. Ordentlichen Bischofssynode, die vom 1. bis 30. Oktober 1987 in Rom stattfand, als Expertin geladen und hat an der Vorbereitung des Apostolischen Schreibens Christifideles laici zur „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ von Papst Johannes Paul II. mitgewirkt. Sie war seit 1996 korrespondierendes Mitglied der Pontificia Accademia Mariana Internazionale (PAMI). --- „Sie war zeitlebens eine Kämpfernatur; sie war verantwortungsbewusst, arbeitsam, zäh. Sie liebte das einfache Leben, freute sich an der Freizeit und hatte einen Sinn für alles Schöne. Sie war ihren Freundinnen eine echte Freundin.“ So hat Prälat Rafael Salvador, der Vikar der Delegation des Opus Dei in Pamplona, Spanien, Jutta Burggraf charakterisiert, die am 5. November nach schwerer, mit Gottvertrauen getragener Krankheit von uns gegangen ist.