Günther, Menze, Berglar, Starck, Rutt
Nummer: S01
15,00 €
Von dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt wird erzählt, daß er auf die mahnende Frage eines vertrauten Freundes, ob er seine Tochter Alice, die ständig eine im Sitzungssaal tagende wichtige Versammlung durch ihr Eintreten und Herumlaufen störte, nicht besser erziehen könne, die Antwort gab: „Mein Lieber, entweder regiere ich die Vereinigten Staaten von Amerika oder ich erziehe meine Tochter. Beides zusammen ist unmöglich!“ Und auch Montaigne soll einmal geäußert haben: „Es bereitet nur wenig mehr Mühe, seine Familie zu regieren als ein ganzes Königreich!“
All jene, die mit der Aufgabe der Erziehung betraut sind, ob als Eltern oder als Lehrer, wissen um die Verantwortung, die darin liegt, junge Menschen zu befähigen, sich in ihrem Leben, in Familie, Beruf und Gesellschaft zu behaupten. Menschen zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit und zum rechten Gebrauch ihrer Freiheit zu führen, ist schon immer ein äußerst schwieriges Unterfangen gewesen. Nach unserer Verfassung ist diese Aufgabe zuvörderst den Eltern anvertraut, denen das Recht und die Pflicht auf die Erziehung ihrer Kinder zustehen, eine Pflicht, die nicht delegierbar, nicht ersetzbar ist durch andere Instanzen: diese können immer nur ergänzend, helfend, unterstützend in der Erziehung mitwirken. Das aber bedeutet für schulische Erziehung, daß sie in enger Zusammenarbeit und im Einvernehmen mit den Eltern geschehen muß.
Ein Grund für die heute keineswegs leichter zu tragende Erziehungsverantwortung und dafür, daß Eltern immer häufiger resignierend an die Schule ihre Aufgabe abtreten, liegt zum einen im komplexer gewordenen Schulalltag, den Eltern ohne Spezialausbildung oft schwerlich noch durchschauen. Viele Eltern haben den Anschluß an die Entwicklung verloren; die Schule hat sich in den letzten Jahren zu oft und zu schnell geändert, als daß sie für Eltern noch hinreichend transparent wäre. Der vertrackten Schulentwicklung entspricht auf der anderen Seite eine komplizierter gewordene Lebenswirklichkeit, die mit ihren vielfältigen Einflüssen miterzieht, ohne daß alle jeweils diagnostiziert und in ihrer ganzen Tragweite durchschaut werden könnten. Wo in der Erziehung früher elterliche Intuition ausreichte, muß heute ein Pädagogikhandbuch her, oder die Eltern müssen selbst wieder auf die Schulbank. Das alles hat mit zur elterlichen Verunsicherung beigetragen.
Zur äußeren Verunsicherung kommt aber – und das ist viel tiefgreifender – eine innere Unsicherheit. Mit dem äußeren Wandel der Lebensformen geht ein innerer Wandel der Werte einher. Das Bild vom neuen Menschen des 20. Jahrhunderts hat einen so tiefen Eindruck hinterlassen, daß ihm alles, was bisher galt, geopfert wurde: Werte, Ordnungen, Ziele, Überzeugungen. Die ältere Generation übte in vieler Hinsicht Anpassung und mußte sich dann, wie jede Generation vor ihr, von der Jugend die Frage gefallen lassen, welches ihre Werte, ihre Ziele, ihre Überzeugungen seien, nach denen zu leben sich lohne. Und sie hatte keine oder zu wenig Antworten bereit, die junge Menschen zufriedenstellen konnten. So sah sich eine junge Generation plötzlich allein gelassen in einem Werte-Vakuum, unzufrieden trotz eines unerhörten Mehr an materiellem Wohlstand. Aus dem materiellen Überangebot zur Gewissensberuhigung konnte kein Sinn für das vorhandene Vakuum entspringen. Die materielle Therapie schlug, Gott sei Dank, nicht an. Die Fragen blieben, und noch ist die Chance zu einer Rückbesinnung auf die eigentlichcn Antworten nicht vollends verspielt.
Der vorliegende Sammelband will kein weiteres Erziehungshandbuch sein, er will auf drängende Fragen, oft sehr komplexer Natur, nicht vorschnelle Antworten geben, sondern zum Nachdenken anregen und mögliche Richtungen und Wege weisen. Das Buch besteht aus einer Reihe von Vorträgen, die im Winterhalbjahr 1976/77 am Mädchengymnasium Jülich vom Träger dieser Schule, der Fördergemeinschaft für Schulen in freier Trägerschaft, veranstaltet wurden. Die Fördergemeinschaft ist eine private, von verantwortungsbewußten Bürgern und Christen ins Leben gerufene Initiative mit dem Ziel, in der schulischen Erziehungs- und Bildungsarbeit eine an den christlichen Werten orientierte und am katholischen Glauben ausgerichtete Persönlichkeitsbildung anzustreben. Vom christlichen Standpunkt ausgehend, sollen in der Erziehung wieder jene Werte gefördert werden, die in Artikel 7 der Landesverfassung von NW als „vornehmstes Ziel“ der Erziehung genannt sind: „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln.“
Aus gutem Grund beschäftigt sich der erste Beitrag dieses Sammelbandes mit der Familie; denn kaum eine Institution wird heute heftiger angegriffen. Die von H. Günther offengelegten Tendenzen des Zweiten Familienberichtes der Bundesregierung sprechen für sich. Zersetzungsbestrebungen der Familie treffen einen Staat an seiner empfindlichsten Stelle; denn ein Staat ist so gesund, wie die Familien, die ihn bilden. So kann dieser Beitrag als Appell an den Staat und an den Einzelnen verstanden werden, dem ersten mid wichtigsten Ort aller Erziehung, der Familie, jenen Schutz und jene Hilfe zukommen zu lassen, derer sie bedürfen.
Als eine solche Hilfe, als moralische und praktische Wiederaufrüstung von Männern und Frauen, die mit Erziehung betraut sind und denen daran gelegen sein muß, ein rechtes Autoritätsverständnis zurückzugewinnen, will P. Berglar seinen Beitrag verstanden wissen.
Die aus jahrelanger Erziehungserfahrung gewonnene Einsicht, daß Erziehung auf ein unwandelbares letztes Ziel gerichtet ist, führt Th. Rutt zum christlichen Menschenbild als dem allein möglichen Ausgangspunkt der Erziehung und der einzigen Alternative zum materialistischen Welt- und Menschenverständnis.
Dass auch der Staat sich diesem Ziel verantwortlich weiß, beweisen die Verfassungen der Bundesrepublik Deutschland und der Länder. Der die Erziehungsfreiheit begründende Aufsatz von Ch. Starckzeigt, daß staatliche Erziehungshoheit durch das im Grundgesetz verankerte Elternrecht eingegrenzt wird, was sich nicht zuletzt in der Verfassungsgarantie für ein freies Schulwesen äußert.
Mit dem Beitrag zum Numerus-clausus erörtert C. Menze ein praktisches Problem, das in den letzten Jahren mit bedrängender Härte in viele Berufsvorstellungen und -pläne eingegriffen hat, mit der nötigen Sachkenntnis.
Wenn dieser Band dazu beiträgt, die Erziehung wieder wie in unserer Verfassung auf das christliche Menschenbild auszurichten, hat er seinen Zweck erfüllt. Dann dürfte künftig auf die Frage: „Welche Bücher haben am meisten zu Ihrer Erziehung beigetragen?“ wohl seltener die Antwort kommen: „Das Kochbuch meiner Mutter und das Scheckbuch meines Vaters.“
Günther, Henning; geb. 1942. Studium der Philosophie, Erziehungswissenschaft und Literaturwissenschaft. Promotion 1970, Habilitation 1975, Wissenschaftlicher Rat in Köln. U. a. bekannt durch seine zahlreichen Veröffentlichungen gegen die neomarxistischen Tendenzen in der heutigen Pädagogik.
Menze, Clemens; geb. 1928. Studierte Germanistik, Klassische Philologie und Philosophie. 1963 Habilitation, seit 1967 o. Professor, 1977 Rektor der Universität Köln. U. a. Veröffentlichungen über den deutschen Humanismus und die systematische Pädagogik.
Berglar, Peter; geb. 1919. Nach dem Medizinstudium Tätigkeit als Facharzt bis 1966; dann Studium der Geschichte. Nach der Promotion habilitierte er sich 1971 für Mittlere und Neuere Geschichte in Köln. Bekannt durch seine zahlreichen Veröffentlichungen, vor allem Monographien.
Starck, Christian; geb. 1937. Studierte Jura, Geschichte und Philosophie in Kiel, Freiburg und Würzburg. Nach der Promotion am Bundesverfassungsgericht tätig, 1971 Habilitation, 1977 Rektor der Universität Göttingen. Vor allem Veröffentlichungen über verfassungsrechtliche Themen.
Rutt, Theodor; geb. 1911. 0. Professor an der PH Rheinland für Deutsche Sprache und Methodik des Deutschunterrichts. Mehrfach Akademiedirektor, Lehrbeauftragter der Universität Köln. Veröffentlichungen über Deutsche Sprache, Historische Didaktik und Pädagogik.