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Bild: Jeanne d’Arc bei ihrer Befragung durch den Kardinal von Winchester (Gemälde von Paul Delaroche, 1824)
Der wahrscheinlich größte und erfolgreichste Propaganda-Coup der Geschichte ist die Stilisierung der Inquisition zur geradezu sprichwörtlichen Form bigotter Unterdrückung und gnadenloser Verfolgung. Ein Fall von Fake News, der selbstverständlicher Teil unserer Alltagssprache geworden ist.
Propaganda-Krieg
Der amerikanische Historiker Rodney Stark hat die Entwicklung dieser monströsen Legende bis zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt. Demnach gehen die Schauergeschichten speziell über die Spanische Inquisition auf den Propaganda-Krieg der antispanischen Mächte im 16. Jh. zurück. Besonders durchschlagend wirkte das Pamphlet eines abtrünnigen Mönches (Pseudonym „Montanus“), dessen wüste Übertreibungen und wilde Erfindungen zur Quelle unzähliger Horror-Geschichten und bluttriefender Phantasmagorien wurden, von billigster Kolportage bis hin zum Werk eines Edgar Allen Poe. Die Verwendung der Inquisition als generelles antikatholisches Klischee ist wiederum den Aufklärern des 18. Jh. zu verdanken, nicht zuletzt Voltaire, der seinen Aufruf zur Vernichtung der katholischen Kirche auch damit begründete.
Aber was sind die Fakten?
„Inquisitio“ (lat.) heißt Untersuchung, und die Einführung eines geordneten Untersuchungsverfahrens stellte rechtsgeschichtlich einen Fortschritt dar, der ungerechte Anklagen erschwerte, grausamen Aberglauben wie die „Feuerprobe“ abschaffte und sogar die Folter zurückdrängte. Die Inquisition diente im 13. Jh. zunächst der Bekämpfung von aggressiven Sekten, die sich damals wie Lauffeuer in Europa verbreiteten. Das Mittel der Wahl war aber selten die Verurteilung zur Körperstrafen, die im Übrigen ausschließlich von der weltlichen Obrigkeit festzulegen und zu vollstrecken waren, keinesfalls aber von kirchlichen Institutionen. Das Verfahren zielte primär auf Buße und Umkehr, weil allein darin die kirchliche Zuständigkeit lag. Und das gilt auch für die immer besonders dämonisierte spanische Inquisition.
Im Gegensatz zur oft unberechenbaren und grausamen weltlichen Justiz war das kirchliche Inquisitionsverfahren geradezu milde und zeichnete sich – mit den Worten des Historikers Henry C. Lea gesagt, der als scharfer Kritiker der Katholischen Kirche bekannt war – durch „Weisheit und Verlässlichkeit“ aus. Es ist sogar überliefert, dass Angeklagte in Spanien ihren Taten noch Blasphemie hinzufügten, nur um sicher zu gehen, dass ihr Prozess vor einem Inquisitionsgericht verhandelt würde. Gelang ihnen das, dann waren sie sicher vor der maßlosen Gewalt weltlicher Gerichte und vor der verbreiteten Rechtsbeugung. Dass so eine gewagte Rechnung tatsächlich aufgehen konnte, zeigen die inzwischen von seriöser historischer Forschung ermittelten Zahlen: Demnach endeten von den 44.674 Fällen, die von der Spanischen Inquisition von 1540 bis 1700 verhandelt wurden, nicht einmal 1,8 Prozent mit der Verurteilung zu einer Körperstrafe.
Galileo Galilei
Kaum eine tendenziöse Darstellung der Inquisition kommt ohne Bezugnahme auf Galileo Galilei aus; er gilt als das paradigmatische Opfer der Inquisition schlechthin. Eigentlich eine schlechte Idee, wenn es denn darum gehen soll, die Bosheit des Inquisitionsverfahrens zu beweisen… Denn Galilei hat nicht einen Tag in „Inquisitionshaft“ verbracht, ihm wurde kein Haar gekrümmt, und der etwas kindische Ausspruch „und sie bewegt sich doch“ ist eine spätere Erfindung. Sein „Fall“ ist inzwischen im Detail aufgearbeitet und gänzlich entmythologisiert, ebenso wie die Geschichte der Inquisition insgesamt. Von dem Schreckgespenst düsterer Groschenromane, das uns so vertraut war, ist dabei fast nichts geblieben. Doch hat das die Beliebtheit der schwarzen Legende noch kaum verringert.
Die Artikelserie über „Schwarze Legenden“ ist erschienen in DIE TAGESPOST. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Exzellenter Journalismus aus katholischem Blickwinkel – frei Haus. Lassen Sie sich der einzigen überregionalen und unabhängigen Wochenzeitung überzeugen. Testen Sie uns mit einem Probeabo. Hier 3 Ausgaben kostenlos bestellen.