Zum neuen Schuljahr wechseln viele Schüler der vierten bis sechsten Klasse auf ein Gymnasium. Die Wahl ist oft nicht leicht gefallen: welches Fächerangebot entspricht meinem Kind am besten? Ist der Schulweg zumutbar? Ist Schulgeld zu zahlen?
Manches Kind wurde auch von der Schule seiner ersten Wahl gar nicht angenommen. Nur an wenigen Orten in Deutschland kann noch eine ganz besondere Wahl getroffen werden: die für eine Mädchenschule.
Wir geben Ausschnitte aus einem Artikel wieder, den Isa Vermehren (gest. 15.7. 2009), die damalige Direktorin des ehemaligen Mädchengymnasiums Sophie Barat in Hamburg 1980 in der Zeitschrift des Vereins katholischer Lehrerinnen veröffentlicht hat. Der Inhalt ist heute so aktuell wie vor 40 Jahren. Daher lohnt ein erneutes Lesen und eine Auseinandersetzung mit den Aussagen.
Zur Situation
Es gilt heutzutage als ausgemacht, dass die nach Geschlechtern getrennte Erziehung überholt sei; sie gehörte einem bestimmten geschichtlichen Zeitalter an, war ein letztes Relikt einer noch vom Mittelalter geprägten gesellschaftlichen Kultur, mit deren Restbeständen wir in den letzten zwanzig Jahren aufzuräumen versucht haben…
Dass in einer „modernen Ehe“ beide berufstätig sind, gilt heute als selbstverständlich, daraus ergab sich inzwischen allenthalben der fast unreflektiert vollzogene Übergang zur Koedukation, eine einfache Konsequenz angesichts der neuen Arbeitswelt, in der Männer und Frauen in gleicher Weise eingespannt sind und einander bald in allen beruflichen Sparten begegnen werden. Dass die Berufstätigkeit beider Eheleute sehr problematische Folgen hat für die Familie, zumal die Kinder, wird als bekannt vorausgesetzt.
Und bekannt sind auch die Argumente, mit denen diese Warnungen abgewehrt werden: der höhere Lebensstandard sichert allen Familienmitgliedern höhere Lebensqualität, gewisse wirtschaftliche Ziele müssen erreicht sein, um die Vorteile einer höheren sozialen Einstufung zu genießen, die Gegenwart wird der Zukunft geopfert…
Politischer Wille
Abgekürzt lautet der einleitende Gedanke: der politische Wille beherrscht unser Denken so, dass er die personale Existenz auszuhöhlen droht und verkümmern lässt. Was kann man tun, um diesen Prozess zum Stehen zu bringen?
Denn es lohnt sich nicht für den Menschen, sich die ganze Welt zu unterwerfen, wenn er selber darüber zum Roboter wird. Dass er das nicht wird, ist nicht zuerst eine Frage an die Politiker, sondern an die Menschen selbst, an jeden einzelnen, wer er sei und wie er diese Frage nach sich selbst als dieser Mann und diese Frau beantworten will.
Anthropologische Voraussetzungen
Damit wird einschlussweise festgestellt, dass Mann und Frau das eine, gemeinsame Menschsein dennoch auf zwei verschiedene Weisen verwirklichen: jeder in sich das volle Menschsein, und dennoch fähig und begabt, einander zu ergänzen, zu bereichern, zu steigern, und zwar so zentral, so die Personmitte treffend, dass beide Bezüge – die nach außen zu anderen Menschen, zur Arbeit, zum Werk, wie auch die nach innen, zum (anderen) Du, zu sich selbst, zu Gott – dadurch gestärkt und belebt werden.
Mann und Frau sind verschieden
Die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau betrifft die ganze Person – nicht nur die leibliche Konstitution, die Beschaffenheit der Organe, von Haut und Knochenbau; unterschiedlich ist auch ihre seelische Struktur, in der sich die Verschiedenartigkeit ihrer Beziehung zum Leben, zur ihnen anvertrauten Potenz, Leben zu zeugen, zu empfangen und weiterzugeben, spiegelt.
Der Same des Mannes, ausgeschüttet im Überfluss und in wenigen Augenblicken glückhafter Anspannung, gewinnt Gestalt nur durch die Kraft der Frau, in neunmonatiger Geduld den eigenen Gestaltwandel hinzunehmen, um einem Menschen das Leben zu schenken. Wenn in der Beziehung zum Vater des Kindes der Wille zur Treue fehlt, fehlt gewöhnlich auch schon das Fundament für die Geduld, die es braucht, um ein neues Leben in sich heranwachsen zu lassen.
Von hier ist es kein weiter Schritt mehr zur „Lösung“ des Problems auf Grund sozialer Indikation, etwa in dem Sinne: es kann der Mutter nicht zugemutet werden, neun Monate aus dem beruflichen Konkurrenzkampf auszuscheiden, da zu viele wirtschaftliche Verpflichtungen an ihr hängen. Von dem her, was hier „politischer Wille“ genannt wurde, wäre das nur konsequent gedacht.
Die besondere Seinsweise der Frau
Die Unmittelbarkeit der Lebensberührung und Lebensbeziehung, wie sie der Frau möglich ist, bestimmt ihren Grundansatz im Umgang mit Menschen, Dingen, Tieren; ihr Realitätssinn ist weniger theoretisch als der von Männern, sie verlässt sich mehr auf das, was sie sieht, als auf das, was sie denkt, der induktive Beweisgang liegt ihr näher als der deduktive.
Personsein ist nicht eine psychische, sondern eine metaphysische Qualität, deren Reichtum erst voll zur Geltung kommt, wenn man das eigene Dasein um seines Ursprungs willen bejaht samt der damit vorgegebenen Zielsetzung.
Dieses Ja gründet im Vertrauen und begründet Vertrauen, ohne das wir es zu keiner Geduld, zu keinem wachsen lassen, gewähren lassen, geschehen lassen jener Kräfte bringen, die eben nicht aus unserem Machen und Schaffen stammen, unserem politischen Zweckdenken und Machtwollen, sondern die uns vorgegeben sind – in uns selbst, um uns selbst herum, durch uns selbst hindurch.
Der Frau werden diese Kräfte zum Erlebnis, wenn sie ein Kind erwartet; keine biologische Aufklärung kann den Geheimnischarakter dieses Vorgangs auslöschen, sie sollte es auch nicht versuchen… Darin liegt die besondere Fähigkeit und Begabung der Frau, dieses in ihrem Organismus vorgegebene Wissen um die Qualität des Lebens Maß gebend sein zu lassen für ihre Weise, mit der Wirklichkeit umzugehen.
Die Mädchenschule als Ort der Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht
Die Mädchenschule bietet den Vorzug, dass sie ihre Schülerinnen über Jahre mit ihrer eigenen Art konfrontiert, so dass sie sich in ihr auskennen und darum auch über sich selbst einigermaßen Bescheid wissen. Sie bleiben über Jahre sich selbst als Mädchen und in ihrer Beziehung zu anderen Mädchen vorrangig wichtig, auch wenn sich dieses Interesse sicher nur während der Schulvormittage entfalten kann und sich auch nie unabhängig von der schulischen Leistung entwickelt.
Aber gerade diese doppelte Bindung: an das Studium der eigenen geschlechtlichen Art und an die sachliche Leistung sichert der Mädchenschule ihre pädagogische Effizienz. Indem die Mädchen sich hier selbst genügen müssen, entwickeln sie alles, was in ihnen ist.
Hier dürfen Mädchen alles
Nach einer Aufführung eines Theaterstücks mit neun Männer- und zwei Frauenrollen durch die elfte Klasse einer reinen Mädchenschule bemerkte ein Mädchen von einer gemischten Schule etwas neidvoll: „ Hier dürfen die Mädchen alles!“ Und damit meinte sie, nicht nur die Männerrollen spielen, auch das Bühnenbild machen, die Beleuchtung, die Technik, eben alles.
Ich fand, dass diese Bemerkung ein modernes Argument für die Mädchenschule ist! Ins Soziologendeutsch übersetzt, würde es etwa so lauten: eine reine Mädchenschule eröffnet den Schülerinnen unauffällig die Möglichkeit, männliche Rollen und Funktionen zu übernehmen, so dass ihre „versteckten“ maskulinen Eigenschaften entwickelt und in die Gesamtpersönlichkeit integriert werden können. Einer falschen Abhängigkeit oder Anlehnungsbedürftigkeit an männliche Überlegenheit in Fragen der handwerklichen Praxis wird rechtzeitig entgegengewirkt, weil die Mädchen sich jederzeit auch in dieser Beziehung als Partnerinnen der Männer erweisen können.
Diese Argumentation bleibt sehr im gesellschaftskritischen Ansatz stecken, aber sie wird ernst genommen. Ich meine, es gibt noch bessere für die Mädchenerziehung, und möchte einige im Folgenden kurz nennen.
(wird fortgesetzt)