(Foto: Neue Visionen)

Filmische Qualität:   4 / 5
Regie:Bernd Böhlich
Darsteller:Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober, Stefan Kurt, Barbara Schnitzler, Karoline Eichhorn, Carlotta von Falkenhayn, Swetlana Schönfeld, Peter Kurth, Jürgen Tarrach
Land, Jahr:Deutschland 2019
Laufzeit:108 Minuten
Genre:
Publikum:ab 12 Jahren
Einschränkungen:
im Kino:9/2019
Auf DVD:3/2020

Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) darf nach mehr als zehn Jahren Gulag zusammen mit ihrer zehnjährigen, schwerkranken Tochter Lydia (Carlotta von Falkenhayn) zurück nach Deutschland. Zusammen mit den Haftgenossinnen Irma Seibert (Karoline Eichhorn) und Susanne Schumann (Barbara Schnitzler) wird sie in Freudenberg, dem späteren Eisenhüttenstadt, freundlich empfangen.

Lydia wird im Krankenhaus vom freundlichen Arzt Konrad Zeidler (Robert Stadlober) endlich fachmännisch behandelt. Antonia kann endlich am Aufbau einer neuen deutschen Gesellschaft im Sinne des Kommunismus mitarbeiten, an den sie nach wie vor glaubt. Dabei wird sie von Konrad unterstützt, in den sie sich verliebt. Das Ganze hat allerdings einen „Haken“: Die drei Frauen dürfen nicht über die Vergangenheit reden. 

Über die ersten Jahre der DDR, in denen das Zusammenbrechen des Staates noch nicht offensichtlich war, sondern sich viele Menschen „der Zukunft zuwandten“, um mit viel Idealismus etwas Neues in der deutschen Geschichte aufzubauen, wurden bislang wenige Filme gedreht.

Autor und Regisseur Bernd Böhlich stellt in den Mittelpunkt die Frage, wie bereits zu Beginn der DDR Menschen damit umgehen, dass ihr Glaube an die Unfehlbarkeit ihres hehren Ideals erschüttert, und damit auch die Loyalität für die gemeinsame Sache in Frage gestellt wird. Damit handelt „Und der Zukunft zugewandt“ davon, wie ein ganzes Regime auf Lügen aufgebaut wurde.

Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Bernd Böhlich sowie mit Hauptdarstellerin Alexandra Maria Lara 

Herr Böhlich: Über die 1980er Jahre gibt es inzwischen eine ganze Reihe Filme und Serien. Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, einen Film über die Anfänge der DDR zu drehen?

Bernd Böhlich: Durch die Schauspielerin Swetlana Schönfeld, die im Film Antonia Bergers Mutter Waltraut Kessler spielt. Swetlana Schönfeld ist 1951 in einem sowjetischen Gulag in Kolyma geboren. Das hat sie mir in den späten achtziger Jahren erzählt. Ich habe eine ostdeutsche Biografie und in Babelsberg studiert, aber das Thema „Gulag, unschuldig Verhaftete, usw.“ war mir völlig neu. Sie erzählte, ihre Mutter treffe sich einmal im Monat mit anderen Frauen. „Bevor sie anfangen zu reden, machen sie das Radio an.“ Da wurde mir erstmals klar, was für ein Trauma das für die Frauen bedeutet.

Frau Lara: Sie haben sehr früh zugesagt, die Rolle der Antonia Berger zu übernehmen. Wie kam es dazu?

Alexandra Maria Lara: Als ich das Buch las, dachte ich: „Ich habe einen persönlichen Bezug zu dem, was da steht.“ Das hat natürlich auch mit der Geschichte meiner Eltern, mit deren Flucht aus Rumänien 1983 zu tun. Deshalb glaube ich nochmal ein anderes Verständnis für diese Geschichte zu haben, als vielleicht jemand, der noch nie mit dem Thema in Berührung gekommen ist.

Was für Parallelen sehen Sie außer der Fluchtgeschichte?

Alexandra Maria Lara: Man bekommt ein gutes Verständnis für alle, auch für eine solche Figur wie Leo Silberstein, den Stefan Kurt als eleganten, eloquenten Mann grandios spielt. Silberstein ist nicht der platte Genosse. Man versteht, was er ? den drei Frauen ? erklärt, warum sie in einer politisch so fragilen Situation nicht die Priorität haben können. Genauso versteht man die drei Frauen, die unschuldig inhaftiert wurden, die aber sehr unterschiedlich sind. Susanne Schuman setzt sich in den nächsten Zug nach Hamburg. Antonia Berger hat aber ein Kind. Sie hat ein anderes Überlebenskonstrukt. Nicht den Glauben daran zu verlieren, wofür sie sich ursprünglich gemeinsam eingesetzt haben, nämlich das Gute dieser Ideologie.

Wie haben Sie über diese Zeit recherchiert?

Bernd Böhlich: In der DDR gab es keine Literatur, nichts. „Archipel Gulag“ von Solschenizyn gab es nicht ? aus gutem Grund. Sonst hätte jemand wie ich, der nie in der Partei war, aber auch nicht gelitten hat, ganz andere Fragen gestellt: Wo kommt dieses Land her, was sind das für Biografien? Warum muss das alles verschwiegen werden? Ich glaube, dass das Ende nicht nur der DDR, sondern des gesamten Ostblocks nicht nur wirtschaftliche Gründe hat. Denn für mich ist der moralische Grund der wichtigste. Man will eine zukünftige Gesellschaft mit einem sehr hohen moralischen Anspruch, aber über die eigene Vergangenheit will man nicht reden. Das geht nicht.

Im Film heißt es sinngemäß „Das Volk ist nicht reif für die Wahrheit.“ Die Ausrede hat in der DDR immer gegolten …

Bernd Böhlich: Ja, sicher, immer. Wobei ich finde, dass dies immer eine Gefahr in der Politik ist, dass man das Volk für dumm verkauft … Dieser schreckliche Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“, oder „Die Leute verstehen das noch nicht, aber wir als politische Elite, wir wissen, dass man jetzt so und nicht anders entscheiden muss“. Die Verführung, so mit den Leuten zu reden, ist für die Politik immer groß. Das findet nicht nur in der DDR in den fünfziger Jahren statt. Das wird immer so sein, solange Politik sich davor drückt, unbequeme Wahrheiten zu sagen. 

Haben Sie sich gefragt, was hätte anders werden können, wenn man doch darüber hätte reden dürfen?

Alexandra Maria Lara: Ich glaube, der Mensch ist nicht dafür gemacht, etwas zu erleben und es nicht teilen zu dürfen. Wenn er es nicht teilen will, dann ist das etwas anderes, es ist seine freie Entscheidung. Aber der Mensch ist nicht dafür gemacht, einen so existentiellen Teil einfach auszublenden. Deswegen funktioniert das den Frauen auferlegte Schweigegelübde auch nicht. Deshalb gehen diese drei Frauen auch auf unterschiedliche Art kaputt daran. Sie sind davon geprägt, lebenslänglich. 

Bei vielen historischen Filmen hat der Zuschauer den Eindruck, dass er „verkleidete Schauspieler“ sieht. Wie haben Sie das Visuelle so gestaltet, dass sich dieser Anschein nicht einstellt?

Bernd Böhlich: Ich wollte keinen „historischen“ Film machen: fünfzig Komparsen, drei historische Autos, die ohne Sinn und Verstand durchs Bild gefahren werden … Das interessiert mich gar nicht. Was erzählt mir das eigentlich? Mein Vorbild war Fassbinder mit „Berlin, Alexanderplatz“. In einem Interview wurde er gefragt, wie er im geteilten Berlin den Film drehen wollte, da die meisten Schauplätze im Osten liegen. Er sagte: „Das interessiert mich nicht. Mich interessiert die Wirklichkeit der Menschen. Die erkennt man an den Fluchtpunkten, die sie schaffen“. Deshalb spielt dieser Film in Dachkammern, Kellergeschossen … „Berlin, Alexanderplatz“ ist grandios, weil er die Schicksale dieser Leute erzählt.