Immer deutlicher werden die fatalen Folgen einer vaterlosen Gesellschaft sichtbar. Das bietet aber auch die Chance, die wahre Aufgabe des Vaters wieder zu erkennen und schätzen zu lernen.

Die Fragestellung

Nicht nur in Amerika, auch in Europa ist die Vaterlosigkeit so vieler Kinder eines der ganz großen sozialen Probleme des Landes (1). Die Zahl der vaterlosen Familien ist nicht nur dramatisch gestiegen, sondern man hält den Vater und seinen spezifischen Beitrag für überflüssig. Einflußreiche Kreise propagieren hingegen ein neues Vaterbild: Der Mann soll ein eher geschlechtsneutrales Verhalten lernen. Er soll, pointiert in der Logik der Genderideologie gesagt, eine zweite, nur biologisch gesehen männliche Mutter sein. Gewünscht wird eine „androgyne Vaterschaft ohne Männlichkeit“, bei der Mann und Frau das Kind gemeinsam „bemuttern“ (2).
Vaterlosigkeit heißt Defizit an erlebter Väterlichkeit und hat schlimme Folgen:

  • Das Fehlen der Väter führt zum Ansteigen von Gewalt bei männlichen Jugendlichen. Das bestätigt keine geringere als Anna Freud mit ihrer Beobachtung: Ein Grund für die Kriminalität von Jugendlichen in Kriegs- und Nachkriegszeiten ist die Abwesenheit der Väter (3).
  • „Eine psychosomatisch-epidemiologische Langzeitstudie an der Mannheimer Normalbevölkerung, in der auch der Langzeitverlauf psychischer und psychosomatischer Erkrankungen untersucht wurde, erbrachte als wesentliches Ergebnis, daß die „Kinder des Krieges“ (die Geburtsjahrgänge zwischen 1935 und 1945), denen in den ersten sechs Lebensjahren der Kontakt zum Vater fehlte, noch über 50 Jahre später ein deutlich höheres Risiko für psychische Störungen aufwiesen als die Kriegskinder derselben Jahrgänge, die einen konstanten Kontakt zum Vater hatten.“ Und: „In einer aktuellen schwedischen Untersuchung an einer Stichprobe von über einer Million Kindern wurde – auch unabhängig vom Sozialstatus der Eltern – bei Kindern aus Einelternfamilien ein mehrfach erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, Suizidalität, Alkohol- und Drogenkonsum sowie bei Jungen auch eine erhöhte Sterblichkeit gefunden.“ (4)
  • In die gleiche Richtung weist eine andere Untersuchung: Jugendliche aus vaterlosen Familien stellen 63 Prozent der Selbstmörder, 85 Prozent der Kriminellen, 75 Prozent der Drogenabhängigen, 71 Prozent der Teenagerschwangerschaften. (5)
  • Die fehlenden Väter bewirken, daß Frauen keinen Mut haben, mehr Kindern das Leben zu schenken – und das wiederum führt zu jenem demographischen Defizit, das uns unmittelbar droht.
  • Fachleute sagen: „Homosexuell empfindende Männer etwa sind in ihren frühen männlichen Beziehungen (meist zum Vater) verletzt worden. Sie tragen dieses tiefe Gefühl in sich, daß da eine Kluft ist zwischen ihnen und dem Vater, daß sie zur Männergemeinschaft nicht dazugehören. Dieses tiefe Verlangen nach Zugehörigkeit, nach emotionaler Verbundenheit mit der Männlichkeit und nach Anschluß wird erotisiert und sexualisiert.“ (6) Eine Wiederentdeckung der Väterlichkeit könnte sich als Prävention von so mancher homosexuellen Biographie erweisen.
  • Vaterlosigkeit macht anfällig für Führer und damit verführbar. Vielleicht war die Vaterlosigkeit nach dem 1. Weltkrieg ein Mitgrund für die Erfolge des „Führers“.

„Nach der Natur leben“

Angesichts dieser Befunde ist es dringend nötig, den Vater neu zu entdecken und seine Bedeutung anzuerkennen, sogar wenn jemand das „Warum“ der Wichtigkeit des Vaters noch nicht sofort versteht. Dann bedarf es jener Vernünftigkeit, die uns heute in Bezug auf Tiere selbstverständlich geworden ist: Wir tun alles, um Tiere artgerecht zu behandeln und zu halten. Auch wenn wir Zusammenhänge noch nicht verstehen, nehmen wir eine verborgene Vernunft in den Tieren und ihren Instinkten an und bestimmen von daher unser Verhalten ihnen gegenüber: in der von der Erfahrung bestätigten Annahme, daß sich die Tiere wohler fühlen und gesünder leben, wenn wir sie „artgerecht“ halten, als wenn wir auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht nehmen.

Warum denken wir nicht in der gleichen Logik über die Menschen und ihre Bedürfnisse nach? Wir stünden damit in der großen Tradition eines Aristoteles und Thomas von Aquin, deren Ehrfurcht vor dem Seienden sich in dem Axiom „secundum naturam vivere“ („nach der Natur leben“) spiegelt – sinngemäß identisch mit dem modernen Begriff des „artgerechten“ Handelns.

Was ist der Beitrag der Religion, genauer der jüdisch-christlichen Religion zur Frage nach dem Vater? Die katholische Kirche sieht ihren Beitrag wesentlich darin, den Menschen das richtige, wahrheitsgemäße Menschenbild zu vermitteln, in dem natürlich der Vater enthalten ist. Sie entnimmt dieses Bild der Offenbarung, nicht irgendeiner Theorie. Ihre Antwort auf die moderne Fragestellung der Genderideologie und des Feminismus ist eine doppelte:

Als Mann und Frau schuf er sie

Wer ist der Mensch? Die Bibel erzählt den für alle, für Gläubige und Ungläubige, geheimnisvollen Anfang der Welt in gewaltigen, einprägsamen Bildern. Im Mittelpunkt steht dabei die Erschaffung des Menschen. Dabei heißt es: „Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich… Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde…“ Das heißt: Von Anfang an konzipierte und wollte Gott den Menschen als Mann und Frau. Gerade in dieser Verfaßtheit sind sie „Ebenbild“ Gottes.

Damit ist nicht nur bestimmten alten Mythen, die die Geschlechtlichkeit auf einen Sündenfall und eine Bestrafung durch die Götter zurückführten, sondern vor allem der feministischen „Gleichheitsideologie“ eine klare Absage erteilt: Der Mensch existiert nicht als geschlechtsneutrales Wesen, das sich seine „Rolle“ selbst wählen müßte, sondern von Anfang an als Mann und Frau – und Gott sah, daß es so sehr gut ist. Die Idee, abgesehen von seiner biologischen Ausstattung könne der Mensch sein „Gender“ selbst bestimmen, ist eine fatale, folgenschwere Illusion. Den Menschen in dieses ideologische Prokrustes-Bett spannen zu wollen, führt notwendig zu schwerem Leid.

Im zweiten Kapitel der Genesis wird das Thema Mensch als Mann und Frau vertieft: „Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ Zunächst führt Gott dem Menschen die Tiere zu, aber „eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.“ Daraufhin ließ Gott einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, nahm eine seiner Rippen und baute aus der Rippe eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

Der Text fährt fort: „Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen.“ Die Ehe ist die logische Folge dieses Schöpfungsaktes: „Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.“

Fortsetzung folgt


Anmerkungen

(1) Blankenhorn D., Fatherless America, New York 1996.

(2) Blankenhorn D.; Fatherless America. Confronting Our Most Urging Social Problem. NY 1996, 117. – A. Greely: Männer sollten „become more like women“. Oder D. Ehrensaft: „Can a man and a woman mother together?“ Man spricht von „Co-ed mothering“.

(3) Freud, Anna, Infants Without Families. The Case For And Against Residential Nurseries, NY 144, 102-3. Vgl. Blankenhorn, Fatherless America, 29.

(4) Franz M., in: „Psychologie heute“, 3/2004, S. 20ff.

(5) Idea 28/04,2.

(6) Ch. Vonholdt.