Bereit sein, Mängel und Fehler einzugestehen. 

Das ist ein Zeichen von Großherzigkeit.

Es klingt vielleicht auf den ersten Blick nicht besonders einladend, zuzugeben, dass man selbst Fehler gemacht hat oder sogar (schon lange) Mängel hat. Wir neigen eher dazu, Fehler auf andere zu schieben und unser blinder Fleck blendet eigene Mängel aus. Fehler und Mängel sind für viele ein Zeichen von Schwäche. Und die wollen wir in einem Streit ja nicht zeigen! Doch gerade dieses Verhalten ist in einer Streitsituation nicht hilfreich.

Mit jemandem zu streiten, der nie eigene Fehler zugibt, ist auf Dauer ermüdend und sinnlos. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass immer nur andere Fehler machen, also ist es eine Form von Unwahrheit, zu behaupten, dass man selbst keine Fehler macht oder hat. Wo aber die Wahrheit in der Kommunikation fehlt, wird das Gespräch oder die Diskussion letztlich überflüssig.

Es braucht Einsicht in und Reflexion über eigenes Verhalten, um gut streiten zu können, denn das, was ich selbst erkannt (und angenommen) habe, ist weniger beängstigend und muss daher weniger abgewehrt werden. Was heißt das?

Argumentationslinien

Wenn man einmal Zeuge eines längeren Streits war, in den man selbst nicht involviert war, kann man gut erkennen, wie die Argumentationslinien der beiden Parteien verlaufen. In der Regel gibt es ein Geschehen, das von den beiden Parteien unterschiedlich gesehen und bewertet wird, z. B. die wiederholte Unordnung in einem Haushalt. Auf der einen Seite gibt es (stark vereinfacht) die Vorwürfe:

  • Du hast deine Sachen irgendwo liegen lassen. (Tatsache)
  • Du bist unordentlich/chaotisch. (Verallgemeinerung)
  • Dich schert es nicht, dass andere das stört! Du bist so ignorant! (Verlagerung auf eine andere – hier die personale – Ebene)
  • Wenn du mich lieben würdest, würdest du mehr auf Ordnung in unserem Haus achten! (Beziehungsebene)

So oder ähnlich kann sich fast jeder Konflikt aufbauen und aufbauschen.

Was bleibt zur Verteidigung? In der Regel kommen Antworten wie:

  • Ich hatte gerade keine Zeit. Ich war in Eile. (Begründung für die eine konkrete Situation)
  • Das mache ich doch sonst nicht. (Ausnahmefall, Verkleinerung)
  • Du übertreibst mal wieder. (Abwehr)
  • Du lässt deine Sachen ja auch immer irgendwo liegen. (Angriff)

Eigene Fehler zugeben

Diese Art der Verteidigung trägt dazu bei, dass der Streit weitergeht, wenn es eben kein Einzelfall war, weil die erste Begründung dann nicht das eigentliche Problem trifft, nämlich die Häufung der Vorfälle. Der zweite Satz wäre dann auch glatt gelogen, denn es kommt wohl häufiger vor, sonst würde sich der Partner kaum so aufregen. Die beiden Gegenvorwürfe könnten dem Streit eine ganz neue Richtung geben und dazu führen, dass sich beide Parteien noch mehr Fehlverhalten vorwerfen und eine Liste von Dingen entsteht, die beide falsch machen.

Der eigentliche Konflikt wäre nicht gelöst.

Warum reagieren wir aber oft so wie in dem Beispiel oben? 

Wir alle haben Seiten oder Eigenschaften/Mängel, die wir nicht so gerne zeigen bzw. selbst nicht wahrhaben wollen: z. B. Nachlässigkeit, Unordnung, Ungeduld, Stolz, Machtstreben, Herrschsucht, Rechthaberei etc. In der Regel versuchen wir, uns wie eine Hochglanzbroschüre zu präsentieren, sehr gut bis perfekt, pünktlich, ordentlich oder welche Eigenschaften auch immer uns wichtig und in unserer Gesellschaft anerkannt und geschätzt sind.

Wenn wir dem nicht entsprechen, bzw. unserem Selbstbild nicht entsprechen, muss es einen triftigen Grund geben, der aber nicht bei uns, sondern in unserer Umgebung liegt: an anderen, der Gesellschaft, dem Zeitdruck, dem Zeitgeist usw. Wir stehlen uns damit aus der Verantwortung für unser Handeln und der Notwendigkeit an uns zu arbeiten. Schwierig wird es aber dann, wenn andere unsere Fehler erkannt und angesprochen haben. Wir müssen uns rechtfertigen, abstreiten, verleugnen, den anderen angreifen. Nichts ist so schmerzhaft wie die Wahrheit.

Eigene Fehler kennen

Wissen wir aber um unsere Fehler, arbeiten wir an ihnen und haben sie somit zuvor angenommen, dann fällt es uns immer noch nicht leicht, Kritik anzunehmen (und hier kommt es auch immer darauf an, WIE Kritik geäußert wird; dazu an anderer Stelle), aber es wird möglich, zu sich selbst zu stehen und zuzugeben, dass wir einen Fehler gemacht haben. Und dann ist es etwas ganz Anderes, wenn wir in einem Streit oder Konflikt sagen: „Du hast Recht, ich habe schon wieder meine Tasche achtlos in den Weg gelegt. Bitte verzeih mir.“ 

Jeder Dialog braucht aber auf beiden Seiten eine grundsätzlich wohlwollende Haltung. Es würde eine Farce werden, wenn einer der beiden Streitpartner immer alle Fehler zugeben würde, der andere jedoch nicht bereit wäre, eine Entschuldigung anzunehmen oder Besserungsversuche wahrzunehmen (die dann aber auch kommen müssen).

Wie kann man lernen, mit eigenen Fehlern umzugehen?

  1. Wichtig ist vor allem, sich nicht zu viel vorzunehmen. Fangen Sie mit einem kleinen Fehler an, bei dem es vielleicht nicht so weh tut, ihn anzuschauen und zu versuchen ihn anzunehmen. Überlegen Sie, mit welchem Fehler Sie anfangen wollen.
  2. Überlegen Sie weiter, wann dieser Fehler auftritt. Gibt es Auslöser/Trigger/besondere Umstände? Sie können dann in Zukunft schneller erkennen, wann dieses Fehlverhalten wieder auftreten könnte, weil Sie die auslösenden Parameter erkannt haben!
  3. Wenn Sie den Fehler identifiziert haben, ist es oft hilfreich, ihn innerlich zu „begrüßen“, d. h. Sie sagen zu sich selbst „Ich weiß, dass … (z. B. es mir schwerfällt, Ordnung zu halten.) Liebe … (Unordnung), du darfst jetzt Pause/Urlaub machen.“ Es klingt vielleicht lustig, aber die Annahme eines Fehlers, den wir wohlwollend „in Urlaub“ schicken wollen, macht es einfacher auf erneute Unordnung zu reagieren. Es darf ja etwas Humor dabei sein! Wenn wir zu verbissen an der Beseitigung eines Fehlers arbeiten, kann sich auch Frust einstellen, wenn es nicht sofort klappt.
  4. Wenn es mal nicht auf Anhieb funktioniert: vor allem NICHT ÄRGERN! Begrüßen Sie Ihren „alten Bekannten… (Unordnung)“ und schicken ihn wieder in Urlaub.
  5. Rechnen Sie nicht damit, dass Ihre Bemühungen sofort von Ihrem Partner gesehen werden. Auch wenn Sie es dem Partner zuliebe tun, so arbeiten Sie doch an Ihrer EIGENEN Persönlichkeit. Das sollte Ihnen die Anstrengung wert sein.
  6. Dokumentieren Sie Ihre Erfolge. Manchmal ist es hilfreich eine Art Erfolgstagebuch zu führen, um sich in schwierigeren Zeiten besser daran zu erinnern, was Sie schon alles geschafft haben.