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Was soll das heißen…?
In manchen Teilen Deutschlands ist es ein Feiertag. Doch selbst in intakten katholischen Gemeinden fällt es oft schwer, seine Bedeutung richtig zu erklären: Es fängt schon mit dem seltsamen Namen Fronleichnam an – das weckt selbst bei den Gebildeten unter den Skeptikern des katholischen Glaubens ein Kopfschütteln: Klingt irgendwie schlimm, nach Unterdrückung („Fron“) und „Leiche“…Nun ist es nicht allzu schwer, in einer halben Minute diese groteske Assoziation mit einem Hinweis auf die Sprachgeschichte auszuräumen[1] und zu erklären, was das Wort wirklich heißt, nämlich einfach „Leib des Herrn“, bzw. auf Lateinisch – und daher auch in etlichen anderen Sprachen – „Corpus Christi“ (der Leib Christi). Aber trotzdem bleibt auch bei wohlwollenden Betrachtern meist ein gewisses Befremden zurück. Denn was soll das heißen – ein „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“?
Überholte Riten?
Selbst viele Theologen unserer Zeit übersehen oft das biblische Fundament des Festes und behaupten, es sei als Erfindung des Hochmittelalters, der Scholastik, nur ein Ausdruck zeitbedingter, nun aber überholter Spiritualität. Insofern könne es – samt seinem sonderbaren Namen – eigentlich verschwinden, ohne dass es etwas schade… Doch das würde dem Inhalt und der Bedeutung des Corpus Christi-Festes in keiner Weise gerecht, denn hier geht es nicht um eine mittelalterliche Schwärmerei und überwundene Bildsprache, sondern um den Kern des katholischen Glaubens schlechthin, die Eucharistie[2].
Biblische Grundlagen
Die tiefe biblische Fundierung wurde mir bei einer wunderbaren und hochgelehrten Predigt[3] wieder bewusst, die ich am diesjährigen Fronleichnamstag gehört habe. Es gibt in der Tat eine faszinierende Entwicklungslinie vom Alten Testament[4] über die neutestamentliche Begründung[5] bis zur Feier in der Gegenwart. Und plötzlich weitet sich der Blick, und so ganz nebenbei begreifen wir auch, wie das Alte Testament zum Christentum gehört, weil darin in verhüllter Weise vorgebildet und angekündigt ist, was erst in Christus Realität wurde.
Kein Splatter Effect
Aber, so wird man einwenden, was hilft das schon? Was nützt zur Erklärung die Bezugnahme auf den Opferritus des alten Israel, wenn doch gerade das Reden von Blut und Opfer so abschreckend wirkt? Man muss nicht Veganer sein, um vor so viel „Splatter-Effect“[6] zurückzuschrecken.
Da hilft es vielleicht, einen Blick in ein Buch des Neuen Testaments zu werfen, das vielen unter uns längst ebenso so rätselhaft geworden ist, wie das Fronleichnamsfest. Gemeint ist die Offenbarung des Johannes. Dort kommt eine geheimnisvolle Vision vor, in der bestimmte Gläubige, Märtyrer in diesem Falle, ihre Kleider „im Blut des Lammes weiß gewaschen“[7] haben. Weiß gewaschen mit Blut… Ohne auf den Kontext im Einzelnen eingehen zu müssen, sehen wir daran sofort: Es geht nicht um das Hantieren mit Opferblut von toten Tieren, sondern um das Reinwaschen von Schuld, um Erlösung durch das Opfer Christi.
Lebenswirklichkeit, ganz nah…
Ich erinnere mich noch sehr gut an das Nachtgebet, das meine Eltern mit mir beteten, als ich ein kleiner Junge war; es endete mit den Worten „…Deine Gnad und Christi Blut machen allen Schaden gut“. Das ist es, worum es Johannes geht, das ist es, worum sich das Fronleichnams- bzw. Corpus Christi-Fest dreht: Um Vergebung, um Heilung. Es geht um den Gott, der Mensch, „Fleisch und Blut“ geworden ist.
Wäre Jesus Christus nur ein netter Wanderprediger gewesen, der irgendwie irrtümlich unter die Räder kam, wäre die Eucharistie nur etwas Symbolisches, wie ein Festakt oder Feuerwerk, dann bliebe es bei blutleerer Symbolik, die nichts Tröstendes hat, noch Rettendes. Das Schöne am Fronleichnamsfest ist dagegen gerade seine materiale Eindeutigkeit und Direktheit: Gott lässt sich von den Gläubigen durch ihre Straßen und auf die Felder tragen, seine Gegenwart ist sichtbar und greifbar; ganz unblutig, aber ganz real. Es gibt eigentlich nichts Tröstlicheres in unserer manchmal düsteren Realität, als eine Fronleichnamsprozession.
[1]Von mittelhochdeutsch „vrône lîcham”, “des Herrn Leib”.
[2]Vgl. dazu: Josef Ratzinger: Eucharistie – Mitte der Kirche. München 1978.
[3]Bf. Robert Barron: https://www.wordonfire.org/resources/homily/the-lifeblood-of-god/31367/
[4]Ex. 24, 1-18. Der Bundesschluss wird mit Opferblut besiegelt.
[5]Vgl. Lk. 22, 14 ff. Einsetzung der Eucharistie.
[6]„Da nahm Moses das Blut, besprengte damit das Volk und sagte…“. Ex. 24, 8.
[7]Off. 7, 14: „…Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“