Die Einschätzung unserer europäischen Nachbarn hat dazu geführt, dass das Wort „Angst“ als typisch deutsch in ihren Sprachschatz Eingang gefunden hat. Was ist genau darunter zu verstehen, woher kommt dieses Gefühl und was macht es mit den Menschen?

Beispiele aus neuester Zeit

Das neueste Beispiel des für Deutsche typischen Verhaltens hat kürzlich das Vergleichsportal Verivox in einer Befragung aufgedeckt:  Es erwägen „30 Prozent aller Haushalte den Kauf von elektrischen Heizungen wie Heizlüftern, Radiatoren oder Heizstrahlern. 10 Prozent der Befragten haben sich bereits ein solches Gerät angeschafft.“ Derzeit ist eine elektrische Beheizung der Wohnung mehr als doppelt so teuer als durch eine Gasheizung. Die Angst davor, im Winter könnte die Gaslieferung ganz gestoppt werden, führt aber zu diesem irrealen Verhalten.

Wir kennen viele andere Beispiele aus neuester Zeit: die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie vor drei Jahren sind uns noch gut in Erinnerung. Ähnliches Kaufverhalten ließ sich schon verschiedentlich feststellen, wenn ein Versorgungsengpass prognostiziert wurde (z.B. in der Ölkrise der 1970er Jahre oder in der Finanzkrise von 2007). 

Bargeldabhebungen in größerem Umfang, aus Angst vor nicht mehr funktionierenden Kartenautomaten sind ein weiteres Beispiel aus neuester Zeit.

Die japanische Tsunami-Katastrophe mit ca. 40.000 Toten und die Beschädigung des AKWs Fukushima (mit 5 Toten) hat dazu geführt, dass aufgrund der Angst vor einer Nuklear-Katastrophe der Ausstieg aus der Kernenergie politisch beschlossen wurde.

Der Umgang der Deutschen mit Covid und seinen Auswirkungen ist ebenfalls in einem stärkeren Maße angstbesetzt als in unseren Nachbarländern.

Verlust der Realität

 All diesen Verhaltensweisen ist eines gemeinsam: auf eine wirklich vorhandene oder auch nur in den Medien dramatisierte Gefahr wird mit einer Ängstlichkeit reagiert, die oft angesichts der realen Gefahr weit über das Ziel hinausschießt. Eine sachgerechte Überprüfung der Tatsachen findet nicht statt, ist auch meist nicht gewünscht, da sich sehr schnell das Angstgefühl der Menschen so sehr bemächtigt, dass dadurch Überreaktionen fernab der Wirklichkeit erzeugt werden.

Jede Wetterveränderung wird sogleich als Katastrophe empfunden und enthält Angstpotential, erst recht der Klimawandel. Die Reaktionen auf Covidgefährdungen und ihr dementsprechendes Verhalten sind bei vielen Menschen nur dadurch zu erklären, dass sie sich Szenarien ausmalen, die immer den „worst case“ als gegeben annehmen. Die Befürchtungen und das subjektive Empfinden werden zur Realität, gegen die Argumente dann meist machtlos sind.

Ein deutsches Phänomen?

Ob der über Kierkegaard in die philosophische Diskussion eingeführte und von Heidegger und Jaspers aufgegriffene Begriff „Angst“ hier ihren Ursprung hat, ist nicht klar nachzuweisen. Aber sicher haben die beiden Weltkriege und zugleich die religiöse Entwurzelung vieler Menschen in Deutschland zu einer Unsicherheit geführt, die in der Individualisierung der letzten Jahrzehnte ihren Höhepunkt fand. 

Auf dem Boden einer allgemeinen Unsicherheit lösen schon kleinere negative Ereignisse übertriebene Reaktionen aus. Eine weder in der Gesellschaft noch in Institutionen noch in den Kirchen geborgene Bevölkerung ist nicht gewappnet gegen wirkliche oder eingebildete Katastrophen. Die Medien leben von der Berichterstattung über Katastrophen und tun so ihr Übriges, den Menschen ihre „Unbehaustheit“ (Heidegger) spüren zu lassen. Das aber löst Angst aus. Und sie tritt vor allem nach Einschätzung unserer Nachbarn in Deutschland verstärkt auf.

Hilfen gegen die Angst

Da die Angst vor allem durch Vorstellungen und Befürchtungen ausgelöst wird, die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen, ist der erste Punkt ihrer Überwindung immer:

So weit wie irgend möglich, die Fakten überprüfen. Stimmt die Nachricht wirklich, welche seriösen und glaubwürdigen Quellen sprechen dafür, ist die Sache übertrieben dargestellt? Wie bei kleinen Kindern, denen man durch Licht-Anmachen beweist, dass gar kein „böser Geist“ im Zimmer ist, so sollten wir das Licht der Wahrheit zum Leuchten bringen. Dann werden wir uns meist in einer besseren Wirklichkeit wiederfinden, als es uns unsere Phantasie oder die anderer weismachen wollte.

Bei der Suche nach den Gründen für Ängste kann es sein, dass wir auf wichtige Frage stoßen: worauf verlassen wir uns eigentlich in unserem Leben, was gibt uns Sicherheit?  Hier können sich für das eigene Leben bedeutsame Fragen nach dem Sinn des eigenen Lebens auftun, dem nicht nur die Tausenden „Santiago-Pilger“ jedes Jahr auf dem „Camino“ nachspüren.