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Um zu verstehen, wie uns die Massenmedien formen, lohnt es sich noch immer, David Riesmans Klassiker „Die ängstliche Masse“ zu lesen. Mit prophetischem Scharfblick analysierte Riesman darin, wie sich in Konsumgesellschaften ein neuer Charaktertypus durchsetzt: An die Stelle der „Innenlenkung“ durch das eigene Gewissen tritt immer mehr die „Außenlenkung“ durch die Meinung der Anderen (1).
Wonach richten sich die Menschen?
Maßgeblich für das eigene Verhalten wird der Wunsch, akzeptiert und beliebt zu sein. In vielen Lebensbereichen frönt der „außengeleitete“ Typ einem „Lässigkeitskult“: Besonders was Religion und Politik betrifft, kommen Ironie und blasierte Ignoranz bei ihm „besser an“ als ernsthafte Überzeugungen (2).
Das Sexualleben nimmt der „Außengeleitete“ dafür umso ernster: „Die Unsicherheit, wie man dieses Spiel betreiben soll, ist zwar ungeheuerlich, aber die Frage, ob man mitspielen soll, unterliegt kaum einem Zweifel“, weil er in seinen Geschlechtsbeziehungen „Daseins- und Selbstbestätigung“ suche (3).
Als Riesman die außengeleitete Psyche analysierte, war das heutige Cybersex-Angebot noch unvorstellbar. Zudem war noch vieles tabuisiert, was heute als „gesellschaftsfähig“ gilt (4).
Trendsetter in der „Umwertung der Werte“ (F. Nietzsche) waren und sind die Medien, die mit ihren Unterhaltungsangeboten die Vorstellungen des „Normalen“ bis in die intimsten Lebensbereiche hinein verändern (5).
Der Einfluss der Medien auf die Jugend
Besonders empfänglich für die Einflüsse der Medien sind naturgemäß Jugendliche in der Pubertät. Die mediale Umkonditionierung zielt deshalb besonders auf Jugendliche:
Als angesagt gelten nicht Zurückhaltung und umsichtige (Ehe)Partnerwahl, sondern frühzeitige sexuelle Aktivität und erregende „Erlebnisse“. Wer bei diesem Spiel nicht mitmacht, erscheint als Sonderling, wenn nicht als zurückgebliebener Außenseiter.
In einem eigenartigen Kontrast zum romantischen Bild der Jugend als Zeit des sexuellen „Suchens“ steht das Bild einer „verwahrlosten“ Jugend – Stichwort: „Generation Porno“ (6).
Jugendliche zu finden, die in das eine oder andere Klischee passen, ist nicht allzu schwer. Sie bieten Journalisten einen dankbaren „Stoff“ für Reportagen über „die Jugend“, in denen sich Sehnsüchte und Ängste von Erwachsenen widerspiegeln.
Wie weit solche Storys von der Lebenswirklichkeit der meisten Jugendlichen entfernt sind, zeigen die Umfragedaten zu den Beziehungserfahrungen 14-17-jähriger Jugendlicher: Die Mehrheit, rund zwei Drittel, hat noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt (7).
Sexuell aktive Jugendliche sind in diesem Alter also noch in der Minderheit. Ihre „Erfahrungen“ machen diese Jugendlichen in der Regel mit einem „festen Partner“ anderen Geschlechts.
Die Neigung „feste“ Beziehungen einzugehen, steigt erwartungsgemäß mit dem Alter der Jugendlichen. Selbst von den 17-Jährigen gibt aber nur ein Drittel an, einen festen Partner zu haben. Der Mehrheit steht diese Lebenserfahrung noch bevor, sie sind damit nicht „spießig“ oder gar zurückgeblieben, sondern entwickeln sich schlicht „normal“.
Denn frühe sexuelle Beziehungen sind gerade kein Indikator für das Lebensglück Jugendlicher, wie dies eine oberflächliche „Sexualaufklärung“ oft suggeriert. Im Gegenteil sind sie oft der Versuch, ein mangelndes Selbstwertgefühl zu kompensieren (8).
Falsche mediale Glücksversprechen
Nicht zufällig gehen Kinder aus zerstrittenen Elternhäusern oft frühe Beziehungen ein – sie suchen die schmerzlich vermisste „Nestwärme“ (9). Damit überfordern sie häufig ihre Partner, Enttäuschung und Trennungen sind die Folge – ein Kreislauf, der sich nicht selten später fortsetzt. Immer wieder enttäuschen dann die wechselnden Beziehungen die Hoffnung auf „Daseins- und Selbstbestätigung“ und vermehren stattdessen das Unglück.
Junge Menschen über solche „Verblendungszusammenhänge“ aufzuklären und ihnen bessere Wege der Lebensführung aufzuzeigen, ist für Eltern und Erzieher schwierig. Dem Versuch, Jugendlichen einen inneren Kompass auch in Beziehungsfragen zu vermitteln, stellen sich die Massenmedien entgegen, die auf kurzfristige Effekte und Äußerlichkeit hin konditionieren. Wer wirklich erziehen will, muss sich trauen, gegen diese Windmühlen zu kämpfen, auch wenn er dafür als Don Quichotte verspottet wird.
Anmerkungen
(1) David Riesman: Die einsame Masse, Hamburg 1958, 14. Auflage 1972.(2) Diese Aussage ist bei Riesman so nicht zu finden, der Verfasser entwickelt hier dessen Argumentation fort.
(3) David Riesman: Die einsame Masse, a.a.O., S. 115 ff.
(4) Hierzu am Beispiel der USA in den 1960er Jahren: Daniel Bell: Die Zukunft der westlichen Welt, – Kultur und Technologie im Widerstreit, Frankfurt am Main 1976, S. 72.
(5) Vielen Medienmachern ist die soziale Akzeptanz „alternativer“ Lebensformen ein zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen, das sie mit ihrer Arbeit voranbringen wollen. Exemplarisch dafür ist das Thema gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, das in den Medien im Vergleich zu seiner sozialen Bedeutung weit überrepräsentiert ist. Zur (geringen) Verbreitung dieser Lebensform: Doch nur Randerscheinung? Was der Mikrozensus über gleichgeschlechtliche Partnerschaften sagt.
(6) Exemplarisch für eine an schockierenden Einzelfällen ansetzende „Generation Porno“-Berichterstattung: Je mehr Sex, desto besser.
(7) Eva-Verena Wendt/Sabine Walper: Sexualentwicklung und Partnerschaften Jugendlicher: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 14-17-Jährigen, S. 62-81, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, Heft 1/2013, S. 63. Die Autoren beziehen sich hier auf Daten der Beziehungs- und Familienstudie „pairfam“. Einschlägig waren in Sachen Jugendsexualität bisher Studien der „BRAVO“ und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die seit den 1980er Jahren erhoben wurden. In diesen Studien ist der Anteil der sexuell erfahrenen Jugendlichen deutlich höher als im pairfam-Panel. Wendt und Walper halten es für „denkbar, dass sich bei den Befragungen der BZgA und der Bravo-Studie eher sexuell erfahrene Jugendliche angesprochen gefühlt haben“. Ebd, S. 77. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse sind sehr wahrscheinlich verzerrt.
(8) Walper und Wendt konstatieren: „So zeigen empirische Befunde, dass frühe sexuelle Kontakte mit Verhaltensproblemen und deviantem Verhalten wie erhöhtem Alkoholkonsum, Delinquenz, Schulproblemen, aber auch depressiven Symptomen in Verbindung stehen. […] Auch eine große Involviertheit in romantische Beziehungen, d. h. viele wechselnde Partnerschaften im Jugendalter sind mit mehr externalisierenden und internalisierendem Problemverhalten, einer geringeren Leistungsorientierung sowie einer negativeren Selbsteinschätzung verbunden.“ Ebd., S. 63.
(9) Hierzu Sabine Walper: „Elterliche Ehekonflikte erhöhen das Risiko für vermehrte Sexualkontakte von Jugendlichen (Kim und Smith 1999), und Jugendliche aus einem Umfeld mit hohem familiären Stress und starker Disharmonie der elterlichen Ehe haben häufigere, aber kürzere und instabilere Partnerschaften (Belsky et al. 1991), was für eine geringere Wertschätzung von emotionaler Bindung spricht.“ Sabine Walper et al: Paarbeziehungen im Jugend- und Erwachsenenalter, S. 117-149, in: Michael Feldhaus/Johannes Huinink (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Beziehungs- und Familienforschung, Würzburg 2008, S. 118.